# taz.de -- Verzichtsdebatten im Urlaub: Klimasommer mit Enkeln | |
> Wasserknappheit und Baguette-Kilometer: Wenn die Umweltkrise ins | |
> Urlaubsidyll eindringt, balanciert man zwischen Moral und Genuss. | |
Bild: Ein Paddler auf dem Verdon: Frankreich erlebt in diesem Sommer die größ… | |
„Rasensprengen und Blumengießen sind zu unterlassen“, heißt es schon seit | |
Jahren, aber diesmal kam etwas dazu. „Ihr könnt Euer Wasser am Friedhof von | |
O. holen, da ist ein Wasserhahn.“ Als wir verdutzt blickten, klärte uns der | |
Bürgermeister auf. Die Behörden hatten den Bürgern des kleinen Ort im Jura, | |
an dem wir seit vierzig Jahren die Sommer verbringen, nahegelegt, das | |
Leitungswasser nicht mehr zu trinken. Die Grenzwerte wegen des | |
Pflanzenschutzmittels, das die Bauern der Umgebung überreichlich auf die | |
Maisfelder gekippt hatten, werden nicht erreicht, aber wer zur Vorsicht | |
neigt, holt sich das [1][Wasser] nun aus dem Brunnen des Nachbardorfes. | |
Die Umweltkrise war in den Alltag unserer Sommeridylle eingedrungen. Es war | |
nicht nur das Wasser. Zum ersten Mal seit vierzig Jahren nisteten keine | |
Schwalben an der Scheune nebenan. Im oberen Jura, einer der feuchtesten | |
Gegenden [2][Frankreichs], brannten vier Quadratkilometer Wald ab. Und am | |
28. Juli, früher als sonst, kam die Meldung vom Earth Overshoot Day: Die | |
Menschheit habe an diesem Donnerstag die Ressourcen aufgebraucht, die ihr | |
in diesem Jahr zustehen. | |
Im Fluss konnten wir noch baden wie immer, aber die Knappheit in einer | |
Welt, die zur Neige geht – sie wurde zum leisen Dauerthema in dieser | |
Sommerfrische: Müsst ihr eigentlich dreimal am Tag duschen? Müsst ihr | |
solange spülen für das bisschen Pipi, Jungs? Eigentlich kann man das | |
Abwaschwasser auch auf die Rosen gießen … Der Achtsamkeitsdiskurs weitete | |
sich aus: Muss man das Licht nachts brennen lassen, nur weil Neulinge auf | |
der Wendeltreppe stolpern könnten? Dass ich mit dem Auto (6,3 Liter auf 100 | |
km) jeden Morgen fünf Kilometer fuhr, um beim besten Bäcker weit und breit | |
Baguettes zu holen, kam überhaupt nicht gut an. Und war nicht selbst die | |
nächtliche Boule-Partie im Schein von Handys und einer Taschenlampe schon | |
eine kleine Sünde? Man hält solchen Rigorismus nicht ewig durch, und als | |
irgendwann, beim dritten Kaffee am Morgen die Gespräche über den | |
[3][Palmölgehalt] in Nutella und den Zuckeranteil im Fertigmüsli wieder | |
ansetzten, provozierte mich das zu dem absurden Satz: „Alles gut, aber ich | |
gebe zu bedenken, dass ein SUV-fahrender, Kette rauchender Ingenieur mit | |
120.000 Flugkilometern, der an der Solarisierung Afrikas arbeitet, mehr für | |
die Erhaltung des Planeten tut als siebzig von uns, die auf Palmöl und | |
Fleisch verzichten. Wenn wir nicht Politik machen, ist das alles | |
vergebens.“ | |
Da blickten die moralischen Teenies erschreckt auf, und mein | |
Glaubwürdigkeitsbonus schmolz schneller als der Rhônegletscher. Es ist | |
natürlich völlig irrsinnig, die kleinen Revolutionen des Alltags gegen die | |
großen politischen Hebel auszuspielen, aber aus den Widersprüchen kommt zur | |
Zeit wohl niemand raus. Der mich morgens noch gerügt hatte wegen meiner | |
Baguette-Kilometer, sagte am Nachmittag: „Dass wir das alles noch wenden | |
können, ist die unwahrscheinlichste aller Hypothesen.“ | |
Ich bin umgeben von Freunden, Kollegen, Familienangehörigen, denen wie mir | |
der Boden unter den Füssen bebt und die Seele dazu, weil sich die Krisen | |
ineinanderschieben: Klima, Artenschwund, Ungleichheit, Ressourcenkämpfe, | |
Corona und nun noch der heiße Krieg. Und dazu eine Regierung, die den | |
Bürgern versichert, wir werden schon durch den Winter kommen, you’ll never | |
walk alone, und die Steuern werden gesenkt. Eine Zeitenwende ist das | |
jedenfalls nicht, und an der Mechanik des mediengetriebenen | |
Parlamentarismus zerbröselt jeder radikalere Gedanke. | |
Also: Was kann man denn, was müsste man tun, wenn man das wirklich mal | |
ernst nimmt: das Gerede von den Enkeln, an denen wir uns versündigen? Was | |
sind wir noch schuldig, die so alt waren wie Greta, als die „Grenzen des | |
Wachstums“ erschienen? Zuallererst wohl: Illusionslosigkeit verbreiten. Das | |
heißt: keinen Hehl mehr daraus machen, dass es auf absehbare Zeit schlimmer | |
werden wird. „In Zeiten zunehmenden Chaos werden die Menschen Schutz durch | |
Tribalismus und Streitkräfte suchen“, schrieb Jonathan Franzen vor ein paar | |
Jahren, und weiter: „Jede Bewegung in Richtung einer gerechteren und | |
zivilgesellschaftlicheren Gesellschaft muss als sinnvolle Klimamaßnahme | |
angesehen werden. Die Bekämpfung extremer Vermögensunterschiede ist eine | |
Klimaschutzmaßnahme. Die Abschaltung der Hassmaschinen in sozialen Medien | |
ist eine Klimaschutzmaßnahme. Eine humane Einwanderungspolitik, eine freie | |
und unabhängige Presse zu unterstützen, das Land von Angriffswaffen zu | |
befreien – das alles sind sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen.“ | |
Und das heißt, wenn man es ernst meint mit dem aufgeklärten Gewissen, | |
müsste man sich wohl noch einmal ins Getümmel begeben, wenn man sich nicht | |
verzweifelt abwenden will, in die wohldotierte Idylle fliehen oder sein | |
Seelenheil im Veganismus finden. Die Kraft aber, die Indirektheit des | |
Handelns und die Umwege der Politik, die Ödheit der Ortsvereine oder die | |
Langeweile der Wiederholungen zu ertragen, die entsteht und wird geübt | |
gefestigt im Kleinen, wo sie als Alltagsmoral eingeübt wird. Und sei es bei | |
der Wasserspülung, dem Palmölgehalt oder dem Lichtschalter. Kohärenz | |
überzeugt, auch wenn sie anstrengt. Gut, es gehört wohl auch dazu, der | |
Moral ein paar unscharfe Ränder zuzugestehen und gelegentlich ein wenig | |
Benzin zu vergeuden: Wozu die Welt retten, wenn auf dem Weg dahin der | |
Geschmack für das gute Brot verloren geht? Schönheit, Genuss, Weltliebe und | |
Radikalität sind auf vielfältige Weisen miteinander verbunden. | |
Am Ende des Sommers flogen wir an einem stillen Morgen mit dem | |
Heißluftballon über eine Landschaft geselliger Dörfer und überschaubarer | |
Felder; ein Luxus, aber in mir kam ein Gefühl auf wie damals, vor einem | |
halben Jahrhundert, als die ersten Fotos des blauen Planeten vom Mond | |
kamen. | |
17 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Mathias Greffrath | |
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