# taz.de -- Weniger Barrierefreiheit im Nahverkehr: Klotür bleibt offen | |
> Rollstuhlfahrende können die Toiletten im „Metronom“ neuerdings schwerer | |
> abschließen. Niedersachsen begründet das mit Barrierefreiheit. | |
Bild: Hat seine Wagen umgerüstet und ist deshalb weniger barrierefrei: Metronom | |
BREMEN taz | Kathrin Denecke fährt oft Zug. Mittlerweile muss sie | |
Toilettengänge dafür aber gut vorplanen: Seit Dezember kann sie die Tür im | |
Toilettenwagen nicht mehr in jedem Metronom abschließen: Der Knopf zum | |
Verriegeln ist für sie neuerdings zu hoch angebracht. | |
Als ihr die neue Konstruktion im Dezember bei einer Fahrt von Bremen nach | |
Hamburg das erste Mal unterkam, musste ein Zugbegleiter für sie vor der Tür | |
warten, damit sie nicht von anderen Fahrgästen überrascht würde. „Aber | |
dafür muss ich immer fragen. Und ich bin darauf angewiesen, dass gerade | |
jemand vorbeikommt und Zeit hat“, klagt sie. | |
Bisher funktionierte die Toilette mit drei Knöpfen zum Drücken: Einer zum | |
Schließen der Tür, einer zum Ver- und Entriegeln, und einer zum Öffnen. Für | |
Bewegungseingeschränkte relativ gut zu bedienen: ein einfacher Knopfdruck | |
reichte. | |
Noch nicht alle Metronome sind umgerüstet auf das neue System, aber nun | |
gibt es mancherorts nur noch einen Knopf, der zum einfachen Schließen und | |
Öffnen der Tür dient – zum Verriegeln dient jetzt ein kleiner Metallhebel, | |
der früher nur für Notfallöffnungen gedacht war. | |
In etwa 1,20 Meter Höhe ist der angebracht, für viele Rollstuhlfahrende | |
etwa auf Kopfhöhe. Aber je nach Tageszustand kann Denecke ihre Arme nicht | |
auf diese Höhe anheben – und dann damit auch noch greifen und zielgerichtet | |
drehen. | |
## Richtlinien für barrierefreies Bauen nicht erfüllt | |
Die neue Konstruktion passt auch nicht zur Din 18040 zum barrierefreien | |
Bauen. Diese sieht für barrierearme Türen eine Griffhöhe von 85 Zentimeter | |
vor. Nur „im begründeten Einzelfall“ seien andere Maße bis 105 cm | |
vertretbar, steht dort. | |
Vorgeschrieben für den Nahverkehr scheint diese Empfehlung nicht. Der | |
Drehknopf erfülle „die für Eisenbahnfahrzeuge geltenden technischen | |
Vorschriften“, schreibt Dirk Altwig von der LNVG, die zuständig ist für | |
Aufbau und Gestaltung der Metronom-Züge. Die LNVG ist als | |
„Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen“ direkt dem Land zugehörig. | |
„Es ist eben vor allem ärgerlich“, sagt Denecke, „weil das hier wieder e… | |
Verschlechterung ist, die doch gar nicht sein muss.“ Unerklärlich sei ihr, | |
warum die drei Knöpfe verschwunden seien. „Wenn es etwas gibt, was | |
einigermaßen funktioniert, sollte man es doch nicht ändern.“ | |
Das Problem: Auch das bisherige System hatte seine Tücken, darauf verweist | |
die LNVG. Das Drücken dreier verschiedener Knöpfe sei kompliziert. Auch | |
habe es „gelegentlich nicht funktioniert und so Fahrgäste in peinliche | |
Situationen gebracht“, schreibt LNVG-Pressesprecher Dirk Altwig. Der | |
Drehknopf dagegen sei simpel zu bedienen. „Für die ganz überwiegende | |
Mehrzahl der Fahrgäste, darunter auch behinderte Menschen, sehen wir eine | |
deutliche Verbesserung. Wir bedauern, wenn das nicht für jeden einzelnen | |
Fahrgast der Fall sein sollte.“ | |
## Barrierfreiheit sticht Barrierefreiheit | |
Nun gibt es auf dem Markt Türsysteme, die gleichzeitig verständlich und | |
erreichbar sind. Für die LNVG aber keine Option: „Der Drehknopf ist – als | |
ursprüngliche Notöffnung – bereits in allen Türen eingebaut, es ist nicht | |
möglich, ihn nach unten zu versetzen“, schreibt die Pressestelle und meint | |
damit wohl: Es wäre recht teuer. | |
Dass Barrieren für die einen mit Barrierefreiheit für die anderen begründet | |
werden, ist [1][beim Metronom keine Neuigkeit]. Um für Gehbehinderte und | |
Blinde den Abstand zwischen Bahnsteigkante und Zugabteil zu verringern, ist | |
in neueren Waggons kein Platz mehr für die Installation einer elektrischen | |
Rampe. | |
Rollstuhlfahrer*innen sind nun anders als zuvor, immer auf die | |
Unterstützung durch das Zugpersonal angewiesen, das zum Aussteigen und | |
Einsteigen jetzt manuell eine steile schwere Rampe anlegen muss. Für | |
Menschen in besonders langen Pflegerollstühlen ist damit ein Einsteigen gar | |
nicht mehr möglich – obwohl es sich um ein Rollstuhlabteil handelt. | |
Verschlechterungen für die einen durch Verbesserungen für die anderen ist | |
für Denecke kein Muss. Ein ebenerdiges einstöckiges Rollstuhlabteil etwa | |
könne das Rampenproblem für alle lösen. „Einen Weg gibt es meist“, sagt | |
Denecke. „Aber man muss schon wollen. Und vielleicht bei Menschen mit | |
Behinderung nachfragen, bevor man etwas umplant.“ | |
8 Mar 2022 | |
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[1] /Nahverkehrszuege-werden-umgebaut/!5785815 | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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