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# taz.de -- Bürgerrat Forschung legt Ergebnisse vor: Begrenzte Transparenz
> Der Bürgerrat sollte erarbeiten, wie die Öffentlichkeit an
> Forschungsentscheidungen beteiligt werden kann. Nur die Kommunikation
> klappt nicht.
Bild: Eine Auswahl wurden von Experten fachlich gebrieft – von November 2021 …
Berlin taz | „Forschung heißt für mich Beschreiten neuer Wege“, sagt ein
Mitglied des Bürgerrats Forschung. „Man kann auch mal stolpern, aber am
Ende lernt man daraus.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF), das den Bürgerrat initiiert und für ein halbes Jahr finanziert
hatte, ist mit diesem Ansatz der gesellschaftlichen Beteiligung in der Tat
ins Stolpern geraten. Ob die ministerielle Lernkurve aber tatsächlich
folgt, darf indes eher bezweifelt werden.
Begründung: Das Haus von [1][FDP-Ministerin Bettina Stark-Watzinger] – das
aktuell durch den plötzlichen Abschied von Innovations-Staatssekretär
Thomas Sattelberger in der vorigen Woche auch inhaltlich-konzeptionell ins
Trudeln geraten ist – befindet sich auf einer Art von kommunikativer
Geisterfahrt, die Öffentlichkeit ist weitgehend durch deren Simulation
ersetzt worden. Im Falle des partizipativen Bürgerrates wurden sogar die
Schotten komplett dicht gemacht, indem eine Partizipation der Presse nicht
zugelassen wurde.
Zunächst zum Anlass. [2][Bürgerräte] sind für Politiker in Zeiten des
Wählerschwundes und offener Demokratiegegnerschaft in Teilen der
Bevölkerung aktuell der „heiße Scheiß“, um die Kontakte zum Souverän
aufrechtzuerhalten. Fast jede staatliche Instanz, vom Hohen Haus des
Deutschen Bundestages bis zur abgehängten Kreisstadt, lädt die Bürger in
von ihr geschaffene Formate der Beteiligung ein, wo es neben Dampfablassen
vor allem um Mitgestaltung von politischen Prozessen gehen soll.
„Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des
Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen“, heißt es in der
Koalitionsvereinbarung der Ampelregierung. „Wir werden Bürgerräte zu
konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren“.
Jedes Mal sichern die Verwaltungen zu, dass die gemachten Vorschläge auch
praktisch umgesetzt würden – was wissenschaftlich aber noch ein weißer
Fleck ist. Aus der Partizipationsforschung ist keine Studie bekannt, die
eine reale Wirkung, einen „Impact“ von Bürgerräten auf die Politik
empirisch belegt.
## Bildung bleibt außen vor
Im BMBF war es so, dass unter der vormaligen CDU-Ministerin Anja Karliczek,
die einen persönlichen Schwerpunkt auf die Förderung der
Wissenschaftskommunikation legte, auch eine „Partizipationsstrategie“
erarbeitet wurde, die allerdings wenig Beachtung fand. Früchte davon waren
unter anderem das derzeit laufende [3][„Wissenschaftsjahr“ des Ministeriums
zum Thema Partizipation] und die Einrichtung des Bürgerrates –
erstaunlicherweise aber nur zum Teilthema „Forschung“, ohne Bildung.
Von der unabhängigen „Montag Stiftung Denkwerkstatt“ wurde mit
Unterstützung der Kommunen als die häufigsten Schulträger der „Bürgerrat
Bildung und Lernen“ ins Leben gerufen. Das Gremium mit 500 Beteiligten
übergab in der vorigen Woche seine „50 Vorschläge zur Verbesserung des
deutschen Bildungssystems“ an Bundestags-Vizepräsidentin Aydan Özoğuz. Das
fachlich zuständige Bundesministerium blieb außen vor.
Für den Bürgerrat Forschung ließ das BMBF von zwei Fachagenturen (ifok GmbH
und nexus GmbH) 47 Teilnehmer repräsentativ für die deutsche Bevölkerung
auswählen – aber nicht ganz. „Personen mit nichtakademischem Bildungsstand
waren im Bürgerrat Forschung unterrepräsentiert“, vermerkt der
Schlussbericht. „Dabei handelt es sich um ein bekanntes Problem bei
Bürgerbeteiligungsformaten.“
Die inhaltliche Zielvorgabe lautete: „Künftige Beteiligungsprozesse im
Bereich Forschung für und mit Bürger:innen noch attraktiver und
bürger:innenfreundlicher zu gestalten“. In sechs Runden kamen die
Forschungslaien seit November 2021 überwiegend virtuell in Zoom-Konferenzen
zusammen und wurden von 24 Wissenschaftlern fachlich gebrieft. Jeder
Beteiligte sollte dem Bürgerrat Forschung mindestens 40 Stunden Zeit
widmen. Das letzte Arbeitstreffen war im März 2022 in Berlin.
Die Vorstellung der Ergebnisse fand in geschlossener Veranstaltung am 19.
Mai auf den EUREF-Energiecampus in Berlin-Schöneberg statt. Den gesamten
Prozess ließ sich das BMBF nach eigenen Angaben „insgesamt rund 550.000
Euro“ kosten.
Das [4][Bürgergutachten mit seinen 25 Empfehlungen] wurde vom Leiter der
Grundsatzabteilung im BMBF, Roland Philippi, entgegengenommen. Die
Ministerin oder einer der vier Staatssekretäre hatten keine Zeit dafür.
Philippi würdigte die „Schwarmintelligenz der Vielen“ und sagte zu, die
Vorschläge in die Fortschreibung der Partizipationsstrategie bis Januar
2023 einzuarbeiten.
Die Empfehlungen in drei Handlungsfeldern („Verankerung, Unterstützung,
Einfluss und Rechte“) richten sich nur auf die Organisation von Forschungs-
und Beteiligungsprozessen. Forschungsinhalte – was spannend gewesen wäre –
kommen nicht zur Sprache. Selbstverständlichkeiten werden recycelt, zum
Beispiel Empfehlung 19: „Wir empfehlen die feste Verankerung von
Beteiligung in Forschung, Forschungspolitik und Gesellschaft. Die
Ergebnisse der Bürgerbeteiligung sollen in politische und wissenschaftliche
Prozesse eingebunden werden. Die Bürger:innen sollen als
Alltagsexpert:innen angehört und ernst genommen werden“.
Alle Empfehlungen wurden in der Gruppe zur Abstimmung gestellt. Drei Voten
erhielten die geringste Quote von 83 Prozent Zustimmung. Darunter der
Vorschlag Nummer 24: „Wir empfehlen, dass erarbeitete Daten des
Beteiligungsprozesses öffentlich zugänglich sein sollten, sofern kein
Widerspruch der Beteiligten vorliegt. Wenn möglich, sollten
Forschungsergebnisse weitestgehend kostenlos und zusätzlich in allgemein
verständlicher Sprache verfügbar sein und öffentlich weiterverwertet werden
können“. Die geringe Transparenzbereitschaft verwundert.
## Gemeinsamen Gremium
Die forschungspolitische Dynamitstange ist in Empfehlung 2 verpackt: „Wir
empfehlen ein Gremium aus Politik, Wissenschaft und Bürger:innen, um
bedarfsorientiert die Agenda im Bereich der angewandten Forschung
festzulegen. Ziel ist eine stärkere mitwirkende Rolle der Bürger:innen
im Bereich der Förderung angewandter Forschung“. Zur Sicherung der
Wissenschaftsfreiheit sollte zwar die Wissenschaft dort „in jedem Fall die
Mehrheit bilden“. Aber die Bürger:innen könnten in diesem Gremium „ihre
Sicht der gesellschaftlichen Relevanz und des Gemeinwohls einbringen“. Eine
solche Partizipation war im letzten Hightech-Forum des BMBF jedenfalls
nicht willkommen.
Auch wenn der Bürgerrat fordert, (Votum 16 mit 89 Prozent) „dass die
Attraktivität von Bürgerbeteiligung durch die Nutzung von Medien, auch
digitalen Medien, unterstützt wird“ – das Ministerium war nicht bereit, die
Presse zur Vorstellung und dem Gespräch mit dem Bürgerrat einzuladen.
Warum diese Geheimhaltung? Das BMBF gab der taz diese Begründung. „Aufgrund
der derzeitigen Terminlage war die Teilnahme einer Vertreterin des
Leitungsstabs nicht möglich. Diese ist in der Regel Voraussetzung für einen
Pressetermin. Wir haben uns deshalb gegen eine Teilnahme der Presse
entschieden.“
## Presse wird nicht informiert
Interessierte Journalisten, wie von der taz, wurden nicht zugelassen. Das
ist eine Beeinträchtigung von Pressefreiheit, die jeden liberalen Politiker
auf den Plan rufen müsste. Im Hause Stark-Watzinger gab es nicht mal ein
terminlich abgekoppeltes Pressegespräch mit dem Bürgerrat, ob mit oder ohne
Ministerialebene. Bis heute ist auch keine Presseerklärung zu den
Ergebnissen des Bürgergutachtens herausgegeben worden.
Öffnung für Beteiligung der Bürger bei Heraushaltung der Presse – im
deutschen Wissenschaftsministerium ist eine ungute Kommunikationslage
entstanden. Das hat nicht nur mit handwerklichen Schwächen der
BMBF-Kommunikation zu tun. Man stelle sich das Medienecho vor, würde sich
Wirtschaftsminister Habeck auf die Reise zum Grünen Wasserstoff in
Australien machen. Der aktuelle Trip von Stark-Watzinger dorthin ist ein
mediales Non-Event.
Noch gravierender ist die schleichende Nicht-Partizipation des
Wissenschaftsjournalismus an den Abläufen der Wissenschaftspolitik. Was
nicht nur staatliche Instanzen, sondern auch immer mehr
Wissenschaftsorganisationen betrifft. Es wird Zeit für einen „Presserat
Forschung und Bildung“.
29 May 2022
## LINKS
[1] /Die-neue-Innovationsagentur-des-Bundes/!5841289
[2] /Globales-Beteiligungsprojekt/!5801615
[3] /MS-Wissenschaft-auf-Deutschland-Tour/!5849155
[4] https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2022/220519-empfehlungen-des-bu…
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Forschung
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