| # taz.de -- Kritik an der Altkanzlerin: Merkels lautes Schweigen | |
| > Auch die ehemalige Regierungschefin erlag der Illusion eines friedlichen | |
| > Europas. Dass ihre Politik der Beschwichtigung falsch war, streitet sie | |
| > ab. | |
| Bild: Damalige Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Putin auf der Münchner Si… | |
| Butscha, Borodjanka, Mariupol – ukrainische Städtenamen, die für | |
| [1][Massenmorde] stehen. Hätte man die Barbarei verhindern und diesen Krieg | |
| voraussehen können? Die Frage, ob diese Tragödie abwendbar gewesen wäre, | |
| und die Frage nach der deutschen Rolle darin werden lauter. Der ukrainische | |
| Botschafter Andrij Melnyk gibt [2][Bundespräsident Frank-Walter | |
| Steinmeier], der lange die Russlandpolitik mitbestimmte, eine | |
| Mitverantwortung und beschuldigt die ehemalige [3][Kanzlerin Angela Merkel] | |
| der Fehlkalkulation. | |
| Steinmeier gab in dieser Woche zu, sich in Putin geirrt zu haben, und nennt | |
| die Gaspipeline Nord Stream 2 einen Fehler. Doch diese Fehler waren auch | |
| Merkels Fehler, sie werfen ein anderes, trüberes Licht auf ihre Amtszeit. | |
| Merkel ließ dieser Tage verkünden, sie stehe zu ihrer Entscheidung im | |
| Zusammenhang mit dem Nato-Gipfel 2008. Auf dem Gipfel in Bukarest warb der | |
| amerikanische Präsident George W. Bush dafür, die Ukraine und Georgien in | |
| die Nato aufzunehmen. | |
| Deutschland und Frankreich waren dagegen – aus Rücksicht auf Russland. Im | |
| Nachhinein ist es einfach zu sagen, diese Entscheidung sei falsch gewesen, | |
| denn wäre die Ukraine Nato-Mitglied, hätte Russland sie zu überfallen wohl | |
| kaum gewagt. Doch vergangene Entscheidungen lassen sich nie allein ex post | |
| bewerten, sondern nur im Kontext der historischen Verhältnisse. | |
| Im Jahr zuvor hatte Putin seine Brandrede auf der Münchener | |
| Sicherheitskonferenz gehalten, vor der monopolartigen Machtstellung der USA | |
| gewarnt und die Nato-Erweiterung als „provozierenden Faktor“ bezeichnet. | |
| Womöglich hätte es ihm als Vorwand ausgereicht, die Ukraine schon damals zu | |
| überfallen, wenn die Mitgliedsländer dem schnellen Nato-Beitritt zugestimmt | |
| hätten. Hätte, wäre – wir wissen es nicht, weil wir die Folgen unserer | |
| Entscheidungen eben nicht voraussagen können. | |
| Tatsächlich war es wohl ein strategischer Fehler, dass die EU sechs Jahre | |
| später nicht härter reagierte, als Putin die Krim annektierte und damit | |
| begann, die russischen Separatisten im Donbass mit Waffen zu versorgen. | |
| Statt Sanktionen verhängte die EU damals nur Sanktiönchen. Man ließ Putin | |
| billig davonkommen, weil das Verlangen nach billiger Energie größer war als | |
| die Sorge davor, sich zu eng an einen Autokraten zu binden, der seine | |
| Wirtschaft mit den Energie-Euros auf Krieg trimmte. | |
| ## Nord Stream 2 trotz Krim-Annexion | |
| Die Merkel-Regierung spielte eine Schlüsselrolle bei dieser | |
| Beschwichtigungspolitik. Ein Jahr nach der Annexion der Krim winkte sie | |
| trotz internationaler Warnungen den Bau von Nord Stream 2 durch – auch auf | |
| Druck des damaligen SPD-Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel – und ließ zu, | |
| dass deutsche Unternehmen ihre Gasspeicher an den russischen Staatskonzern | |
| Gazprom verhökerten. Die günstige Energie und der Wohlstand, den sie | |
| sicherte, schlugen die Bedenken. | |
| Und die Mehrheit der Deutschen sah es ja ebenso. Kaum jemand empörte sich | |
| über die Abhängigkeit von Russland, sondern lieber über die skeptischen | |
| Grünen und zu hohe Preise. Merkel, die Strategin, die Staatslenkerin, hätte | |
| es eigentlich besser wissen müssen. Doch sie glaubte eben auch daran, dass | |
| nationale Aufgaben und wirtschaftliche Interessen kompatibel seien und man | |
| es Unternehmen überlassen könnte, beide wahrzunehmen. | |
| Die der DDR-Planwirtschaft Entkommene scheute vor staatlichen Vorgaben | |
| zurück. Ein Kardinalfehler, wie sich auch bei anderen nationalen | |
| Großaufgaben zeigte. So ließ der Merkel’sche Nachtwächterstaat zu, dass | |
| der Ausbau der erneuerbaren Energien stockte, weil Sonnenenergie zu teuer | |
| und Windkraft zu streitbehaftet war. So versandete die Digitalisierung, | |
| weil die Anbieter kühl kalkulierten, dass sich zusätzliche Funkmasten in | |
| der Uckermark oder der Eifel nicht rentieren. | |
| So driftete die Gesellschaft weiter auseinander, weil jede Arbeit besser | |
| sein sollte als keine und Wohnen vor allem ein Markt und kein Grundrecht. | |
| Merkel, die die Dinge zusammenhalten wollte, hat weder die deutsche | |
| Gesellschaft noch den europäischen Kontinent zusammenhalten können. Sie | |
| wird ihren Anteil an Russlands Krieg sehen, aber sich wohl kaum dazu | |
| äußern. Es war nie ihre Art, die Dinge aus dem Off zu kommentieren. | |
| 9 Apr 2022 | |
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| [1] /Massaker-im-ukrainischen-Butscha/!5843393 | |
| [2] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-04/frank-walter-steinmeier-rus… | |
| [3] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/russland-politik-101.html | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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