| # taz.de -- FDP-Politiker Djir-Sarai über seine Partei: „Etwas General, etwa… | |
| > Bijan Djir-Sarai floh einst aus dem Iran. Nun wird er neuer | |
| > FDP-Generalsekretär. Ein Gespräch über sein erstes Sprudelwasser – und | |
| > die kaum diversen Liberalen. | |
| Bild: „Der typische NRWler muss nicht Karl-Peter heißen“, sagt FDP-Politik… | |
| taz: Herr Djir-Sarai, auf dem Parteitag dieses Wochenende werden Sie zum | |
| Generalsekretär der FDP gewählt. Bis vor Kurzem waren Sie außenpolitischer | |
| Sprecher der Fraktion im Bundestag. Wie verfolgen Sie gerade den Krieg in | |
| der Ukraine? | |
| Bijan Djir-Sarai: Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die | |
| Ukraine ist schrecklich. Die [1][Gräuel der russischen Armee], die wir seit | |
| Wochen auf ukrainischem Boden sehen, machen mich fassungslos. Die Ukraine | |
| hat unsere volle Solidarität. Daher müssen wir jetzt auch schnellstmöglich | |
| weitere und vor allem [2][schwere Waffen an Kiew] liefern, damit sich die | |
| Ukraine weiterhin verteidigen kann. | |
| Millionen Menschen fliehen derzeit aus der Ukraine, Hunderttausende sind in | |
| Deutschland angekommen. Worauf kommt es jetzt an? | |
| Die Hilfsbereitschaft, die wir derzeit in Deutschland und insbesondere auch | |
| in Polen sehen, ist einfach überwältigend. Wir müssen die geflüchteten | |
| Menschen mit allem unterstützen, das sie dringend benötigen: einer sicheren | |
| Bleibe, Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung. Es ist sehr | |
| gut, dass die Bundesregierung hier in Zusammenarbeit mit den Ländern | |
| entschlossen zur Tat schreitet. | |
| Auf dem Dreikönigstreffen Ihrer Partei im Januar haben Sie gesagt: „Mir | |
| muss keiner erklären, was Freiheit ist.“ Sie haben als Kind den Iran vor | |
| und nach der Revolution 1979 erlebt und den Iran-Irak-Krieg. Müssen Sie | |
| denn manchmal den Freien Demokraten erklären, was Freiheit ist? | |
| Nein, das muss ich bei niemandem tun. Das wäre ja auch vermessen. Menschen, | |
| die das Glück haben, nie einen Krieg erlebt zu haben, halten Frieden und | |
| Freiheit oft für selbstverständlich. Darüber freue ich mich. Frieden sollte | |
| selbstverständlich sein. Andererseits bin ich Realist und gehöre zu | |
| denjenigen, die wissen, wie es ist, nicht in Frieden und Freiheit zu leben. | |
| Aber ich werde deswegen nicht dozierend durch die Gegend ziehen. | |
| Ihre Eltern fürchteten um Ihre Sicherheit und schickten Sie mit elf Jahren | |
| alleine nach Deutschland, nach Grevenbroich. Sie kamen zu einem Onkel, den | |
| sie bis dahin nicht richtig kannten. Wie hat Sie das geprägt? | |
| In dem Moment war mir sofort klar, dass meine Kindheit jetzt zu Ende ist. | |
| Ich wusste zwar, dass die Situation alternativlos ist, aber für mich war | |
| alles fremd: die Menschen, die Umgebung, das Essen, selbst das Wasser. Als | |
| ich das erste Mal Sprudelwasser bekam, habe ich es gar nicht | |
| herunterbekommen. In der Schule habe ich kein Wort verstanden. Selbst in | |
| Mathe, wo ich im Iran in der Schule richtig gut war, konnte ich nicht | |
| mitkommen, weil ich die Textaufgaben nicht verstand. | |
| Das klingt hart für ein Kind. | |
| Mein gesamtes Umfeld in Grevenbroich war sehr liebevoll und hat mich sehr | |
| unterstützt. Trotzdem zog sich ein gewisser Frust wie eine rote Linie durch | |
| mein Leben. Der größte Schmerz ist, wenn man aus seinem gewohnten Umfeld | |
| gerissen wird und alles hinter sich lassen muss. Das kann man kaum | |
| verstehen, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Leute, die über geflüchtete | |
| Menschen schimpfen, haben einfach keine Vorstellung davon, was Flucht und | |
| Vertreibung bedeuten. Für eine Flucht entscheidet sich niemand freiwillig, | |
| es ist ein traumatisierendes Erlebnis. | |
| Sie sind kurz nach ihrer Einbürgerung bereits in die FDP eingetreten. | |
| Warum? | |
| Ich bin zur FDP gegangen, weil ich mir eine liberale und tolerante Welt | |
| wünsche. Ich habe mich immer für Wirtschaft und Politik interessiert, | |
| insbesondere für Außenpolitik. Hans-Dietrich Genscher war ein großes | |
| Vorbild für mich. Aber ich habe mir damals nicht vorstellen können, | |
| irgendwann einmal selbst in die Politik zu gehen. Ich dachte, Politik ist | |
| ein Feld, auf dem Menschen wie ich wenig Chancen haben. | |
| Als Christian Lindner Sie als künftigen Generalsekretär vorschlug, haben | |
| Sie bei Ihrer Vorstellung gesagt: „Sie merken es an meinem Namen und meinem | |
| Akzent: Ich komme aus Nordrhein-Westfalen.“ Wollten Sie mit einem Witz | |
| thematisieren, dass Sie ein Politiker mit Migrationsgeschichte sind, damit | |
| das nicht unausgesprochen bleibt? | |
| Wie soll ich sagen – ich bin ein humorvoller Mensch und lache gerne über | |
| diese Dinge. Aber dahinter steckt auch eine klare Botschaft: Der typische | |
| NRWler muss nicht Karl-Peter heißen. Ich bin genauso Rheinländer und | |
| Deutscher. Dass Menschen zuwandern, ist eine Normalität in unserer | |
| Gesellschaft. Auf diese Normalität bin ich sehr stolz. | |
| Es ist aber keine Normalität, diese Menschen in der Politik zu sehen. | |
| Da haben Sie recht. Ich bedaure das sehr. Vor allem, wenn Sie sich in der | |
| Kommunalpolitik umschauen – Bürgermeister, Landräte –, da gibt es kaum | |
| Menschen mit Migrationshintergrund. Im Übrigen gibt es dort auch zu wenig | |
| Frauen. Dabei sind das wichtige und interessante Berufe. Ich wünsche mir, | |
| dass die Politik die gesamte Gesellschaft noch viel stärker abbildet. Mein | |
| Bauchgefühl sagt mir, dass das in den nächsten Jahren auch so kommen wird. | |
| Sie haben gesagt, Sie konnten es sich anfangs nicht vorstellen, Politiker | |
| zu werden. Warum ist es trotzdem so gekommen? | |
| Als ich Cem Özdemir als Bundestagsabgeordneten das erste Mal im Fernsehen | |
| sah, hat mich das schlicht umgehauen. Mir war es egal, bei welcher Partei | |
| er ist. Es war einfach so außergewöhnlich, jemanden in der deutschen | |
| Politik zu sehen, der Cem Özdemir heißt. Leider stoßen Menschen mit | |
| Migrationsgeschichte viel zu oft gegen unsichtbare Mauern. Cem Özdemirs | |
| Präsenz wirkte daher unglaublich motivierend auf mich. Es war wie ein | |
| Signal: Streng dich an. Wir sind nicht automatisch Außenseiter in dieser | |
| Gesellschaft. Eins ist also klar: Wir brauchen mehr Vorbilder. Über | |
| Migration und Integration wird zu oft negativ gesprochen. | |
| Vor der Bundestagswahl wollten Sie ein Netzwerk aufbauen, um mehr Menschen | |
| mit Migrationsgeschichte für die FDP zu begeistern. Dann kam die Pandemie. | |
| Gibt es einen neuen Stand? | |
| Diese Sache hat sich erfreulicherweise sehr gut weiterentwickelt. Junge | |
| Menschen mit Migrationshintergrund, die auch Mitglieder der FDP sind, haben | |
| selbst ein Netzwerk gegründet, das sich [3][Liberale Vielfalt] nennt. Ich | |
| hoffe, sie werden demnächst eine offizielle Vorfeldorganisation der FDP. | |
| Wenn man mit diesen jungen Leuten diskutiert, merkt man, dass da eine sehr | |
| selbstbewusste, gut ausgebildete und hochpolitische neue Generation | |
| unterwegs ist. Das macht Spaß. Ich möchte, dass sich mehr Frauen und mehr | |
| Menschen mit Migrationsgeschichte politisch engagieren. Gerade für | |
| eine liberale Partei ist Diversität ein Muss. | |
| Woran liegt es, dass es in der FDP nicht so ist? Nach einer Recherche des | |
| Mediendienstes Integration haben nur 5,4 Prozent der FDP-Abgeordneten einen | |
| Migrationshintergrund. Schlechter ist es nur in der Union. | |
| Es ist ein Grundproblem in der gesamten politischen Landschaft, dass zu | |
| wenig Menschen mit Migrationshintergrund in Parlamenten sitzen. Ich | |
| verstehe es als meine Aufgabe, diesen Umstand für die FDP zu ändern. Ich | |
| kenne viele Menschen, die aus einfachen Verhältnissen kommen, die Deutsch | |
| nicht als Muttersprache haben und die sich hier etwas aufgebaut haben – | |
| klassische Aufstiegsgeschichten also, wie sie die SPD früher erzählt hat. | |
| Viele dieser Menschen denken womöglich automatisch, sie müssten zu den | |
| Grünen oder zur SPD gehen, obwohl sie politisch liberal denken. Die FDP | |
| erscheint ihnen zu weit weg. Ich sage aber: Wir sind Anlaufstelle für genau | |
| diese Menschen und freuen uns über jede und jeden Einzelnen. | |
| Sie sind kein Mann der scharfen Töne. Wird sich das als Generalsekretär | |
| ändern? | |
| Solange es sachlich bleibt, gehören zugespitzte Debatten dazu. Ich mache | |
| deutlich, dass wir eine gut funktionierende Regierungskoalition sind, aber | |
| keine Fusion eingegangen sind. Denn bei der nächsten Bundestagswahl werden | |
| wir nicht als Ampelparteien auf dem Zettel stehen. Zum anderen will ich in | |
| die Partei hineinschauen und dort Prozesse und Veränderungen herbeiführen. | |
| Also etwas General, etwas Sekretär. Aber auf gar keinen Fall ein weiterer | |
| Regierungssprecher. | |
| Welche Schwerpunkte sollte die Partei setzen? | |
| Die FDP hat eine hohe Kompetenz in den Themen Finanzen und Digitalisierung | |
| oder in der Wirtschaftspolitik. Das ist sehr gut so, aber ich wünsche mir, | |
| dass sich meine Partei künftig noch stärker an gesellschaftspolitischen, | |
| sozialpolitischen und integrationspolitischen Debatten beteiligt. | |
| 23 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
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