| # taz.de -- Lautes Telefonieren in Öffis: Quiet please! Lasst Privates privat … | |
| > Busse und Bahnen sind zur öffentlichen Telefonzelle geworden. Ist man | |
| > spießig oder humorlos, wenn man sich ein Verbot zu lauter Handynutzung | |
| > wünscht? | |
| Bild: Ist ein Verbot lauter Handynutzung spießig oder notwendig? | |
| Alter, ich will dir nicht vor den Karren pissen, aber das ist echt Scheiße | |
| … Versteh ich, aber du bist so was von verwichst … du bist ein echter | |
| Scheißwichser.“ | |
| Hört man so etwas [1][in der Straßenbahn], wird es lustig – oder sehr | |
| anstrengend. Nicht nur für den „Scheißwichser“, der von dem Typen mit | |
| Headset, der gerade einsteigt, beschimpft wird, sondern auch für alle | |
| anderen Fahrgäste. | |
| Denn der Headset-Mann hat offenbar keine Ahnung, wie laut er telefoniert, | |
| er hört sich selbst ja leiser als sein Umfeld. Und so erfährt der gesamte | |
| Waggon, dass „die Situation total verfahren ist“ mit dem „Scheißwichser�… | |
| und als der Spuk sechs Stationen später wieder vorbei ist, wissen auch | |
| alle, dass „die Knete ratzfatz wieder her“ muss. | |
| Fragt man Reisende, was beim Bahnfahren oder in der U-Bahn am stärksten | |
| nervt, antworten die meisten: Menschen. Zu voll sind die ICEs, Busse, Trams | |
| und S-Bahnen. Und am allerallerschlimmsten sollen die Lauttelefonierer | |
| sein, egal, ob die Kopfhörer tragen oder ihr Handy direkt vor ihren Mund | |
| halten und trotzdem reinbrüllen, als habe die andere Seite das Hörgerät | |
| ausgeschaltet. | |
| Sind Kinder im Spiel, wird gern die Handykamera dazugeschaltet – und das | |
| Abteil darf sich mit daran erfreuen, wie das Baby zu Hause bei der Oma | |
| seinen Brei wegschmatzt. Später fragt der Papa liebevoll: „Und? Hat er | |
| heute schon in die Windel gemacht?“ – „Gleich dreimal, einmal war es ganz | |
| grün, ich denke, das ist vom Spinat.“ | |
| ## Corona hat das Private endgültig ins Öffentlich verschoben | |
| War [2][lautes Telefonieren im öffentlichen Raum] vor gut 30 Jahren noch | |
| eine Angeberpose – ätsch, ich kann mir solch ein geiles Mobilteil und erst | |
| recht die superteuren Verbindungskosten dafür leisten –, ist es in den | |
| vergangenen Jahren eine Selbstverständlichkeit geworden. | |
| Flatrates und Handys in allen Preisvarianten machen es möglich, von überall | |
| nach überall zu telefonieren. Das hat große Vorteile: Schlüssel vergessen, | |
| kein Problem, ich ruf meine Nachbarn an, die haben einen Zweitschlüssel. | |
| Oder: Was sollte ich noch mal aus dem Supermarkt mitbringen? „Ich steh | |
| gerade vor dem Käseregal, was wolltest du haben?“ | |
| Das Vermengen des privaten mit dem öffentlichen Ich wurde durch die | |
| Coronalockdowns verschärft. Dank Videokonferenzen konnte man plötzlich in | |
| die Wohn- und Arbeitszimmer der Kolleg:innen schauen. Man sah | |
| vertrockenete Gummibäume, Filmplakate und ungemachte WG-Hochbetten, | |
| manchmal lief ein halbbekleideter Mann durch den Hintergrund oder ein Kind | |
| schob seinen Kopf vor die Kamera, ach wie süß, und die Kolleg:innen an | |
| ihren Bildschirmen winkten dem Kind zu. | |
| ## Keine Ruhe im Ruheabteil | |
| Corona hat die Hemmschwelle, Privates als Privates zu verhandeln, gefühlt | |
| in die Keller geräumt. Vor allem beim Bahnfahren. „Schatzimatzi, ich freu | |
| mich so auf dich. Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Vier Tage, puh, | |
| ja, ganz schön lange. Wir gehen dann gleich ins Bett, ja? Bereitest du | |
| schon mal alles vor?“ | |
| Ist man spießig, humorlos oder zu wenig resilient, wenn man sich wünscht, | |
| dass lautes Telefonieren in Bussen und Bahnen verboten werden sollte? Dass | |
| Chefs keine Anweisungen aus einem ICE geben dürfen und „Schatzimatzi“ von | |
| selbst auf die Idee kommen sollte, das Liebesnest herzurichten? | |
| Selbst in den Ruheabteilen in der Bahn hat man selten seine Ruhe. Da stören | |
| einen dann auch die Menschen nicht mehr, die immer noch nicht wissen, wie | |
| sie ihre Tastentöne ausstellen können, und bei denen jede Textnachricht mit | |
| einem unentwegten Piepiepiepiep durchs Abteil fliegt. | |
| Nur in ganz, ganz seltenen Fällen nerven laute Handygespräche nicht, | |
| sondern sind sogar nützlich. Ich jedenfalls weiß neuerdings, wie man ein | |
| französisches Orangenhühnchen zubereitet. | |
| 10 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schmollack | |
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