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# taz.de -- Kanzler Olaf Scholz: Der Blick auf Merkel
> Scholz setzt Merkels wortkargen Führungsstil als Kanzler fort. Doch zur
> Demokratie gehören Erklärungen. Ein paar hingeworfene Brocken reichen
> nicht.
Bild: Angela Merkel als Kanzlerin beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung…
Als ich [1][Angela Merkel] das letzte Mal sah, schaute sie mir direkt in
die Augen. Ihr Blick war starr und leer, und doch war da ein leichtes
Leuchten, als verberge sich etwas hinter dieser Maskerade, als habe diese
Leere eine Bedeutung. Ihr Kopf war leicht nach vorne geneigt, die Haare
hingen ihr auf der einen Seite etwas unordentlich in die Stirn, das Pony
war fransig geschnitten. Es wirkte, als sei sie gerade in einen
Regenschauer gekommen, so eng waren die Haare um den Kopf gepackt.
Eine Art Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie war sehr bei sich. Sie war ja
auch auf dem Weg dorthin, wo sie hinwollte: am Beginn ihrer Macht. Das
Foto, von dem ich spreche, ist von 1998, als Angela Merkel Ministerin wurde
im Kabinett von Helmut Kohl. Ihr Aufstieg begann kurz danach, als sie Ende
1999 Kohl mit einem Text in der FAZ aus dem Weg schob und dann 2005 zur
Kanzlerin gewählt wurde.
Seither rätselt dieses Land – und die Welt mit ihm –, wer diese Frau war,
und die Leere, die ihre Person umgab, spielte dabei immer eine wesentliche
Rolle: Wie konnte es sein, dass diese Frau so hoch stieg und so wenig
preisgab?
Es bleibt ein Rätsel, auch wenn man sich die Ausstellung der [2][Porträts
von Herlinde Koelbl] ansieht, die sie in den Jahren 1991 bis 2021 von
Merkel gemacht hat und die gerade im Deutschen Historischen Museum in
Berlin zu sehen sind – Merkel wird passenderweise gerade zu dem Zeitpunkt
musealisiert, da ihre Politik historisiert wird: Der Krieg in der Ukraine
öffnet den Blick zurück auf Hoffnungen, Fehler, falsche Annahmen der
vergangenen Jahrzehnte, und weil Angela Merkel sie sehr wesentlich
mitgeprägt hat, sollten die Fragen auch an sie gehen.
## Geheimniskrämerisch bis arrogant
Doch wieder einmal schafft sie es, sich aus der Diskussion herauszuziehen.
Kanzler Olaf Scholz, der zugegebenermaßen auch sehr geheimniskrämerisch bis
arrogant regiert und kommuniziert, muss die deutsche Politik gegenüber
Russland und vor allem für fossile Energie und North Stream 2 erklären und
verantworten – eine Politik, die doch wesentlich unter Merkels Augen
gestaltet wurde. Wie schafft es also Angela Merkel immer wieder, dass sich
der Blick auf sie verliert oder oft sogar verklärt?
Darauf immerhin gibt die Ausstellung ihrer Porträts eine Antwort. Der Fokus
auf die Person, so wie er hier zelebriert wird, ohne den Kontext der Macht
und konkrete politische Fragen, eröffnet so gut wie nichts. Wenn man Angela
Merkel ins Gesicht schaut, bleibt man blind für die Konflikte, Kompromisse,
politischen Fehler ihrer Zeit – und das waren, 2005 bis 2021, eben genau
die Jahre, in denen sich etwa der Klimawandel nochmal drastisch
beschleunigte, in denen die Krisen des Kapitalismus massiv deutlich wurden
und die Ungleichheit in der Welt und auch in Deutschland individuell wie
strukturell prekär wurde.
Der Blick auf Merkel, mit anderen Worten, der sie in ihrer Kanzlerschaft
entpolitisiert, so wie es diese Ausstellung tut, hilft dem Projekt Merkel,
das immer auch das Projekt einer bestimmten Art von Politik war: eher
technokratisch als demokratisch, eher durch Beschlüsse befeuert denn durch
Debatten, eine Schrumpfform der Kommunikation, die dadurch dem Streit über
wesentliche Grundfragen unserer Zeit und Ordnung den Raum nahm.
Es ist nicht die Leere der Augen von Angela Merkel, die das Problem ist –
das Problem ist der Versuch, in ihren Augen, in ihrem Gesicht, in ihrer
Person eine Erklärung zu suchen für das, was sie tat. Es ist eine Sache, in
den Porträts der Mächtigen ein Zeichen für ihre Herrschaft zu finden, eine
feudal geprägte Ikonografie der Macht, die einen speziellen Zweck erfüllte
– die Mächtigen einzureihen in eine Geschichte, in ein Vorher und Nachher.
## Habeck macht´s ganz anders
In der Demokratie haben Bilder eine andere Funktion, sie dienen eher der
Beglaubigung dessen, was man tut oder wer man ist, sie sollen Transparenz
erzeugen und nachvollziehbar machen, was, warum geschah. Damit bleibt das
Porträt der Macht notwendigerweise leer, weil sich das Eigentliche der
Macht dem Auge entzieht.
Für die gegenwärtige politische Debatte bleibt das relevant, weil Olaf
Scholz auch in diesem Punkt die Politik von Angela Merkel fortsetzt. [3][Er
kommuniziert, anders als Robert Habeck] oder Annalena Baerbock, eben nicht
so, wie es in der digitalen Demokratie möglich und vor allem nötig ist –
schnell, direkt, offen, reflektiert, persönlich, indem man für die eigene
Politik einsteht und sich nicht hinter dem Amt versteckt.
Habeck formuliert Widersprüche, findet eigene Kanäle für seine Botschaften,
die nicht vorformuliert und floskelhaft sind, sondern sich der Komplexität
stellen und oft auch der Unauflöslichkeit von Gegensätzen. Die [4][kurzen
Videos, in denen Habeck seine politischen Entscheidungen erklärt],
erklärt!, sind genau das Gegenteil der opaken Vollzugslogik, die Olaf
Scholz weiterbetreibt, als Merkels ewiger Vize.
Wie sehr sich diese, um das Wort nochmal zu wiederholen, Arroganz der Macht
hier verselbstständigt, hat [5][Scholz gerade noch mal auf dem
Katholikentag bewiesen], als er Klimaaktivist*innen als Nazis
beschimpfte – alles war hier falsch, auch die Sätze danach, mit denen er
dieses doch eigentlich gesellschaftlich klar formulierte zentrale Ziel, den
Klimawandel so weit wie möglich aufzuhalten, verhöhnte.
Geboren aber ist diese Arroganz auch aus einer sehr tief sitzenden
Verweigerung, in den Kontakt zu gehen mit denen, die einem die Macht
verliehen oder geliehen haben. Zur Demokratie gehören Bilder, die
beglaubigen, zur Demokratie gehören Sätze, die erklären, eine Sprache, die
Räume öffnet. Es reicht nicht, schnarrend und unwillig ein paar Brocken
hinzuwerfen, ohne Mühe, ohne Verständnis für das Gegenüber, ohne Empathie.
Demokratie ist komplizierter geworden und wird es immer mehr. Eine
regressive Ikonografie ist da genauso wenig hilfreich wie
Sprachverweigerung und Erklärungsarmut, wie sie Olaf Scholz gerade in
Sachen Ukraine und Klimawandel praktiziert.
1 Jun 2022
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Angela-Merkel/!t5007702
[2] /Bildband-ueber-die-scheidende-Kanzlerin/!5811118
[3] /Kommunikation-von-Habeck-und-Scholz/!5849318
[4] https://twitter.com/BMWK/status/1519198468383850496
[5] /Katholikentag-in-Stuttgart/!5857410
## AUTOREN
Georg Diez
## TAGS
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