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# taz.de -- Rolle der FDP in Ampelkoalition: Plötzlich Schuldenkönig
> Die Liberalen können in der Ampelregierung viel verhindern, aber wenig
> gestalten. Das zeigt sich besonders in der Person des Finanzministers.
Bild: Finanzminister Christian Lindner spricht im Bundestag
Christian Lindner ist noch nicht lange Bundesfinanzminister, aber er hatte
einen denkbar schwierigen Start. „Es gibt Wochen, die Dekaden prägen“,
sagte er bei der IWF-Frühjahrstagung am Mittwoch in Washington. Keine
konjunkturelle Erholung nach der Pandemie, hohe Inflation, hohe
Lebensmittelpreise und Lieferkettenprobleme.
Der Angriffskrieg in der Ukraine hat die gekannte Ordnung auf den Kopf
gestellt. Lindners Traum vom sparsamen Hüter der Finanzen, der den Linken
auf die Finger schaut, hat sich in Luft aufgelöst. Dazu kommt: Der FDP-Chef
wurde positiv auf das Coronavirus getestet – dabei steht am Wochenende der
Bundesparteitag der Liberalen in Berlin an. Dort wird es vor allem um den
Kurs der Partei zwischen Pandemie, Klimakrise und Ukrainekrieg gehen –
Themen mit ausreichend Konfliktpotential.
Nicht nur, weil sich der [1][FDP-Chef] beim Streitthema schwere Waffen
bislang auffällig zurückgehalten hat – während Politiker:innen von
Grünen und FDP Bundeskanzler Olaf Scholz offen Führungsschwäche vorwerfen.
Schwerer wiegt für ihn, dass er gegen alle Erwartungen zum Schuldenkönig
wurde: 60 Milliarden Euro Nachtragshaushalt schob er an der Schuldenbremse
vorbei in den Klima- und Transformationsfonds, hinzu kommen 100 Milliarden
Sondervermögen für die Bundeswehr, zwei teure Entlastungspakete und Hilfen
für die Ukraine. Lindner mag noch so oft beteuern, dass ab 2023 wieder die
Schuldenbremse gilt. An diesem Vorhaben hängt mittlerweile ein großes
Fragezeichen.
Zur Freude der Union: Beide Parteien buhlen um das konservative Bürgertum.
Die Union klagte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Umschichtung
des Nachtragshaushalts. Wird das Vorgehen tatsächlich für verfassungswidrig
erklärt, wird das vor allem den Finanzminister beschädigen. Dabei läuft es
jetzt schon nicht gut für die Liberalen: 11,5 Prozent holten sie bei der
Bundestagswahl, heute stehen sie in Umfragen bei 8 bis 9 Prozent. In einem
Bündnis mit zwei linken Parteien dürfen sie ihr Profil nicht verlieren,
gleichzeitig darf es nicht so wirken, als seien sie in der Opposition – ein
Eindruck, der sich aber zuweilen aufdrängt.
Alte Gewissheiten gelten gerade nicht mehr: SPD und Grüne verantworten
Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. Robert Habeck reiste nach Katar, um
über neues Gas zu verhandeln, und die SPD macht eine Kehrtwende in ihrer
Russlandpolitik. Die FDP hingegen bleibt beim Tempolimit stur. Dieses
wurde im Koalitionsvertrag auf Wunsch der FDP explizit ausgeschlossen. Dass
SPD und Grüne dieses Fass wieder neu aufmachen, kann als Zeichen wachsenden
Unmuts über den kleinsten Koalitionspartner gedeutet werden.
Dabei versprach die Ampel eine neue politische Kultur: Politik als
gemeinsames Projekt, der Abschied vom Koch-und-Kellner-Prinzip,
Vertraulichkeit. Doch von der Anfangseuphorie ist nur noch wenig übrig.
Dass die Regierung bei grundlegend unterschiedlichen Auffassungen wenig
handlungsfähig ist, zeigte sich besonders bei der [2][Impfpflicht], die
krachend scheiterte. Nur 5 von 92 FDPler:innen stimmten für den von
Ampel-Abgeordneten vorgelegten Gesetzentwurf. Die Ampel erweist sich als
fragiles Konstrukt. Bei strittigen Fragen lässt sich schwer eine Mehrheit
organisieren. Das Desaster könnte sich beim 100-Milliarden-Sondervermögen
für die Bundeswehr wiederholen.
Auf den ersten Blick wirkt die FDP wie eine innere Blockade: Nein zu
Steuererhöhungen, Nein zum Mietendeckel, Nein zur Maske, Nein zur
Impfpflicht, Nein zum Tempolimit. Dafür ein unsinniger Tankrabatt, der auch
unter Ökonomen umstritten ist. Die starke Vetomacht der FDP ist weniger
Verhandlungsgeschick, sondern der Arithmetik der Ampel geschuldet. Dass die
FDP Zugeständnisse braucht, um sich auf die erste Ampelkoalition auf
Bundesebene einlassen zu können, war von Anfang an klar. Zudem musste sie
harte Kompromisse machen: den Mindestlohn von 12 Euro etwa.
Um handlungsfähig zu bleiben, versucht sich die Ampel bei kontroversen
Themen erst gar nicht an einem Kompromiss, bei dem sich alle drei Parteien
aufeinander zubewegen. Sie setzt vielmehr auf Teilerfolge – zu beobachten
beim zweiten Entlastungspaket: Die FDP hat den Tankrabatt durchgesetzt, die
Grünen ein billiges Nahverkehrsticket, die SPD 300 Euro Lohnzuschuss. Es
fehlt die übergeordnete Idee, die Ausgaben addieren sich. Damit ist die
Politik der Ampel vor allem: sehr teuer.
## Verhindern oder ermöglichen?
Das stellt die FDP vor besondere Herausforderungen. Beim ihr wichtigen
Thema Finanzen kann sie nicht punkten. Aufgefallen ist sie bisher vor allem
mit ihrem Lockerungskurs in der Coronapolitik, der aber für Unmut bei den
Koalitionspartnern und auch in der Bevölkerung sorgt. Die Partei wäre gut
beraten, nicht in eine ähnliche Rolle wie in ihrer letzten Regierungszeit
mit der Union 2009–2013 zu fallen – was bekanntermaßen für die Liberalen …
Desaster endete. 2013 verpassten sie erstmals den Einzug in den Bundestag.
Die Gründe dafür waren vielfältig: Profillosigkeit, interne Querelen und
das Gebaren einer Oppositionspartei. Außer der umstrittenen
Mövenpick-Steuer für Hoteliers blieb wenig in Erinnerung.
Das Problem der FDP ist aber: Sie kann in der Ampel verhindern, aber wenig
gestalten. Etliche Projekte aus dem Koalitionsvertrag haben noch kein
Preisschild – die Kindergrundsicherung oder das Bürgergeld etwa. Lindner
wird priorisieren müssen, darf aber nicht die Geduld der Koalitionspartner
überstrapazieren. Wird er verhindern oder ermöglichen?
[3][Christian Lindner] ist sich der misslichen Lage offenbar bewusst. Als
er jüngst erneuerbare Energien als „Freiheitsenergien“ bezeichnete, war das
kein Versuch, grüner als die Grünen zu werden. Es war der Versuch, die
eigene Klientel auf mehr Klimaschutz einzustimmen. Denn immer nur Nein
sagen ist auf Dauer keine Option.
22 Apr 2022
## LINKS
[1] /Die-FDP-und-der-Benzin-Rabatt/!5843674
[2] /Nachrichten-in-der-Coronapandemie/!5848090
[3] /Politologe-ueber-Krise-von-Scholz/!5849412
## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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