| # taz.de -- Rassismus und Black History Month: Was würde May Ayim sagen? | |
| > Am 1. Februar beginnt der Black History Month. Ein Blick in die | |
| > Vergangenheit und ins Heute, wo der Rassismus leider noch immer da ist. | |
| Bild: Kolumnistin Michaela Dudley am May-Ayim-Ufer, im Sommer 2021 | |
| „Rassismus gibt es im heutigen Deutschland nicht“, so die Behauptung des | |
| Professors. Die junge Studentin, eine ghanaisch-deutsche Adoptivtochter | |
| namens Sylvia Opitz geb. Andler, war entsetzt. Tja, das war Regensburg, und | |
| zwar Mitte der 1980er Jahre. Sylvia verwarf ihre Pläne jedoch nicht. In | |
| West-Berlin setzte sie ihre Recherchen fort. Diese mündeten in die | |
| Diplomarbeit Afro-Deutsche: Ihre Kultur- und Sozialgeschichte auf dem | |
| Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen. | |
| Daraus entstand überdies ihr bahnbrechendes Buch Farbe bekennen, gemeinsam | |
| mit Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz geschrieben. Das Studium hätte | |
| Sylvia, die das Pseudonym May Ayim annahm, also kaum erfolgreicher | |
| absolvieren können. Aber die Prüfung musste sie tagtäglich bestehen, immer | |
| wieder aufs Neue. Denn sie war eine Schwarze in Deutschland. | |
| Mit dem Februar kommt der Black History Month. Wenige Tage vor dem Anbruch | |
| dessen stehe ich an der Gedenktafel am ehemaligen Gröbenufer. Es herrscht | |
| kein Kaiserwetter. Nein, es regnet. Von den Wolken, von meinen Wimpern. Die | |
| einst tief im deutschen Kolonialismus verankerte Anlegestelle heißt seit | |
| zwölf Jahren May-Ayim-Ufer. | |
| Offiziell, und das ist auch gut so. Die Umbenennung wirkt in poetischer | |
| Hinsicht nicht minder passend. Denn an diesem Abschnitt an der Spree | |
| entlang verlief bis 1989 die Sektorengrenze, und May liebte es, mittels | |
| ihrer zumindest dichterischen Freiheit, „grenzenlos und unverschämt“ zu | |
| sein. Oh, wie sie die Gemüter erregte, indem sie sich erdreistete, die | |
| Heilige Deutsche Wiedervereinigung als „Sch-Einheit“ zu etikettieren. | |
| Wir Schwarzen erlebten, wie ich es damals beschrieb, ein „Wirr-Gefühl“. | |
| Gerne feierten wir den Mauerfall mit. Aber wir spürten die | |
| herunterstürzenden Steinbrocken am eigenen Leibe und auch in der Seele. May | |
| nahm ihre Schmerzen allerdings mit sich, als sie mit 36 Jahren aus dem 13. | |
| Stockwerk eines Kreuzberger Hochhauses sprang. Das ist mehr als zweieinhalb | |
| Dekaden her. Was würde sie über den heutigen Stand der Dinge sagen? | |
| ## Diese Diskrepanzen sind bekannt | |
| Inzwischen ist viel geschehen. Viel und dennoch gar nichts. Die Mordserie | |
| der NSU ist kaum aufgeklärt. Gerechtigkeit in den Fällen Amadeu Antonio | |
| Kiowa und Oury Jalloh? Fehlanzeige. Eklatante Hassverbrechen wie die | |
| Anschläge in Halle und Hanau werden zwar mit Bestürzung kommentiert – aber | |
| überstürzt als Einzelfälle zu den Akten gelegt. Unbekannte schießen auf das | |
| Bürgerbüro des Schwarzen Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby, der dann auf | |
| Dienstreisen Racial Profiling über sich ergehen lassen solle. Denn sicher | |
| sei sicher. | |
| Solche Diskrepanzen zwischen Anrecht und Realität kenne ich allzu gut. 1961 | |
| erblickte ich das Licht der Welt im Schatten der Freiheitsstatue. Als | |
| afroamerikanisches Kind ebenda im Lande der unmöglichen Begrenzungen lernte | |
| ich die Segregation, alias Jim Crow, gut kennen. Das, wohl bemerkt, während | |
| wehrpflichtige Familienmitglieder an der DMZ in Vietnam und am Checkpoint | |
| Charlie Wache schoben. Für die Demokratie. Doch wenn wir gedenken, zu | |
| demonstrieren und unseren Stolz zu zeigen, seien wir plötzlich eine Gefahr | |
| für die Sicherheit. | |
| „Dit is aba ooch rassistisch“, ruft der Greis missbilligend, der mir am | |
| Alex über den Weg läuft. Als würde er mich zu einem Duell auffordern, hebt | |
| er seinen Spazierstock wie ein Florett empor. [1][Durch meine FFP2-Maske | |
| hindurch] brülle ich ihn auf den Mindestabstand zurück. Allerdings zeigt er | |
| auf meine Black-Lives-Matter-Anstecknadel und warnt, man dürfe in | |
| Deutschland nicht provozieren. Nicht nur das Leben der „Farbigen“ sei | |
| wichtig, belehrt er mit einer Mischung aus weißer Fragilität und toxischer | |
| Männlichkeit hinzu. Oh, und ja, er sei nämlich Christ. | |
| ## Wir Schwarzen Schafe | |
| „Gott sei Dank“, begrüße ich, „dann dürfte ich Ihnen die Leviten lesen… | |
| Ich zitiere vielmehr aus dem Lukasevangelium 15, 4-7. Wenn auch nur ein | |
| Schaf aus einer Herde von einhundert ausgegrenzt werde, müsse es gerettet | |
| werden. Denn sein Leben zähle genauso wie die anderen. Der Greis zieht | |
| weiter. | |
| Dabei wollen wir, die Schwarzen Schafe, eben nicht auf Kosten der anderen | |
| gehegt werden. Nein, wir wollen einfach nicht länger eingehegt sein. Indem | |
| wir unsere Bedeutung hervorheben, sprechen wir den Weißen nicht etwa das | |
| Existenzrecht ab. Aber trotzdem meckern einige, von ihrem eigenen | |
| Futterneid aufgefressen und völlig dazu unfähig, über die Herkunft ihrer | |
| Privilegien zu reflektieren. Sie verbreiten die weiße Notlüge, [2][es gebe | |
| keinen Rassismus mehr]. Fakt ist, der Rassismus ist weder ein Hirngespenst | |
| noch ein Kavaliersdelikt, sondern eine weiterhin strukturelle Gegebenheit, | |
| die nichts weniger als ein Gewaltverbrechen gegen Menschen und gegen den | |
| sozialen Frieden beinhaltet. | |
| Michaela Dudley ist Autorin des neu erschienenen, deutschsprachigen Buches | |
| „Race Relations: Essays über Rassismus“ (Verlag GrünerSinn: ISBN | |
| 9783946625612). 256 Seiten, 50 Illustrationen. Signiert erhältlich via | |
| www.race-relations.de | |
| 1 Feb 2022 | |
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