# taz.de -- EU berät über Gesetz gegen Entwaldung: Nur Soja ohne Regenwald | |
> Die EU plant, die Einfuhr von Sojafutter zu verbieten, für das | |
> Waldflächen gerodet wurden. Landwirte fordern höhere Preise für | |
> Schweinefleisch. | |
WENDLAND taz | Es sieht alles so idyllisch aus auf Henning Harms' Bauernhof | |
im niedersächsischen Dorf Damnatz. Die Vögel zwitschern, prächtige Bäume | |
stehen auf dem von vier Gebäuden aus roten Ziegelsteinen umgebenen Hof. | |
Klimakrise, Krieg – fast vergisst man sie für einen Moment hier, direkt | |
hinter dem Elbdeich im ruhigen Wendland. | |
Doch dann öffnet Harms in der Futterhalle seines Betriebs den Ausfluss | |
eines fünf Meter hohen Silos. Heraus rieselt ein orangefarbenes Mehl: | |
Sojaschrot. Der Landwirt verfüttert jährlich rund hundert Tonnen davon an | |
seine 3.100 Schweine: „Ein Viertel des Soja bezogen wir bisher aus | |
Südamerika“, sagt Harms. 2021 stammte dem Deutschen Verband Tiernahrung | |
zufolge sogar rund die Hälfte des importierten Soja aus Brasilien und | |
Argentinien. Um die Hülsenfrucht anzubauen, werden oft Wälder gerodet. Das | |
treibt den Klimawandel an, Tier- und Pflanzenarten verlieren wichtige | |
Lebensräume. | |
Allein im Zeitraum 1990 bis 2020 gingen [1][laut EU-Kommission] weltweit | |
420 Millionen Hektar Wald – eine Fläche, die größer ist als die Europäisc… | |
Union – verloren. „Diese Prozesse werden vor allem durch die Ausdehnung der | |
[2][Landwirtschaft] zwecks Erzeugung von Rohstoffen wie Soja, Rindfleisch, | |
Palmöl, Holz, Kakao und Kaffee sowie einigen daraus gewonnenen Erzeugnissen | |
vorangetrieben“, schreibt die Brüsseler Behörde. Sojabohnen und -schrot für | |
Futtermittel sind die wichtigsten Agrarimporte der EU aus Südamerika. Rund | |
elf Prozent des Treibhausgases weltweit in den Jahren 2007 bis 2016 | |
stammten der Kommission zufolge aus der Forstwirtschaft und anderen | |
Landnutzungen – „und waren überwiegend auf Entwaldung zurückzuführen“. | |
Auch das, was Henning Harms im Wendland seinen Schweinen gibt, kann also | |
dazu beitragen, dass am Amazonas Regenwälder abgeholzt werden. Deshalb hat | |
die Brüsseler Kommission Ende vergangenen Jahres eine [3][Verordnung | |
vorgeschlagen], die gegen die von der EU verursachte Entwaldung vorgehen | |
soll. Danach sollen Unternehmen, die mit sechs besonders von Entwaldung | |
betroffenen Rohstoffarten handeln, den Behörden die geografischen | |
Koordinaten des Erzeugerbetriebs oder der Plantage mitteilen. Mit diesen | |
Daten soll sich kontrollieren lassen, ob die Produkte von nach dem 31. | |
Dezember 2020 entwaldeten oder geschädigten Waldflächen stammen – was dann | |
verboten wäre. Bisher stehen in Harms' Lieferscheinen nur die Länder, aus | |
denen die Futterkomponenten kommen. | |
Für den Schweinehalter könnte die geplante EU-Vorschrift bedeuten, dass er | |
mehr für das Futter zahlen muss. Um wirklich sicherzugehen, kein Soja von | |
nach dem Stichtag gerodeten Flächen zu bekommen, sagte er, würde er gleich | |
auf gentechnikfreies Soja aus Europa umsteigen. Dieses koste ungefähr 8 | |
Cent zusätzlich pro Kilogramm Schlachtgewicht der Tiere, die er nach der | |
Mast verkauft, sagt der 54-Jährige in Overall und Gummistiefeln. Das | |
bedeutet rund fünf Prozent Unkosten mehr als bisher. Keine große Summe, | |
aber der Aufschlag würde den eh schon wegen der höheren Energiekosten | |
gestiegenen Preis weiter in die Höhe treiben. Und für eine Branche wie die | |
Schweinehaltung, in der ständig Betriebe aufgeben, stellt jede | |
Kostensteigerung ein großes Problem dar. | |
## Kleine Kostensteigerung | |
Am Ende würden auch die VerbraucherInnen etwas mehr fürs Fleisch zahlen | |
müssen. Wie viel mehr, ist unklar, denn es lässt sich nicht absehen, in | |
welchem Umfang Futterproduzenten, Händler und Landwirte ihren Anteil der | |
Mehrkosten tatsächlich weitergeben können. Aber wenn Bauern wie Harms nur | |
fünf Prozent mehr zahlen müssen, werden auch die KonsumentInnen wohl | |
höchstens so viel mehr drauflegen müssen. | |
Ein Computer in einem großen Schaltschrank in Harms' Futterhalle zieht über | |
Spiralen in Rohren aus mehreren Silos die Bestandteile des Futters: neben | |
Soja landet auch zum Beispiel Getreide wie Weizen, Gerste oder Roggen im | |
Trog der Tiere. „Fünfzehn Prozent müssen Eiweißkomponenten enthalten, | |
damit die Schweine mit möglichst wenig Futter möglichst schnell an Gewicht | |
zulegen“, erklärt der Landwirt. Dafür braucht er das Soja. Es besteht zu 49 | |
Prozent aus Rohprotein; die auch als Futter verwendete Pflanze Lupine | |
dagegen nur zu 30 bis 34 Prozent, die Ackerbohne nur zu 26 Prozent. „Das | |
macht Soja so interessant, weil es einen geringen Anteil am gesamten Futter | |
ausmacht, ich aber dennoch einen hohen Proteinanteil in der Ration | |
erziele“, sagt Harms. „Es wird weniger Getreide verdrängt, das den Tieren | |
Energie für die Gewichtszunahme liefert.“ Außerdem: „Soja war bisher auch | |
der günstigste Eiweißträger am Markt.“ Die Lupine, die er selbst anbaut, | |
koste ihn 20 Prozent mehr als die gleiche Menge Import-Soja. | |
Trotzdem begrüßt Harms die EU-Initiative. „Das geht gar nicht, dass für | |
unser Soja Regenwald gerodet wird.“ Er plant schon länger, auf Soja im | |
Futter zu verzichten. „Wir Bauern können alles“, sagt Harms. „Wir müsse… | |
nur bezahlt bekommen.“ Wenn jetzt die EU-Politik auf das Problem Entwaldung | |
für Soja aufmerksam mache, dann könnten die VerbraucherInnen über den | |
Lebensmittelhandel und die Schlachthöfe eher bereit sein, mehr Geld für | |
„besseres“ Fleisch auf den Tisch zu legen, hofft er. | |
Henning Harms denkt progressiver als viele seiner BerufskollegInnen. Als | |
einer der wenigen Landwirte nimmt er am „Für mehr Tierschutz“-Programm des | |
Deutschen Tierschutzbundes teil. Damit das Fleisch von seinem Hof das blaue | |
Siegel der Organisation tragen darf, haben seine Schweine 1,1 Quadratmeter | |
pro Tier zur Verfügung – und damit 47 Prozent mehr Platz im Stall, als das | |
Gesetz vorschreibt. Ein Teil der Bucht befindet sich im Freien, so dass die | |
Schweine an der frischen Luft sind. Ihnen werden auch nicht die | |
Ringelschwänze abgeschnitten. | |
Keine vier Kilometer von Harms' Hof entfernt stehen die Schweine von Martin | |
Schulz in ihren beiden Ställen. Sein Betrieb hat das Siegel des | |
„Neuland“-Vereines „für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung… | |
Die Tiere grunzen und quieken freundlich. Mit ihren Schnauzen wühlen sie in | |
Stroh und Heu, das fast auf dem gesamten Boden liegt. Das ist der größte | |
Unterschied von Schulz' Ställen im Vergleich zu den meisten konventionellen | |
Betrieben und auch zu Harms' Hof: Bei Neuland und auch Bio können die Tiere | |
ihrem Wühltrieb nachgehen, so dass sie sich nicht vor lauter Langeweile | |
gegenseitig in den Schwanz beißen. Deshalb müssen ihnen nicht die Schwänze | |
kupiert werden. | |
Sie haben auch mehr Platz, nämlich 1,7 Quadratmeter pro Mastschwein. In der | |
Vormast, wenn die Tiere nur bis zu 60 Kilogramm wiegen, brauchen sie laut | |
Neulandregeln nur 0,8 Quadratmeter. Bei Schulz teilen sich 20 Tiere dieser | |
Gewichtsklasse eine fünf mal vier Meter große Bucht und eine Hütte aus Holz | |
mit einer Fläche von zehn Quadratmetern. | |
Bei Harms ist der Boden größtenteils perforiert, so dass die Exkremente in | |
einen Tank darunter fallen können. Die Spalten im Boden tragen aber zu | |
Verletzungen der Klauen bei, und die Tiere atmen die Gase ihrer Gülle ein. | |
Bei Schulz dagegen gibt es keine Spaltenböden. | |
## Ganz ohne brasilianisches Soja? | |
Das „Neuland“-Siegel verbietet importierte Futtermittel. In dieser Hinsicht | |
ist es noch strenger als die Bio-Verordnung der EU, die zwar | |
chemisch-synthetische Pestizide und Kunstdünger beim Futteranbau verbietet, | |
aber Importe zulässt. Schulz beweist schon seit Mitte der 1990er Jahre, als | |
er auf Neuland umstellte, dass sich Schweinefleisch auch ohne Soja aus | |
Brasilien erzeugen lässt. In den Metalltrögen an der Stirnseite der Buchten | |
liegt weißes Mehl – das gemahlene Futter. Es fällt zweimal am Tag aus | |
Dosierbehältern in die Tröge an der Stirnseite der Buchten. | |
Das Futter kommt aus der „Schrotkammer“ gegenüber vom Haus, sagt Schulz und | |
wird übertönt vom Geräusch eines Motors. Es ist die Mühle, die die | |
einzelnen Futterkomponenten aus weißen Silosäcken zieht, die an | |
Stahlgerüsten hängen. Das gemahlene Futter füllt Schulz in einen | |
Kesselwagen, den er alle zwei Tage mit dem Traktor zu dem ein paar hundert | |
Meter entfernten Stall zieht. Ein Kompressor bläst das Mehl aus dem Wagen | |
durch einen Schlauch in die Dosierbehälter. | |
In Schulz' Silosäcken befinden sich nur Rapsschrot, Ackerbohnen und | |
Getreide aus Deutschland, denn hierzulande wird wenig Soja angebaut. Rund | |
20 Prozent mehr kosten die regionalen Eiweißfuttermittel, sagt Schulz, der | |
auch Vorsitzender der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft | |
bäuerliche Landwirtschaft ist. Trotzdem lohnt es sich für ihn, weil Neuland | |
den Bauern Festpreise zahlt, die meist höher als die konventionellen | |
Marktpreise liegen. Deshalb müssen die VerbraucherInnen auch über 30 | |
Prozent mehr fürs Kilogramm Schweinefleisch zahlen. „Bislang ist immer noch | |
was für uns übrig geblieben“, sagt der 47-Jährige in schwarzer Arbeitshose, | |
Gummistiefeln und einem auffallend jungenhaften Gesicht. „Über die Jahre | |
war das schon okay.“ Eine Woche pro Jahr fährt er in Urlaub, das schaffen | |
längst nicht alle Bauern. Drei Mitarbeiter beschäftigt er in Vollzeit. | |
Das EU-Projekt gegen Entwaldung sieht Schulz positiv. „Aber den großen | |
Wandel wird das nicht bringen“, sagt er. „Der Regenwald, der schon gerodet | |
ist, wird ja nicht wieder aufgeforstet.“ | |
29 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_21_5919 | |
[2] /Landwirtschaft/!t5007831 | |
[3] https://environment.ec.europa.eu/publications/proposal-regulation-deforesta… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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