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# taz.de -- EU will Entwaldung stoppen: Keine Entwarnung für Entwaldung
> Der EU-Umweltministerrat berät über die entwaldungsfreie Lieferkette. Das
> Parlament entscheidet im Herbst über den Vorschlag.
Bild: Rodungen für den Sojabohnenanbau: Blick auf den Brasilianischen Regenwal…
Worte für den Natur- und Klimaschutz findet Umweltministerin Steffi Lemke
auf jede Frage. So kamen ihr die anstehenden Beschlüsse über die
entwaldungsfreien Lieferketten im EU-Umweltministerrat zupass, um vom
strittigen Thema Verbrennermotor abzulenken. Anstatt vor der Sitzung der
EU-Umweltminister:innen in Luxemburg über das politisch heiße Thema des
Tages zu sprechen, hob Lemke das ebenfalls auf der Tagesordnung stehende
Dossier für entwaldungsfreie Lieferketten hervor.
Inhaltlich bietet es ebenso viel Sprengstoff wie das Aus für den
Verbrenner, wird jedoch öffentlich kaum diskutiert. Die
EU-Umweltminister:innen im Rat wollten dafür sorgen, sagte Lemke in
laufende Kameras, „dass keine Produkte mehr in der EU gehandelt werden, die
einen Beitrag zur Entwaldung und damit zur Schädigung des Klimas leisten“.
Das hört sich gut an, und Lemke sowie Land- und Forstwirtschaftsminister
Cem Özdemir (Grüne) haben sich seit Monaten für den Waldschutz in der EU
eingesetzt. Aber die EU-Politik lebt von Kompromissen und der Vorschlag auf
dem Tisch der EU-Umweltminister:innen hält das Versprechen einer
entwaldungsfreien Lieferkette nicht ein.
Es beginnt bei der Definition von „Walddegradation“, der Schädigung von
Wäldern. Im gestern verabschiedeten Vorschlag steht, dass nur die
Umwandlung von Primärwäldern in Plantagen geahndet werden soll. Damit
fallen 98 Prozent der europäischen Wälder nicht unter die geplante
Richtlinie. Dafür haben die Forstnationen Schweden, Finnland, Tschechien
und andere osteuropäische EU-Mitglieder gesorgt, die sich nicht in ihre
Waldpolitik reinreden lassen wollen. Den Amazonas zu schützen ist das eine,
aber die geplante EU-Entwaldungsrichtlinie soll auch für Europa gelten. Sie
betrifft daher nicht nur Agrarprodukte wie Soja oder Kakao, sondern auch
die Forstwirtschaft und Papierproduktion in Europa.
Der Vorschlag auf dem Tisch der EU-Umweltminister:innen schützt zudem große
Teile der tropischen Wälder nicht. Denn auch in Südamerika oder Asien
stammen nicht alle für die Agrarproduktion gefällten Bäume aus primären
Urwäldern. „Es gibt gepflanzte Wälder mit hoher biologischer Vielfalt“,
sagte Anke Schulmeister-Oldenhove, Waldexpertin des WWF, die Schlupflöcher
in der Verordnung sieht, denn die EU-Staaten sollen nur fünf Prozent der
importierten Agrarprodukte aus Hochrisikoländern kontrollieren. Welche
Länder dazu zählen, soll erst später beschlossen werden.
Und nicht nur Wälder kommen unter den Acker, die Agrarindustrie wandelt
auch andere Ökosysteme wie Savannen, Mangroven oder Feuchtgebiete in
bewirtschaftete Flächen um. Gebiete wie der brasilianische Cerrado, die
nordamerikanischen Prärielandschaften oder Moore in Indonesien tauchen in
dem Vorschlag nicht auf, wie umweltpolitisch gefordert. Auch diese Hotspots
der Artenvielfalt müssten von der EU-Entwaldungsrichtlinie geschützt
werden, denn diese Ökosysteme speichern große Mengen an Kohlenstoff im
Boden und sind natürliche Helfer in der Klimakrise. Doch das Thema Moore,
Steppen und andere Ökosysteme haben die EU-Staaten unter französischer
Ratspräsidentschaft seit Januar 2022 vom Tisch gefegt.
„Einen Meilenstein der EU-Kommission hat der Rat geöffnet“, sagte
Schulmeister-Oldenhove, und auch wenn das sprachliche Bild wackelt, wird
klar, was sie beobachtet hat. Die EU-Umweltminister:innen vieler
Mitgliedsstaaten haben an der ‚entwaldungsfreien‘ Lieferkette gesägt. Die
EU-Kommission hatte im November 2021 vorgeschlagen, dass weder Soja noch
Kakao, Kaffee, Palmöl oder Rindfleisch von zuvor entwaldeten Flächen in die
EU importiert werden darf. Produzenten und Händlerinnen sollten nachweisen,
dass kein Baum für die Agrarwirtschaft gefallen ist.
Doch dann übernahm Frankreich die Ratspräsidentschaft und wollte unbedingt
bis Ende Juni ein Ergebnis erzeugen. Die EU-Länder begannen die Vorschläge
abzuräumen. Deutschland soll laut politischen Beobachter:innen sich
noch am stärksten für den Schutz der Wälder eingesetzt haben. Doch vom
Ansetzen der Motorkettensäge im dichten Wald bis zur Kontrolle der
Importeure von Agrarprodukten in den EU-Staaten wird der vorliegende
Entwurf die Wälder weltweit kaum schützen.
Waldexpertin Schulmeister-Oldenhove setzt auf das EU-Parlament, das den
gestern gefassten Beschluss der EU-Umweltminister:innen im September
verhandelt. „Noch ist nichts verloren“, sagte sie. Den finalen Text zimmern
Kommission, Rat und Parlament danach zusammen. „Der viertgrößte Treiber der
Entwaldung sind Holzplantagen“, sagt Susanne Winter vom WWF. Holz gehöre
deswegen mit in die EU-Verordnung.
28 Jun 2022
## AUTOREN
Ulrike Fokken
## TAGS
Soja
Regenwald
Leibniz Universität Hannover
Landwirtschaft
Landwirtschaft
Schwerpunkt Klimawandel
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