# taz.de -- Bundesregierung nach der NRW-Wahl: Suche nach Rettungswegen | |
> Zwei der drei Ampelparteien haben in NRW verloren. Und nun? Eindrücke aus | |
> den Parteizentralen von SPD, Grünen und FDP. | |
Bild: Wüsste Helmut Schmidt Rat? Der amtierende Kanzler Scholz vor der SPD-Pr�… | |
Berlin taz | Am Montagvormittag steht Christian Lindner am Rednerpult der | |
FDP-Parteizentrale in Berlin. Er legt die Hände ruhig auf das Rednerpult | |
und wirkt aufgeräumt wie immer. Keine Spur von Unsicherheit. Dabei hat die | |
FDP mit 5,9 Prozent in NRW eine schlimme Niederlage erlebt. Lindner hatte | |
dort 2017 noch mehr als doppelt so viel geholt. Der FDP-Chef nennt das | |
Ergebnis „bedauerlich“ und will nun nach vorne schauen. „Die Tränen sind | |
getrocknet.“ [1][Neben ihm steht der FDP-Spitzenkandidat Joachim Stamp, der | |
angemessen verzagt in die Kameras schaut.] | |
Die Schlappe in Düsseldorf reiht sich in eine Serie von Niederlagen ein. Im | |
Saarland verpassten die Liberalen den Einzug in den Landtag, in | |
Schleswig-Holstein verloren sie massiv, auch wenn sie dort auf ein | |
schwarz-gelbes Bündnis hoffen. Nun der Sturzflug in NRW. Woran lag es? | |
FDP-Chef Lindner sieht landes- und bundesspezifische Gründe für das | |
schlechte Abschneiden. Er erwähnt die Schulpolitik in der Pandemie, | |
[2][ohne den Namen von FDP-Bildungsministerin Yvonne Gebauer zu nennen.] | |
Die hatte sich mit chaotischen Corona-Entscheidungen unbeliebt gemacht. | |
Den „dramatischen Einbruch“ bei den über 60-Jährigen führt er auf die | |
Unzufriedenheit mit der Energiepreispauschale und dem Entlastungspaket | |
zurück. Im Straßenwahlkampf habe die FDP sich anhören müssen, warum es die | |
Einmalpauschale von 300 Euro nicht auch für Rentner:innen gebe. „Obwohl | |
es gar nicht unser Modell war“, habe das an der FDP geklebt. Kurzum: miese | |
Kommunikation. NRW abhaken, besser kommunizieren und weitermachen – das ist | |
die wenig selbstkritische liberale Fehleranalyse im Kern. | |
SPD-Chef Lars Klingbeil sagt am Montag im Willy-Brandt-Haus gefasst: „Wir | |
haben das Rennen um Platz eins deutlich verloren.“ Und: „Die CDU hat | |
Nordrhein-Westfalen gehalten.“ Die SPD-Spitze pendelt am Tag danach | |
zwischen zerknirschter Anerkennung der Niederlage und leicht verzweifelt | |
wirkender Suche nach Rettungswegen. So wird der Fakt, dass man verloren | |
hat, mit einer Reihe von Konjunktiven umrankt. | |
SPD-Kandidat [3][Thomas Kutschaty will die Hoffnung, es doch zum | |
Ministerpräsidenten zu bringen, noch nicht aufgeben.] Die CDU habe als | |
Wahlsieger das Vorschlagrecht, aber damit sei Schwarz-Grün ja längst noch | |
nicht beschlossen. „Wir stehen für Gespräche mit Grünen und FDP bereit“,… | |
der SPD-Mann. | |
Der SPD-Linke Ralf Stegner hofft auf den Faktor Zeit. „Am Ende muss die | |
Mehrheit stehen“, sagt er der taz. Und erinnert an Kohl, der 1976 fast die | |
absolute Mehrheit hatte und trotzdem nicht Kanzler wurde. Richtig ist: Ab | |
heute wird nebensächlicher, wer zu den Wahlverlierern, wer zu den Siegern | |
gehört. Und immer wichtiger, welche Koalition besser funktioniert. | |
Doch all das ist eher ein schmerzstillendes Pflaster, mit dem die SPD die | |
eigene Wunde versorgt. Eine Ampel wäre in Düsseldorf rechnerisch möglich. | |
Aber die Liberalen scheinen sie abgehakt zu haben. „Wir werden in | |
Nordrhein-Westfalen eine schwarz-grüne Regierung bekommen“, sagt FDP-Mann | |
Stamp. Und Lindner erklärt: Eine Ampel in NRW hätte „keine innere | |
Legitimation“. | |
So bleibt der SPD wohl nur, zu erkunden, warum sie verloren hat. Auch da | |
geht es um viel. Denn hinter der wundersamen Wiederauferstehung der SPD im | |
Bund 2021 steht nun ein Fragezeichen: Woran hat es in NRW gelegen? | |
## Die Grünen sprechen ihren Koalitionspartnern Mut zu | |
Laut SPD-Chef Klingbeil ist es nicht gelungen, die Entlastungspakete zu | |
adressieren und klarzumachen, dass die SPD die Sorge vor Inflation und | |
steigenden Preisen ernst nimmt. Auch Kutschaty weist darauf hin, dass die | |
Partei besonders stark bei Wähler:innen mit unterem Einkommen verloren | |
hat. | |
Erstaunlicherweise klingt Klingbeils Erklärung ein wenig so wie die von | |
Lindner. Das Entlastungspaket war’s – im Übrigen müsse man „stärker | |
kommunizieren“, was man alles für Gering- und Normalverdiener tue. Die | |
zweite Botschaft der Wahl lautet aus Klingbeils Sicht: Man habe „zu viel | |
über Waffenlieferungen und zu wenig über Lebensmittelpreise“ geredet. Die | |
SPD habe sich zu viel um die Hauptstadtbubble und zu wenig um die | |
Alltagssorgen gekümmert. Die SPD hat in NRW ungefähr gleich viel an Grüne | |
(300.000) und Nichtwähler (260.000) verloren. Insofern erklärt Klingbeils | |
Deutung nur die halbe Niederlage. | |
Die Grünen, mit 18 Prozent überragend erfolgreich, sehen bundespolitische | |
Gründe. An ihren Wahlkampfständen, heißt es, wurden sie oft auf Krieg und | |
Klima angesprochen. Kanzler Scholz, der zu spät anfing, seine | |
Ukrainepolitik zu erklären, hat die SPD in NRW nicht gerettet. Bei den | |
Grünen war das anders: Laut Umfragen haben Robert Habeck und Annalena | |
Baerbock bei dem Erfolg in NRW geholfen. | |
Den Grünen geht es nach diesem Erfolg blendend – so gut, dass sie sich | |
mühen, den Koalitionspartnern und Wahlverlierern SPD und FDP Mut | |
zuzusprechen. Die grüne Geschäftsführerin Emily Büning redete Sonntagabend | |
den eigenen Höhenflug klein. Im Krieg sei es ja logisch, dass | |
Außenministerin und Wirtschaftsminister öffentlich präsent sind. Im | |
Hintergrund steuere aber der Kanzler. Parteichef Omid Nouripour erklärt den | |
grünen Sieg mit viel Understatement zu einer „Momentaufnahme“. Diese | |
lässige Bescheidenheit leistet sich nur, wer sich sicher sein kann. Die | |
Grünen hoffen, dass ihr kühner Traum von 2021, sich als dritter Player auf | |
Augenhöhe neben SPD und Union zu etablieren, wieder aktuell ist. | |
Was passiert also, wenn Schwarz-Grün in Düsseldorf regiert? „Die Ampel war | |
nie unser Wunschtraum“, sagt FDP-Chef Lindner, um dann die staatspolitische | |
Verantwortung der FDP in den Zeiten von Krieg und Krise zu betonen. Es gehe | |
um das Land, nicht um „Geländegewinne für die FDP“. Doch langsam wird der | |
Boden für die FDP knapp. Ihre Klientel goutiert den Lagerwechsel der | |
Liberalen nicht. | |
Werden die Fliehkräfte in der Ampel weiter zunehmen? SPD-Mann Stegner | |
fürchtet, dass Schwarz-Grün schon wegen der Größe von NRW „das Regieren in | |
Berlin schwerer machen“ wird. Aus Sicht vieler Grüner hat die FDP ohnehin | |
viel Beinfreiheit. Sie durfte die Impfpflicht verhindern, bekommt gegen | |
alle Vernunft den Tankrabatt und arbeitet überschaubar engagiert an der | |
Verkehrswende. Grünen-Chef Nouripour macht sich „um das Nervenkostüm | |
anderer überhaupt keine Sorgen“. Aber das mag etwas zu optimistisch sein. | |
Auch wenn die FDP-Führungsspitze Verlässlichkeit verspricht – das sagt | |
nichts darüber aus, ob die FDP insgesamt weiterhin geschlossen agiert. Im | |
Verteidigungsausschuss tat der FDP-Abgeordnete Marcus Faber öffentlich | |
seinen Unmut über Scholz kund – und trat danach von seinem Sprecherposten | |
zurück. Vielleicht ist das nur ein Vorgeschmack auf künftige Szenarien. | |
16 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
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