# taz.de -- Diskriminierung in der Bahn: Rollstuhlfahrer aus dem Zug gezerrt | |
> Weil das Mehrzweck-Abteil überfüllt war, warf ein Schaffner einen | |
> Knochenkranken aus dem Wagen. Er wehrte sich und hat nun eine Anzeige am | |
> Hals. | |
Bild: Zutritt verwehrt: Der Rollstuhl von Ilias Emmanuil landete auf dem Bahnst… | |
Hamburg taz | Die Gruppe „Antiableistische Aktion Lüneburg“ hat kritisiert, | |
dass ein Schaffner eines Metronom-Zugs auf der Strecke Lüneburg–Hamburg | |
mehrfach [1][Rollstuhlfahrer nicht in den Zug] hat einsteigen lassen, weil | |
dieser überfüllt war. Jüngster Fall ist der von Ilias Emmanuil, der am 4. | |
Mai zu einem Treffen der Gruppe nach Lüneburg kam und auf der Rückfahrt | |
nicht in den Zug durfte. Sein Rollstuhl wurde auf den Bahnsteig geworfen | |
und blieb dort kopfüber liegen, wie ein Video zeigt. | |
Emmanuil berichtet, jener Mitarbeiter habe so an ihm gezerrt, dass er | |
verletzt wurde. Er habe gutartige Knochentumore. „Wenn man die anschlägt, | |
dann geht die Knochenhaut ab. Das ist ultra schmerzhaft und es dauert sehr | |
lange, bis es heilt.“ | |
Von den dramatischen Minuten am Bahnsteig hat der 34-Jährige zwei Videos | |
gemacht. Vor ihm hätten alle anderen Menschen, die am Bahnsteig standen, in | |
das Mehrzweck-Abteil für Rollstuhlfahrer einsteigen können. Als er als | |
letzter in den Wagen wollte, habe der Schaffner gesagt, es sei voll. „Ich | |
sagte: ‚Quatsch, da ist doch noch Platz‘ und hab mich aus dem Rolli auf den | |
Boden gesetzt. Das kann ich ganz gut“, berichtet Emmanuil. | |
## Rollstuhl weggerissen | |
Da habe der Schaffner erst Emmanuils Rucksack auf den Bahnsteig geschmissen | |
und anschließend den Rollstuhl von ihm weggerissen und rausgestellt. „Ich | |
bin dann auf allen Vieren dahin gekrochen und habe ihn mir wieder | |
geschnappt“, beschreibt er die entwürdigende Situation. „Ich robbte mit | |
Rolli an der Hand zum Zug zurück und setzte mich wieder auf den Boden.“ | |
Da habe der Mitarbeiter versucht, ihn mit Gewalt rauszuheben. Dabei sei er | |
gegen die Bahnsteigkante geknallt und mit den Beinen im Spalt zwischen Zug | |
und Bahnsteig hängen geblieben. Der Bahnmitarbeiter habe dann den Rollstuhl | |
auf den Bahnsteig geworfen. „Da sah ich rot. Mein Rollstuhl ist für mich | |
wie ein Teil meines Körpers“, erinnert er. „Ich biss ihn in sein Bein, da | |
ließ er endlich von mir ab.“ | |
Die beiden Videos sind wackelig und zeigen die Situation kurz vor der | |
Eskalation und die Minuten danach, in denen Emmanuil auf dem Bahnsteig | |
sitzt und die Mitarbeiter auf die Polizei warten. „Ich hatte solche | |
Schmerzen, ich konnte dort nicht aufstehen“, sagt er. Die Beamten halfen | |
ihm aus der misslichen Lage, nahmen aber nur die Personalien eines Zeugen | |
auf, der ihn belastete und jenen Biss bezeugen wollte. „Ich war absolut | |
fertig. Es gab keinen, der zu mir stand und bezeugen wollte, was mir und | |
meinem Rollstuhl passierte“, sagt er. „Der Zug fuhr ohne mich.“ | |
Die Gruppe „[2][Antiableistische] Aktion Lüneburg“ trug nun drei weitere | |
Fälle zusammen, bei denen jener Mitarbeiter [3][Rollstuhlfahrer stehen | |
gelassen] habe. Die Blinde Justine T. zum Beispiel berichtet, bei ihr habe | |
sich der Schaffner geweigert, die Rampe für ihren E-Rollstuhl auszufahren | |
und statt ihrer Fußgänger und Menschen mit Kinderwagen einsteigen lassen. | |
Ein anderer Rolli-Fahrer berichtet, er musste lange diskutieren, um seine | |
Mitfahrt durchzusetzen. Auch in diesem Fall hatten Fußgänger die | |
Rollstuhlplätze besetzt. Dabei heißt es in den Beförderungsbedingungen des | |
Metronoms, die gekennzeichneten Bereiche seien schwerbehinderten und in der | |
Gehfähigkeit behinderten Menschen freizugeben. | |
Der Sprecher der Metronom-Gesellschaft, Björn Tiedemann, verwehrt sich | |
gegen eine Vorverurteilung durch die Veröffentlichung der Videos, die gäben | |
nur einen „kurzen, kontextlosen Ausschnitt“ wieder. Das Zugpersonal habe | |
den Fahrgast darüber informiert, dass ein Einstieg nicht möglich sei. Das | |
sei gängige Praxis und notwendig. „Wenn der Bereich des Zuges für den | |
sicheren Transport von Rollstühlen bereits voll ist, können einfach keine | |
weiteren Rollstühle mitgenommen werden.“ | |
Der Reisende habe dennoch „massiv“ versucht, sich Zutritt zu verschaffen. | |
Aus der sich daraus ergebenden Situation sei es zu einem Angriff gegen | |
einen Mitarbeiter gekommen, der sei wegen Bisswunden am Bein ambulant im | |
Krankenhaus behandelt worden und habe Anzeige erstattet. Zudem habe der | |
Fahrgast sich zwischen Zug und Bahnsteig niedergesetzt und „blockierte so | |
die Weiterfahrt des Zuges“. | |
## Reisende machten keinen Platz für den Rollstuhl | |
Gefragt, ob denn dieser Bereich tatsächlich durch Rollstühle besetzt war | |
und wenn nicht, ob man nicht andere Reisende hätte bitten können, für den | |
Rollstuhl Platz zu machen, antwortet die Bahnfirma, die genaue Anzahl der | |
dort sich befindlichen Rollstühle sei „nach aktueller Aktenlage nicht | |
zweifelsfrei belegbar“. Der Fahrgast habe seinen Zustieg „mit erheblicher | |
Vehemenz forciert“, bevor eine Umverteilung von Fahrgästen oder eine andere | |
konstruktive Lösung im Sinne einer regel- und sicherheitskonformen Mitfahrt | |
„geprüft und umgesetzt“ werden konnte. Das Zugpersonal habe bereits vor | |
Lüneburg gemeldet, dass ein weiterer Zustieg nicht mehr möglich ist. | |
Ilias Emmanuil sagt, ein Problem sei, dass viele Menschen Fernreisen mit | |
dem Deutschlandticket machen, weil die ICE-Fahrten zu teuer sind. „Früher | |
reiste man aus Überzeugung mit dem Zug. Da gab es einen Verhaltenskodex, | |
dass man Rücksicht aufeinander nimmt“, sagt er. „Heute gilt nur noch: Der | |
Stärkere kommt rein.“ | |
16 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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