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# taz.de -- Deutschland und der Russland-Ukraine-Konflikt: Mehr Entspannung wag…
> Die Ampelregierung tritt gegenüber Moskau keineswegs zu lasch auf. Eher
> lässt sie es an vertrauensbildenden Maßnahmen mangeln.
Bild: Gasanlandestation von Nordstream 2 in Lubmin, Mecklenburg-Vorpommern
In der Debatte um den Russland-Ukraine-Konflikt verläuft die Scheidelinie
zwischen Tapferkeit und Feigheit, Standhaftigkeit und Opportunismus
anscheinend entlang von zwei Themen: [1][Nord Stream 2] und Waffen für
Kiew. Keine Geschäfte mit dem Aggressor und Nein zur Pipeline, Hilfe für
die Angegriffenen und Ja zu Waffenlieferungen erscheinen als moralisch
gebotene Haltungen. Es ist komplizierter.
Nord Stream 2 ist für Russland in der Tat ein bequemer Weg, die Ukraine als
Gastransitland zu umgehen. Doch zwingend nötig ist die Pipeline dafür
nicht. Denn Russland kann bereits jetzt die Ostseepipeline Nord Stream 1,
die Leitung durch Belarus und Polen, und im Süden Turkstream nutzen, um die
Ukraine zu umgehen. Die Idee, ohne Nord Stream 2 könnte der Westen Putin
zwingen, die Ukraine zum Gastransport zu nutzen und die fälligen Gebühren
an Kiew zu zahlen, ist Hybris.
Nun gibt es schon lange profunde Einwände gegen Nord Stream 2. Das DIW
zeigte 2018, dass die bestehenden Leitungen ausreichen, um russisches Gas
nach Westeuropa zu liefern. In Polen und der Ukraine mobilisierte Nord
Stream 2 Ängste, dass Berlin und Moskau über sie hinweg Sonderbeziehungen
etablieren könnten.
Deutsche Außenpolitik, die sich der NS-Zeit bewusst ist, sollte aber immer
vermeiden, Ängste zu wecken. Deshalb sind auch Waffenlieferungen aus
Deutschland an Kiew wenig sinnvoll. Mit deutschen Waffen getötete
Separatisten oder russische Soldaten werden diesen Konflikt erst recht
anheizen.
Kurzum: Nord Stream 2 ist energiepolitisch unnötig, außenpolitisch
schädlich und wäre besser nicht gebaut worden. Aber das ist keine Antwort
auf die kniffelige Frage, was Berlin tut, wenn die Pipeline von der EU
genehmigt wird. Falls Russland in der Ukraine einmarschiert, ist die Sache
klar. Dann sind alle Gaslieferungen – und auch die milliardenschweren
Ölexporte Russlands in die USA – auf dem Prüfstand.
Doch Nord Stream 2 jetzt politisch zu beerdigen ist unklug. Damit tut
Berlin genau das, was viele Putin vorwerfen. Es nutzt Gas als politische
Waffe und dreht damit, gewollt oder nicht, an der Eskalationsspirale.
## Achtung Eskalationsgefahr
Denn trotz allem Rätselraten, was Moskau im Schilde führt, ist ein Reflex
leicht erkennbar: Putin schlägt immer schnell zurück. Wenn Russia Today in
Deutschland nicht senden darf, verbietet Moskau die Deutsche Welle. 2014
verhängte Putin als Antwort auf die EU-Sanktionen ein Importverbot für
Lebensmittel aus der EU. Wenn die Ampel Nord Stream 2 abschaltet, kann
Deutschland sich neben saftigen Entschädigungszahlungen für das
17-Milliarden-Projekt auf Gegensanktionen gefasst machen.
Gas kann Russland auch in Asien verkaufen. Die Ankündigung „Wenn du nicht
aufräumst, gibt es kein Taschengeld“ führt selten zu aufgeräumten
Kinderzimmern. In der Außenpolitik sind pädagogische Strafaktionen auch nur
bedingt erfolgreich. Es gibt gute Gründe, sich auf die Prinzipien der
Entspannungspolitik zu besinnen. Die bedeutet nicht, sich den Gegner schön
zu malen oder gar wie Gerhard Schröder auf dessen Payroll zu stehen.
Entspannungspolitik sucht gemeinsame Interessen und bremst
Eskalationsdynamiken. Dafür ist aber Verlässlichkeit erforderlich. Abrupte
Kurswechsel sind Gift. Genau deshalb sollte die Ampel sich lieber fünfmal
überlegen, ob es klug ist, Nord Stream 2 zur Ruine zu machen – um Russland
zu bestrafen.
Wo ist eigentlich die aktive Entspannungspolitik der Ampel? Der Westen kann
Russland, in einem Prozess des Gebens und Nehmens, entgegenkommen, etwa bei
Kurz- und Mittelstreckenraketen. Ein neuer INF-Vertrag kann Ängste in
Moskau mindern. In den Topf gehört auch, als Verhandlungsstoff, eine
verbindliche Erklärung der Nato, die Ukraine für einen langen Zeitraum
nicht aufzunehmen. Damit würde sich niemand einen Zacken aus der Krone
brechen. Den Nato-Kritierien nach könnte die Ukraine dort mittelfristig
sowieso nicht beitreten.
Klüger, als mit dem Aus von Nord Stream 2 zu drohen, sind
vertrauensbildende Maßnahmen. Das ist keine Weicheipolitik, sondern
Realismus. Kanzler Scholz hat bei alldem bislang eher durch Abwesenheit
geglänzt. In zwei Wochen trifft er Putin. Es ist höchste Zeit.
5 Feb 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Nord_Stream
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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