Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Angriff auf junge Berlinerin: Es geht um Rassismus
> Eine Jugendliche wird von sechs Erwachsenen angegriffen – angeblich, weil
> sie keine Maske trug. Nun wehrt sie sich mit einem Instagram-Video.
Bild: Die Berlinerin Dilan Sözeri spricht über den rassistischen Angriff auf …
Berlin taz | Es gehört viel Mut und Verzweiflung zu dem Schritt, den Dilan
Sözeri gegangen ist. Auf [1][Instagram hat die 17-jährige Berlinerin ein
Video hochgeladen], in dem sie eindringlich erzählt, wie sie am
Samstagabend in Prenzlauer Berg von drei Frauen und drei Männern
rassistisch beleidigt und zusammengeschlagen wird. Niemand habe ihr
geholfen, berichtet sie in der Aufnahme, die sie auf einem Krankenhausbett
zeigt. Am Mittwochmittag wurde das Video binnen 17 Stunden bereits 1,5
Millionen Mal geklickt.
Doch nicht nur wegen des Angriffs setzt sie sich mit Namen und Gesicht im
Internet weiteren Anfeindungen aus. Sondern auch, weil „die Presse die
Wahrheit verdreht und Lügen über mich verbreitet, muss ich mich so an die
Öffentlichkeit wenden, weil ich das nicht auf mir sitzen lassen kann“, wie
sie sagt.
Tatsächlich ging der Fall in den vergangenen Tagen durch die Medien, sogar
überregional: „Jugendliche (17) ohne Corona-Maske in Tram verprügelt“,
schrieb die B.Z. „Erwachsene verprügeln 17-Jährige, weil sie keine Maske
trägt“, titelte der Focus. Alle Medien, auch die seriösen Tagesspiegel und
Welt, schlagen denselben Ton an: Eine jugendliche „Maskenverweigerin“ sei
angegriffen worden.
## Unhinterfragt übernommen
Ursprung dieser Geschichte ist eine Polizeimeldung von Sonntag, die so
beginnt: „Bei einem Streit über eine fehlende Mund-Nase-Bedeckung wurde
gestern Abend in Prenzlauer Berg eine 17-Jährige verletzt.“ Im Folgenden
wird geschildert, was der jungen Frau, die selber die Polizei gerufen hat,
passiert sei. Es entsteht der Eindruck, sie selbst habe angegeben, ihre
fehlende Corona-Maske sei Auslöser des Angriffs gewesen. Diese Darstellung
wird von den Medien unhinterfragt übernommen, überall mit dem gleichen
Tenor: Ein Streit um eine fehlende Corona-Maske eskaliert.
So sei es jedoch keineswegs gewesen, widerspricht Sözeri in ihrem Video:
„Ich wurde gestern zusammengeschlagen, weil ich Ausländerin bin.“ Sichtlich
bewegt und immer wieder den Tränen nahe erzählt sie, wie sie am
Samstagabend an der Haltestelle Hufelandstraße in die Straßenbahnlinie M4
steigt und dabei mit ihrer Mutter telefoniert. Eine Station später seien
„drei alkoholisierte Personen“ eingestiegen“, zwei Frauen und ein Mann.
Eine habe direkt gesagt: „Verpiss dich, du alte Fotze“; es seien
rassistische Beleidigungen gefolgt.
Sie habe erwidert, dass sie hier geboren sei und einen deutschen Pass habe,
sagt Sözeri in ihrem Post auf Instagram – aber selbst wenn nicht, sei dies
kein Grund sie anzugehen: „Wir sind alle Menschen.“ Zu diesem Zeitpunkt
habe sie selbst eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen, betont Sözeri. „Die
drei Personen hatten keine.“
Sie habe dann die drei darauf hingewiesen, „dass sie ihre Masken anziehen
sollen, und danach mit mir weiter reden können“, zumal der Mann ihr sehr
nahe gekommen sei. Die Erwachsenen hätten sie immer mehr bedrängt, eine der
Frauen habe versucht sie zu schlagen.
An einer Haltestelle, laut Polizeibericht die Greifswalder Straße, sollen
dann laut Sözeri alle ausgestiegen sein. „Aus dem Nichts“ mischt sich nun
nach Sözeris Schilderung eine dritte Frau mit und fordert, dass allein sie,
Sözeri, ihre Maske anziehen möge – dabei habe niemand der Umstehenden eine
Maske angehabt.
Die Frau habe ihr ins Gesicht „gegrabscht“, sagt Sözeri. Ein
„Zwei-Meter-Mann“ habe sich vor ihr aufgebaut, sie bedroht und gesagt, sie
solle „aufpassen, was ich in seinem Land sage“. Als sie ausgewichen sei,
habe sie ein zweiter Mann als „Drecksausländer“ beschimpft; die Frauen
hätten sie geschubst, geschlagen und an den Haaren gezogen.
In diesem Moment sei ihr das Handy eingefallen, weil ihre Mutter in der
Leitung geweint habe. Sie habe aufgelegt und begonnen zu filmen, doch nach
wenigen Sekunden sei das Handy durch die Angriffe zu Boden gefallen und
ausgegangen.
Danach hätten sie zwei Männer an den Armen festgehalten, berichtet Sözeri
unter Tränen, die Frauen und ein dritter Mann auf Kopf und Bauch
eingeschlagen und in die Beine getreten. „Natürlich habe ich zu diesem
Zeitpunkt auch um Hilfe geschrien“, fährt die junge Frau fort, „der Bahnhof
war voll. Ich habe gebettelt um Hilfe“. Stattdessen habe sich ein Mann vor
ihr aufgebaut, mit „Hass in den Augen“, und sie ausgelacht. „Die anderen
auch, die haben mir nicht geholfen.“ Schließlich habe einer der Männer
gesagt, nun reiche es, die Gruppe sei abgezogen.
## Eine gut besuchte Haltestelle
Sözeri nahm ihr Handy wieder auf und filmte erneut. Sie hat diese Szenen in
ihr Instagram-Video aufgenommen und man kann eine in der Tat gut besuchte
Haltestelle mit Menschen sehen, die unbeteiligt zuschauen.
[2][Laut Polizeibericht] erkannten die von Sözeri gerufenen Beamten dank
des Handyvideos einen der Männer aus einem vorangegangenen Einsatz in einer
Kneipe wieder. Dort „konnten die drei Männer, 42, 44 und 51 Jahre alt,
festgestellt und ihnen der Tatvorwurf gemacht werden“. Sie wurden nach
Alkoholtest und Personalfeststellung freigelassen, von den drei Frauen
fehlt bislang jede Spur. Die Polizei sucht nun nach Zeugen.
Auf die Anfrage der taz, warum die Polizeimeldung Sözeri als
Nicht-Masken-Trägerin darstellt, erklärt die Polizeipressestelle, dies sei
von den Beamten vor Ort so weitergeleitet worden. „Im Rahmen der Sichtung
vorhandenen Videomaterials sowie weiterer Ermittlungen, konnte nun
festgestellt werden, dass die Jugendliche beim Ein- und Aussteigen aus der
Tram eine Mund-Nase-Bedeckung trug und diese lediglich bei dem auf die
rassistischen Beleidigungen folgenden Streitgespräch mit den sechs
Erwachsenen kurzfristig nach unten gezogen hatte“, so die Polizei. Die
Ermittlungen dauerten an.
Sözeri sagt im Video, sie liege seit zwei Tagen im Krankenhaus mit
Gehirnerschütterung, einem Bauchtrauma und „etlichen Prellungen und
Verletzungen“ am ganzen Körper. „Ich bin körperlich und psychisch wirklich
am Ende, weil ich nicht verstehen kann, wie 2022 immer noch solche Menschen
auf diesem Planeten leben können.“ Sie verstehe auch nicht, warum Polizei
und Presse die Tatsachen derart verdrehen würden. Zum Schluss appelliert
sie direkt in die Kamera blickend, das Video zu teilen und „der Welt ein
Statement zu setzen, dass das so nicht weitergehen kann“.
9 Feb 2022
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/tv/CZuKncWgVIm/
[2] https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/2021/pressemitteilung.117418…
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
IG
GNS
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Bewegung
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Red Flag
Polizei Berlin
Black History
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prozess um rechte Gewalt gegen Dilan S.: Angegriffen von Rechtsextremen
Drei Frauen und drei Männer sollen die 17-jährige Dilan S. angegriffen
haben. Recherchen zeigen, dass sie Teil einer rechtsoffenen Kneipenszene
sind.
Rassistische Attacke in Zehlendorf: Kleinkind angegriffen
Bei einem rassistischen Angriff attackiert eine unbekannte Frau einen
Dreijährigen. Das ist kein Einzelfall.
Bewegungstermine in Berlin: Gefahr von rechts
Rassistische Gewalt ist in Berlin Alltag. Die Polizei nimmt die rechte
Bedrohung oft nicht ernst, für Migrant*innen ist sie eine echte Gefahr.
Bewegungstermine in Berlin: Rassismus mit Struktur
Eine Ausstellung auf dem Oranienplatz will auf die weiterhin unsichere
Situation internationaler Studierender aus der Ukraine aufmerksam machen.
Kundgebung für Dilan Sözeri: Gegen Rassismus, für Zivilcourage
Nach dem mutmaßlich rassistischen Angriff auf eine 17-Jährige
demonstrierten Hunderte in Berlin. PassantInnen hatten beim Überfall nur
zugeschaut.
Rassismus im öffentlichen Raum: Deutschlands Zivilcourageproblem
Vor zwei Jahren war Hanau, seit vielen Jahren ist „Nie wieder“. Trotzdem
werden rassistische Übergriffe in der Öffentlichkeit hingenommen.
Rechtsextremismus und Hufeisen: Gegen den rechten Konsens
Bald jährt sich der rechtsextreme Anschlag von Hanau. In Berlin wird eine
17-Jährige rassistisch angegriffen. Doch kollektiv wird weiter weggeschaut.
Rassistischer Angriff auf 17-Jährige: Brisanz nicht erkannt
Die Polizei korrigiert sich: Der rassistische Übergriff am Samstag war kein
Maskenstreit. Wie konnte es zu der Falschmeldung kommen?
Rassismus und Black History Month: Was würde May Ayim sagen?
Am 1. Februar beginnt der Black History Month. Ein Blick in die
Vergangenheit und ins Heute, wo der Rassismus leider noch immer da ist.
taz-Podcast „Weißabgleich“: Rassismus in der Pandemie
Corona trifft nicht alle Menschen gleich. People of Color erkranken und
sterben häufiger an dem Virus. Woran liegt das?
Schüsse auf Moschee in Halle: „Das war ein Anschlag“
In Halle werden Gläubige vor einer Moschee mit einer Luftdruckwaffe
beschossen. Die Polizei sieht vorerst kein politisches Motiv, die Gemeinde
schon.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.