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# taz.de -- Debatte über Verbrenner-Autos: Aus mit Hintertür
> Die EU-Umweltminister haben sich auf das Klimapaket „Fit for 55“
> geeinigt: Klimaziele werden zwar verschärft, aber weniger stark als
> gefordert.
Bild: Noch bis 2035 dürfen Neuwagen verkauft werden, die Treibhausgase aussto�…
Berlin und Brüssel taz | Erst liefen stundenlang die Telefondrähte heiß,
dann knallten in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch die Sektkorken in
Luxemburg und Berlin: Nach zähen Beratungen und [1][viel Hin und Her in der
Ampelkoalition] haben sich die 27 EU-Länder auf die Details des Klimapakets
„Fit for 55“ verständigt. Auch der Streit über das „Aus“ für den
Verbrennungsmotor ist vom Tisch, jedenfalls vorläufig ohne eindeutigen
Sieger.
Vereinbart wurde in dieser Frage, dass es grundsätzlich dabei bleibt, dass
ab dem Jahr 2035 nur noch emissionfreie Fahrzeuge neu zugelassen werden
dürfen. Um dem Verbrennungsmotor zumindest formal noch eine Chance zu
geben, soll die EU-Kommission prüfen, ob neue Verbrenner weiterhin
zugelassen werden können, wenn sie ausschließlich mit klimaneutralen
E-Fuels betankt werden können.
FDP-Chef Christian Lindner wertete das als Erfolg für seine Forderung nach
„Technologieoffenheit“, der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland
bezeichnete die Entscheidung als „Hintertür für Verbrenner“. Im
Bundesumweltministerium geht man dagegen davon aus, dass dieser Beschluss
praktisch gleichbedeutend mit einem Verbot neuer Verbrenner ist. Auch der
Bundesverband der Deutschen Industrie kommentiert am Mittwoch, die
Entscheidung bedeute „de facto das Aus für den Verbrennungsmotor“.
Aus Sicht von Staatssekretär Sven Giegold (Grüne), der für das
Bundeswirtschaftsministerium die Verhandlungen in Luxemburg geführt hatte,
ist das Verbrenner-Aus jedoch „ein kleiner – und in Deutschland völlig
überschätzter – Teil des Pakets“. Deutlich wichtiger seien die vielen
anderen Ergebnisse der 17-stündigen Verhandlungen. „Es ist das größte
EU-Klimapaket ever“, erklärte Giegold auf Twitter. Dabei billigten die
Mitgliedstaaten zwar sämtliche Teile des Klimapakets „Fit for 55“,
schwächten diese im Vergleich zu den Vorschlägen von Kommission und
EU-Parlament aber teilweise ab.
## Die Staaten sind zögerlicher als das Parlament
Der Emissionshandel, der als Basis der EU-Klimapolitik gilt, soll EU-weit
auf Gebäude und Verkehr ausgeweitet werden. Aus den Erlösen des
Emissionshandels soll ein neuer Klimasozialfonds finanziert werden, mit dem
unter anderem einkommensschwache Verbraucher*innen unterstützt werden
sollen. Nach Schätzungen des Parlaments könnten so bis zu 72 Milliarden
Euro bis 2032 zusammenkommen. Die EU-Länder wollen jedoch nur rund 59
Milliarden Euro freigeben und erst später starten.
Beim Klimazoll, der die EU vor klimaschädlichen Dumping-Importen schützen
soll, droht Streit mit dem Europaparlament. Die Abgeordneten wollen ihn
schnell einführen. Im Gegenzug sollen die kostenlosen Verschmutzungsrechte
für die Industrie reduziert und schließlich ganz abgeschafft werden. Die
Mitgliedstaaten wollen hier langsamer vorangehen, das „Aus“ ist bei ihnen
erst 2035 geplant, das Europaparlament fordert 2032.
Gebilligt haben die Umweltminister auch [2][den Plan für entwaldungsfreie
Lieferketten], mit dem verhindert werden soll, dass Holz, Kaffee, Kakao,
Palmöl, Rindfleisch und Soja auf den EU-Binnenmarkt kommen, sofern ihre
Herstellung Entwaldung verursacht hat. Auch für Landnutzungsänderungen
innerhalb der EU gibt es erstmals ein verbindliches Ziel.
Das Gesamtpaket geht nun noch in den sogenannten Trilog mit dem
Europarlament und der Kommission. Dort könnte es erneut Änderungen geben.
Mit Spannung wird vor allem die Stellungnahme der Kommission zu
synthetischen Kraftstoffen erwartet. Denn der Kompromiss ist nicht
eindeutig – ob sich die EU-Kommission der deutschen Interpretation
anschließt, dass damit auch weiterhin Pkw und Kleinlaster mit
Verbrennungsmotor zugelassen werden könnten, ist offen.
## Umweltverbände drängen auf Verschärfung
[3][Das Europaparlament lehnt diese Auslegung entschieden ab.] „Das Aus für
den fossilen Verbrennungsmotor kommt“, sagte Michael Bloss von den Grünen.
„Das Verbrennerverbot ist nicht vom Tisch, sondern beschlossen“, sagt auch
Peter Liese (CDU), der bei den Verhandlungen im Parlament die Feder geführt
hatte. Die von Deutschland durchgesetzte Änderung am Ratsbeschluss habe
keine rechtliche Bedeutung.
Umweltverbände drängen darauf, dass im Rahmen der Trilog-Verhandlungen die
abgeschwächten Ziele wieder verschärft werden. Der EU-Umweltrat habe die
Chance verpasst, „dem europäischen Klimaschutzpaket zum Erreichen der
Klimaneutralität bis 2050 einen kräftigen Schwung zu geben“, kritisierte
etwa der WWF. Und auch Staatssekretär Giegold räumt ein: „Um unseren
Planeten zu retten, müssen wir noch entschiedener handeln.“
29 Jun 2022
## LINKS
[1] /Abstimmung-der-EU-Umweltministerinnen/!5860973
[2] /Kompromissentwurf-im-Rat-der-EU-Staaten/!5863291
[3] /EU-Parlament-beschliesst-Klimapaket/!5859766
## AUTOREN
Eric Bonse
Malte Kreutzfeldt
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