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# taz.de -- Künstlergruppe Rimini-Protokoll: Anstoß für lebendige Debatten
> Eine Installation der Künstlergruppe Rimini-Protokoll führt nach Burg
> Hülshoff, Geburtsort von Annette von Droste zu Hülshoff – und in den
> Wald.
Bild: Der Wald in der Nähe von Münster als Bühne: Annette von Droste zu Hül…
Havixbeck taz | Neidische Blicke streifen ihn und das ein oder andere
wohlwollende Lächeln. Bis Burg Hülshoff, das lohne sich, rufen die
Kollegen. Der Taxifahrer schaltet das Navi ein. Von Münster ist es nicht
weit bis nach Havixbeck, zehn, zwölf Kilometer vielleicht. Doch der
öffentliche Nahverkehr lässt einen wochenends im Stich. Manche empfehlen
eine Fahrradtour. Mit Rollkoffer unmöglich.
Ich nehme ein Taxi in Richtung Westen. Eilig schnellt das Taxameter in den
zweistelligen Bereich, der Fahrer sucht Orientierung. „Nach Schonebeck oder
Havixbeck?“ Keine Ahnung! Ich bin nicht von hier. Offenbar stimmt beides.
Bald schon werden die Straßen leerer, gesäumt von Pflegediensten und
Alterswohnsitzen mit bodentiefen Fenstern.
Burg Hülshoff, so hatte ich gedacht, kennt hier jeder, den Geburtstort der
Dichterin [1][Annette von Droste zu Hülshoff] (1791–1848). Mit dem
[2][Center for Literature] (CfL) bespielt die
Annette-von-Droste-zu-Hülshoff-Stiftung seit 2018 den Ort. Durch diese
Arbeit, so heißt es auf der Website, „transformieren sich Burg und Landhaus
zu offenen Foren. Kunst wird hier Anstoß für lebendige Debatten.“
## Kunst im Wald statt Feier
Kunst wird zurzeit im Wald (noch bis 9. Oktober 2022) gezeigt. In der
Installation. [3][„16 Szenen für einen Wald“] des Regiekollektivs
Rimini-Protokoll, die sich auf Droste-Hülshoffs 1842 veröffentlichte
Novelle „Die Judenbuche“ bezieht. Die Fahrt dorthin führt vorbei an
Fachwerkhäusern, die sich hinter immergrünen Hecken ducken, an
überdimensionalen Autohäusern und vermeintlich italienischen Eiscafés.
Ob ich auf Burg Hülshoff zu einer Hochzeit wolle, fragt mich der Fahrer und
auch, ob wir hier richtig seien. Keine Ahnung. Ich bin ja nicht von hier.
Und nein, murmele ich, ich besuche „eine Kunst-Installation im Wald“. Er
resümiert: „Also Arbeit.“
Die von Kastanien gesäumten Straßen werden schmaler. Wir passieren Laub
fegende Eigenheimbesitzer und windschnittige Fahrradfahrer. Der Himmel
hängt tief über den abgeernteten Feldern, am Horizont dreht sich ein
einzelnes Windrad.
## Hochsitze zwischen Buchen
Der Parkplatz vor [4][Burg Hülshoff] ist so leer, dass der Taxifahrer mich
erst aussteigen lässt, als ich meine Kontaktperson, eine Mitarbeiterin des
CfL, anrufe. Mit ihr gehe ich durch den Park, ziehe meinen Rollkoffer über
knirschende Kies- und matschige Waldwege, werfe einen Blick auf Burg und
Graben und in das angrenzende Hirschgehege. Es riecht nach feuchtem Laub
und Erde.
Acht Jägersitze schimmern durch den Wald. Bis zu dreieinhalb Meter sind sie
hoch. Jeder mit einem Tablet und einem Lautsprecher ausgestattet.
Vorsichtig klettere ich hoch, blicke abwechselnd auf den Bildschirm, über
den Droste-Hülshoff-Zeilen wippen, und durch ein am Geländer baumelndes
Fernglas. „Schau dir den Aufschneider an!“, schallt es aus einem der
Lautsprecher, aus einem anderen echot ein Räuspern. „Da drüben ist er, der
Friedrich Mergel“, ruft jemand. Von irgendwoher die Antwort: „Das bin ich.�…
Häusliche Gewalt, Alkoholismus, Antisemitismus und Korruption. Ausgehend
von den Themen der „Judenbuche“, haben Helgard Haug und Daniel Wetzel mit
Menschen aus und in Münster gesprochen und schließen diese mit dem
Originaltext kurz. Eine unheimliche Mischung aus Hörspiel und
Naturbetrachtung. Im besten Fall mit Mitspielern auf den anderen
Hochsitzen. Heute sind keine da. Stattdessen ein welkes Blatt, eine
gurrende Taube, ein Vogelzwitschern. Aus dem Lautsprecher, aus dem Wald?
Ich suche die hohen Buchen ab. Da splittert Glas, fällt ein Schuss. Eine
Taube flattert vorbei und noch ein Blatt. Die Installation schließt, ein
Unbehagen bleibt.
Vor Burg Hülshoff brechen sich die Sonnenstrahlen in den milchigen Scheiben
der Bushaltestelle. Ich rufe ein Taxi.
6 Oct 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Annette_von_Droste-H%C3%BClshoff
[2] https://www.burg-huelshoff.de/ueber/center-for-literature
[3] https://www.rimini-protokoll.de/website/de/project/16-szenen-fuer-einen-wald
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_H%C3%BClshoff
## AUTOREN
Katrin Ullmann
## TAGS
Politisches Theater
Rimini Protokoll
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