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# taz.de -- Mangelnde Barrierefreiheit bei der Bahn: Steige ein, wer kann
> Wer ICE fahren will, muss Stufen erklimmen. Für Menschen im Rollstuhl ist
> das ein Problem. Auch die neuen Vorzeigezüge ändern daran nichts.
Bild: Neuer ICE 3neo: mehr Geschwindigkeit, mehr Komfort – aber nicht für al…
Berlin taz | Der neue ICE 3neo ist schnell, digital, und
frequenzdurchlässige Fensterscheiben ermöglichen das Telefonieren während
der Fahrt. Die Deutsche Bahn wirbt entsprechend mit einem Zugewinn an
„Qualität und Komfort“. Für alle Bahnfahrer:innen gilt der aber nicht.
Behindertenverbände sind wütend, weil man immer noch Stufen nehmen muss, um
in den Zug zu kommen. Das ist für viele Menschen [1][beschwerlich oder gar
unmöglich].
Rollstuhlfahrer:innen kommen bislang nur mithilfe eines Hublifts in
die ICE der Deutschen Bahn. Angesichts dessen, dass auch die 73 nagelneuen
3neo-Züge keinen stufenlosen Einstieg bieten, wird das wohl auch erst mal
so bleiben.
Das ist fatal, findet Alexander Ahrens, Sprecher der Interessenvertretung
Selbstbestimmt Leben. Er weiß aus Erfahrungsberichten, dass die Hublifte
für das Zugpersonal schwer zu bedienen sind und nicht immer funktionieren,
wie sie sollten. „Das ist sehr einschränkend, weil
Rollstuhlfahrer:innen die Stufen nicht ohne Hilfe überwinden und in
diese Züge einsteigen können“, sagt Ahrens.
Menschen mit Rollstuhl sind auf die Hilfe des Zugpersonals oder des
Mobilitätsservice angewiesen, wenn sie in einen ICE einsteigen wollen.
Zudem muss eine Mitfahrt mit Rollstuhl vorher beim Mobilitätsservice
angemeldet werden und ist auch dann nicht rund um die Uhr möglich, sondern
nur von 6 Uhr morgens bis 10 Uhr abends.
## „Einfach genauso Zug fahren wie Menschen ohne Rollstuhl“
In einem vorangegangenen Schlichtungsverfahren, welches die
Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben bereits im Jahr 2017 einleitete,
ging es um eine Erweiterung dieses Zeitrahmens. Rollstuhlfahrer:innen
sollten zeitlich uneingeschränkt mitfahren können. „Wir wollen keinen
Sonderstatus, sondern einfach genauso flexibel Zug fahren wie Menschen ohne
Rollstuhl“, erklärt Ahrens der taz.
Seit vielen Jahren gibt es einen regelmäßigen Austausch zwischen
Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben sowie dem Allgemeinen
Behindertenverband Deutschland auf der einen Seite und der Deutschen Bahn
auf der anderen.
„Im letzten Präsenztreffen vor der Coronapandemie wurde uns zugesichert,
dass nur noch Züge mit ebenerdigem Einstieg gekauft werden sollen“, sagt
Ahrens. Umso unerwarteter und enttäuschender war daher der im Juli 2020
geschlossene Rahmenvertrag mit Siemens für eine 2 Milliarden teure
Produktion. Als die Verbände von der Bestellung der ersten 30 ICEs
erfuhren, war laut Ahrens alles schon „festgezurrt“. Jetzt habe er den
Eindruck, dass die Mitsprache der Verbände „eher eine Scheinbeteiligung“
sei.
Das sieht Klaus Heidrich, Vizechef des Behindertenverbands, ähnlich: „Es
werden Milliarden Euro für Züge ausgegeben, die nicht einmal annähernd
barrierefrei sind.“ Dabei gibt es laut Heidrich und Ahrens Alternativen. So
stelle das spanische Unternehmen Talgo etwa einen Triebzug her, der über
einen ebenerdigen Einstieg verfügt und den ICE 3neo in puncto Schnelligkeit
mit einer Höchstgeschwindigkeit von 360 Kilometern pro Stunde sogar um 40
Kilometer pro Stunde schlägt.
Die Deutsche Bahn weist die Vorwürfe der Verbände von sich. Auf Anfrage der
taz sagte ein Unternehmenssprecher, dass beim ICE 3neo „alle aktuellen
Vorgaben zur Barrierefreiheit“ berücksichtigt wurden. Maßgeblich sei dabei
das Regelwerk der „Technischen Spezifikationen Interoperabilität – Personen
mit eingeschränkter Mobilität“.
Bessere Angebote als den ICE 3neo von Siemens habe es nicht gegeben. So sei
unter den Angeboten der Hersteller auch kein Triebzug gewesen, der den
Ausschreibungsvorgaben entsprochen und über einen stufenlosen Einstieg
verfügt habe. „Um die Barrierefreiheit zu gewährleisten, wurde im ICE ein
Hublift mit verbesserter Technologie verbaut, der auch vom Bordpersonal
bedient werden kann“, heißt es bei der Bahn.
Zudem verfüge der ICE 3neo über zwei Rollstuhlstellplätze, ein
Universal-WC, ein umfangreiches Wegleitsystem für Menschen mit
eingeschränktem Sehvermögen sowie eine Tür pro Seite ausschließlich für
Fahrgäste mit Mobilitätseinschränkungen.
## Barrierefreier Personenverkehr ist eigentlich vorgeschrieben
Gemäß dem Behindertengleichstellungsgesetz ist die barrierefreie Gestaltung
des Personenverkehrs jedoch auch gesetzlich vorgeschrieben. [2][Für den
Nahverkehr] wurde die vollständige Barrierefreiheit sogar im
Personenbeförderungsgesetz vorgeschrieben, [3][sollte dort seit Anfang des
Jahres gelten].
Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben klagt nun gegen das
Eisenbahn-Bundesamt und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr.
Damit will die Initiative jetzt juristisch einfordern, dass es wenigstens
rund um die Uhr eine Einstieghilfe geben muss, solange es mit dem
ebenerdigen Einstieg schon nichts wird. Dann wäre das Bahnfahren zwar immer
noch nicht so flexibel wie für andere Fahrgäste, aber immerhin nicht nur zu
bestimmten Uhrzeiten möglich.
Der Allgemeine Behindertenverband Deutschland sucht das Gespräch mit den
fachpolitischen Sprecher:innen der Regierungsparteien. Ein Treffen mit
der Grünen-Fraktion hat bereits stattgefunden, weitere sollen folgen.
Einfache Gespräche werden das nicht, da ist sich Heidrich sicher. „Das ist
ganz klar viel politische Arbeit, die auf uns zukommt.“
8 Apr 2022
## LINKS
[1] /Ausstellung-Barrierefreiheit/!5784714
[2] /Weniger-Barrierefreiheit-im-Nahverkehr/!5836475
[3] /Barrierefreier-OePNV/!5832750
## AUTOREN
Sara Rahnenführer
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Deutsche Bahn
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