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# taz.de -- Bundesparteitag der FDP: Lindner auf Regierungslinie
> Auf dem FDP-Parteitag kritisieren Delegierte den Kurs der Ampel. Doch der
> Parteichef verteidigt seine Koalitionspartner – und kritisiert die Union.
Bild: Gesundheitlich angeschlagen, aber einig mit SPD-Kanzler Olaf Scholz: FDP-…
Berlin taz | Als Christian Lindner etwas angeschlagen vom Bildschirm ins
Publikum guckt, ist klar, dass dieser FDP-Parteitag anders wird. Wegen
einer Coronainfektion wird der FDP-Chef und Bundesfinanzminister aus
Washington digital zugeschaltet. Seine Haut glänzt, fit sieht er nicht aus
– er beteuert aber später auf Twitter, das sei nur der fehlenden Maske und
der Uhrzeit geschuldet gewesen. Zum Zeitpunkt seiner Rede am Samstag ist es
6 Uhr morgens in Washington. Lindner nimmt die unfreiwillige Trennung mit
Humor: Das sei „Ausdruck der transatlantischen Partnerschaft“.
Etwas skurril wirkt es dennoch: Während Lindner in einem Hotelzimmer in
Quarantäne sitzt, tummeln sich in Berlin rund 600 Delegierte am Samstag und
Sonntag in der Berliner Veranstaltungshalle Station und feiern die Rückkehr
zur Normalität. Keine Testpflicht, kaum jemand trägt Maske, die Stimmung
ist locker in der Freedomday-Partei. „Die Pandemie ist nicht vorüber“, sagt
Lindner – und führt sich selbst als Beispiel an. Er verteidigt dennoch die
weitgehende [1][Abschaffung der meisten Coronaregeln], die die FDP
durchgeboxt hat.
Es ist der erste Parteitag für die FDP seit Regierungseintritt. Während
sich die Krisen Krieg, Klimawandel und Pandemie multiplizieren, hakt es in
der Ampelkoalition gerade mächtig. Die Impfpflicht ist kürzlich
[2][gescheitert]. Bei der Coronapolitik wächst der Unmut bei Grünen und SPD
über die Liberalen. Die Haushaltslage stellt den Finanzminister vor eine
Riesenherausforderung. Die Umfragen für die Liberalen sehen nicht gut aus,
obwohl wichtige Landtagswahlen anstehen.
Und überschattet wird das Ganze vom russischen Angriffskrieg. In der
Koalition tobt Streit darüber, ob Deutschland [3][schwere Waffen an die
Ukraine liefern] soll und ob Kanzler Olaf Scholz seinen Job gut genug
macht. Lindner hielt sich hier zuletzt auffällig zurück, während
FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes [4][Strack-Zimmermann vehement die
Lieferung schwerer Waffen forderte] und dem Kanzler Führungsschwäche
vorwarf.
## Lindner attestiert Scholz ein „inneres Geländer“
Auf dem FDP-Parteitag wird schnell klar: Lindner entscheidet sich für den
staatsmännischen Kurs. „In der Ukraine wird um die Werte gekämpft, die uns
wichtig sind. Und deshalb muss die Ukraine diesen Krieg gewinnen. Und die
Ukraine wird diesen Krieg gewinnen“, sagt er. Für Lindner heißt das auch:
Die Ukraine braucht schwere Waffen für den Sieg. Aber es dürfe nicht zu
einer Gefährdung der Sicherheit Deutschlands und des Nato-Gebiets kommen.
„Wir dürfen keine Kriegspartei werden.“ Ausdrücklich stellt sich Lindner
hinter den Kanzler. Dieser wäge „sorgsam ab“ und zeige ein „inneres
Geländer“. Scholz habe „das Vertrauen der FDP und auch ihrer Fraktion im
Deutschen Bundestag“.
Doch das sehen offenbar nicht alle so. Als später Strack-Zimmermann in
einer energischen Rede kein Zaudern und Zögern, sondern „Kühnheit und Mut“
fordert, erhält sie Standing Ovations. Sie warnt vor einer falschen
Rücksichtnahme auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Auch
FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki beklagt sich über „das Bild, das viele
Vertreter der größten Regierungspartei gerade vor den Augen der
Weltöffentlichkeit abgeben“.
Das kann auch als Arbeitsteilung verstanden werden: Für den Part
Regierungstreue ist Lindner zuständig, um die Brüche innerhalb der Ampel
nicht weiter zu vertiefen. Den Part Profilierung müssen andere übernehmen.
Mit großer Mehrheit stimmen die Delegierten am Samstagabend einem Antrag
des Bundesvorstands zu, die Ukraine stärker zu unterstützen – auch mit
schweren Waffen. „Worte alleine zählen nicht, es zählen Taten, es kommt auf
jede Stunde an“, sagt der auf dem Parteitag neu gewählte
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
Im Antrag heißt es nun: „Das wichtigste und kurzfristig wirksamste Mittel,
um den russischen Vormarsch zu stoppen, ist die deutliche Intensivierung
und Beschleunigung der Lieferung hochwirksamer und dabei auch schwerer
Waffen an die ukrainische Armee.“ Deutschland müsse diese Waffen so
liefern, dass sie schnell von der Ukraine eingesetzt werden könnten.
Zusätzlich müsse die ukrainische Armee unterstützt werden durch die
„schnelle Bereitstellung von Rüstungsgütern durch die deutsche Industrie,
für die Deutschland wie angekündigt die Finanzierung übernimmt“.
Doch auffällig ist: Die Debatte über schwere Waffen verläuft oberflächlich.
Die Argumente von Scholz, dass Marderpanzer von der ukrainischen Armee
nicht bedient werden können und dass die Bundesregierung derzeit nicht mehr
liefern könne, werden nicht besprochen.
## Auch in der Energiepolitik bleibt die FDP auf Koalitionslinie
Etwas heißer diskutiert wird die mit dem Krieg zusammenhängende
Energiepolitik. Am Ende bleibt der Parteitag aber auf Koalitionslinie: Die
Forderung nach einem sofortigen Importstopp für Energie aus Russland, die
unter anderem vom Bezirksverband Oberbayern eingebracht wurde, lehnt die
Parteiführung ab. „Die politische Intention ist mir sehr sympathisch“, sagt
der neue Generalsekretär, [5][Bijan Djir-Sarai]. Aber es wäre
„außerordentlich unklug, wenn wir unsere wirtschaftliche Stabilität
gefährden würden“. Eine deutliche Mehrheit der Delegierten lehnt einen
sofortigen Exportstopp daraufhin ab. Gefordert wird im schließlich
verabschiedeten Antrag zum Ukrainekrieg deshalb nur, dass Deutschland die
Importe aus Russland „schnellstmöglich“ beenden soll – was das heißt,
bleibt offen.
Um auf Gas, Öl und Kohle aus Russland verzichten zu können, fordert die FDP
zum einen den „konsequenten und zügigen Ausbau erneuerbarer
Freiheitsenergien“, zum anderen Terminals für den Import von Flüssiggas an
der deutschen Küste. Diese Forderungen stehen im Einklang mit dem Kurs des
grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck.
Ein Konflikt drohte dagegen beim Thema Atomkraft: In mehreren Anträgen war
eine Laufzeitverlängerung für die noch am Netz befindlichen deutschen
Reaktoren gefordert worden. Im beschlossenen Ukraine-Antrag wird dieser
Wunsch jedoch nur sehr unverbindlich aufgenommen: Gefordert wird darin
keine Laufzeitverlängerung, sondern lediglich eine Debatte darüber. Zudem
spricht sich die FDP für eine „ideologie- und technologieoffene Erforschung
neuer Generationen von Kernenergie“ aus. Noch zurückhaltender ist in dieser
Frage Parteichef Lindner: In seiner 40-minütigen Rede plädiert er zwar für
eine verstärkte heimische Gasförderung – das Thema Atomkraft erwähnt er
dagegen mit keinem Wort.
## Mehr Unterstützung für die Bundeswehr gefordert
Ein wichtigeres Profilierungsfeld für die FDP ist offenbar die Bundeswehr.
Diese müsse materiell gestärkt werden, und auch ideell brauche es ein neues
Verhältnis zu den Soldat:innen, sagt Lindner. FDP-Parlamentsgeschäftsführer
Johannes Vogel bestärkt das: Die sicherheitspolitische Debatte in
Deutschland sei in den vergangenen Jahren von einem „Vulgärpazifismus“
geprägt gewesen. Zu oft würden Soldat:innen in der Gesellschaft
angefeindet. Dass in der Bundeswehr immer wieder rechtsextreme Netzwerke
aufgeflogen sind, ist offenbar nicht erwähnenswert. Schließlich sollen 100
Milliarden Euro Sondervermögen die Bundeswehr wieder aufpeppen.
Doch die Union könnte das torpedieren. Lindner spricht deshalb harte Worte
in Richtung Union. In Zeiten des Krieges habe er kein Verständnis „für
parteipolitische Manöver“. Es gehe der Union offenkundig darum, „die
Regierungskoalition in Schwierigkeiten zu bringen“, kritisiert er und
fordert von CDU und CSU „staatspolitische Mitverantwortung“. Schließlich
sei die Union auch mitschuldig an der Vernachlässigung der Bundeswehr.
## Lindner attackiert die Union, Merz koffert zurück
Darauf reagiert der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sogleich in der Bild am
Sonntag. Merz kündigt zwar auch eine Aufarbeitung der Russlandpolitik
seiner Partei an, droht aber, dem geplanten [6][Sondervermögen von 100
Milliarden Euro] für die Bundeswehr nicht zuzustimmen. Nur wenn das Geld
„ausschließlich der Aufrüstung der Bundeswehr zugutekommt“ und dauerhaft
mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben
werden, sei die Union bereit zuzustimmen. Zudem plant die Union im
Bundestag einen eigenen Antrag zur Lieferung von schweren Waffen an die
Ukraine – was die Ampel ebenfalls unter Druck setzt.
Dass sich Union und FDP aneinander abarbeiten, ist wenig verwunderlich:
Beide wollen das konservative Bürgertum ansprechen, das Wert legt auf
solide Finanzen. Lindner beteuerte deshalb auch, dass es mit der FDP keine
Steuererhöhungen und keine Aufweichung der Schuldenbremse geben wird. Das
findet sich auch im am Sonntag recht zügig verabschiedeten Leitantrag
„Freiheit sichern, Werte schaffen – für eine wehrhafte liberale Demokratie
in Deutschland und Europa“ wieder, bei dem es ebenso wie im
Ukrainebeschluss vorrangig um Sicherheitspolitik und Energiepolitik geht.
Ein kleiner Seitenhieb findet sich aber auch gegen den früheren SPD-Kanzler
Schröder: „Ehemaligen Repräsentanten der obersten Verfassungsorgane“, die
bezahlte Positionen in ausländischen Staatsunternehmen autoritärer Staaten
annehmen, sollten keine Büros durch Steuermittel finanziert bekommen.
Der neue Generalsekretär Djir-Sarai räumt in seiner Rede ein, dass sich mit
dem Ukrainekrieg die politischen Prioritäten in Deutschland geändert
hätten. „Die Richtigkeit der Ziele des Koalitionsvertrags“ hätten sich ab…
nicht verändert, nur einige Rahmenbedingungen. Den Ukrainekrieg bezeichnete
er als „Schande unserer Zeit“. Man solle künftig weiter auf Handel setzen,
aber nicht mit Staaten, die „unsere Werte ablehnen“.
Dann ist Djir-Sarai zum Abschluss auch um Ermutigung bemüht: So
hoffnungslos die Situation erscheine – der Einsatz für Freiheit und
Bürgerrechte „sei immer die richtige Antwort“.
23 Apr 2022
## LINKS
[1] /Ende-fast-aller-Corona-Massnahmen/!5842993
[2] /Scheitern-der-Impfpflicht-im-Bundestag/!5843564
[3] /Deutsche-Waffenlieferungen/!5846551
[4] /FDP-Politikerin-ueber-Energieembargo/!5843426
[5] /FDP-Politiker-Djir-Sarai-ueber-seine-Partei/!5846835
[6] /Bundeswehr-Sondervermoegen-im-Bundesrat/!5848306
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
Jasmin Kalarickal
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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