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# taz.de -- Rechtsextremismus und Hufeisen: Gegen den rechten Konsens
> Bald jährt sich der rechtsextreme Anschlag von Hanau. In Berlin wird eine
> 17-Jährige rassistisch angegriffen. Doch kollektiv wird weiter
> weggeschaut.
Bild: Plakate zeigen die beim rassistischen Anschlag in Hanau 2020 getöteten M…
Der rechtsextreme Anschlag in Hanau jährt sich bald zum zweiten Mal. Und
noch immer sind viele Fragen offen, was etwa die Rolle der
Sicherheitsbehörden betrifft. „Hätten die Morde verhindert werden können?�…
[1][eröffnete Serpil Unvar], Mutter des in Hanau ermordeten Ferhat Unvar,
kürzlich vor dem Untersuchungsausschuss ihre Reihe von Fragen. „Wird
wirklich etwas getan werden, um solche Angriffe in der Zukunft zu
verhindern? Wird es eine vollständige Aufklärung geben?“, hakte sie weiter
nach.
Es [2][war Unvars 23-jähriger Sohn], über dessen möglicherweise zu jenem
Zeitpunkt noch lebendigen Körper ein Polizeibeamter hinwegstieg, wie
Kameraaufzeichnungen belegen, anstatt bei Ankunft am Tatort den Zustand des
Schwerverletzten und seine Vitalfunktionen zu prüfen. Wer das Video einmal
gesehen hat, kann es nur schwer wieder vergessen. Wie gleichgültig und
stumpf der Beamte dem Niedergeschossenen begegnet, hinüberstampft wie über
einen gefällten Baumstamm.
Ein anderes Bild der Teilnahmslosigkeit wurde diese Woche beschrieben von
Dilan Sözeri. Die 17-Jährige [3][wurde an einem Berliner Bahnhof von
mehreren Rechtsextremen zusammengeschlagen]. Sie entkam ihnen mit diversen
Verletzungen. Medien berichteten, die Schülerin sei angegriffen worden,
weil sie keine Maske getragen habe. Noch aus dem Krankenhausbett nahm
Sözeri ein Video auf, um richtigzustellen, dass sie sehr wohl eine Maske
trug und dass sie rassistisch beschimpft wurde von den Tätern. Außerdem
erzählte sie: „Der Bahnhof war voll. Ich habe um Hilfe gebettelt. Niemand
hat mir geholfen.“
Diese beiden Bilder sind nicht willkürlich aneinandergereiht. Sie gehören
zusammen, und sie erzählen von einer Gesellschaft, in der rassistische und
rechtsextreme Angriffe stillschweigend beobachtet und hingenommen werden.
„Für die angegriffene Person“, schreibt Autor_in Sasha Salzmann in dem
Essay „Sichtbar“, „kommt das unmittelbare Übel von den Angreifern, das
nachhaltige jedoch von der Gruppe, die wegschaut.“ Zu dieser wegsehenden
Gruppe aber gehören nicht nur die Passant_innen von jenem Bahnhof in
Prenzlauer Berg und dieser eine gewissenlose Polizist in Hanau.
## Antifaschismus als Gefahr?
Dazu gehören auch all jene scheinbar Unbeteiligte, die das Märchen der
sogenannten Hufeisentheorie vertreten, welches lediglich dazu dient, rechte
Gewalt zu relativieren, indem mühsam eine Gefahr von links inszeniert wird.
Es wird kollektiv weggeschaut, jedes Mal, wenn mit dem Finger in die
entgegengesetzte Richtung gedeutet wird, auf eine Leerstelle, während sich
hintenrum [4][ganze Netzwerke innerhalb von Polizei und Bundeswehr]
organisieren, während Menschen auf offener Straße, am Bahnsteig, in
Shishabars, in Synagogen angegriffen werden. Während Teile der Presse auf
aggressivste Weise gegen eine Bundesinnenministerin mobilisieren, wegen
ihrer mutmaßlichen Nähe zu Antifaschist_innen.
Antifaschismus sollte 77 Jahre nach der Befreiung vom politischen System
des Faschismus Grundkonsens sein hier. Stattdessen aber wird er zur Gefahr
erklärt? Die ideologische Befreiung ist demnach immer noch nicht vollzogen,
und solange Taten wie die in Hanau möglich sind und nicht aufgeklärt
werden, solange sie zu Einzelfällen reduziert werden, solange kein Mensch
am Bahnhof sich nach einer 17-Jährigen umdreht, die von mehreren
Erwachsenen brutal zusammengeprügelt und rassistisch beschimpft wird, kann
davon auch nicht die Rede sein.
Es wird Zeit, dem rechten Konsens etwas entgegenzusetzen. Denn er steht da,
unerschütterlich in der sogenannten Mitte, und er bröckelt nicht einmal.
Vielleicht wagt es ja die Bundesinnenministerin, sich ohne wegzuducken
offen zum Antifaschismus zu bekennen. Es könnte ein Anfang sein.
12 Feb 2022
## LINKS
[1] /Untersuchungsausschuss-zu-rechten-Morden/!5829371
[2] /Nach-dem-rassistischen-Attentat/!5664747
[3] /Angriff-auf-junge-Berlinerin/!5834436
[4] /Rechtes-Netzwerk-in-der-Bundeswehr/!5548926
## AUTOREN
Fatma Aydemir
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