| # taz.de -- Prozessbeginn in Frankfurt: Foltervorwürfe gegen syrischen Arzt | |
| > Alaa M. steht ab Mittwoch vor Gericht wegen Verbrechen gegen die | |
| > Menschlichkeit. Statt zu heilen, soll der Mediziner gefoltert und getötet | |
| > haben. | |
| Bild: Fotos von Syriens Präsident Baschar al Assad an einer Hauswand in Homs, … | |
| Berlin taz | Myhd Fajr A. meint den Mann erkannt zu haben, den er für den | |
| Tod seines Bruders verantwortlich macht. Gemeinsam wurden die beiden Brüder | |
| im Herbst 2011 in Homs von Schergen des syrischen Geheimdienstes | |
| festgenommen. Sie sollen sich an einer Demonstration gegen das Regime von | |
| Baschar al-Assad beteiligt haben. Sie landeten im Gefängnis, man könnte | |
| auch sagen: in einem Folterknast. | |
| Der Bruder bekam einen epileptischen Anfall, seine Medikamente aber hatte | |
| er nicht dabei, so hat es A. Ermittlern des Bundeskriminalamtes erzählt. In | |
| seiner Not verständigte er einen Arzt und teilte ihm mit, welches | |
| Medikament gebraucht werde. | |
| Doch statt zu helfen, habe der Arzt dem Bruder ins Gesicht geschlagen, | |
| sodass dieser zu Boden ging. Dann habe er ihn mit einem grünen | |
| Plastikschlauch verprügelt und gegen den Kopf getreten. „Ist es das, was | |
| Sie wollen?“, soll er dabei gesagt haben. Zwei Tage später habe der Arzt | |
| gefordert, dass der „Epileptiker“ zu ihm gebracht werde. Weil dieser zu | |
| schwach zum Gehen war, trugen A. und ein Mitgefangener ihn. | |
| Der Arzt habe dem Bruder gewaltsam eine Pille verabreicht, kurze Zeit | |
| später habe sich dieser nicht mehr bewegt. Später hätten die Wachleute den | |
| leblosen Körper weggebracht. Noch am selben Tag sei der Bruder gestorben. | |
| ## Folter in 18 Fällen und ein Mord | |
| Bald wird Myhd Fajr A. dem Mann gegenüberstehen, dem er die Schuld daran | |
| gibt. In Saal 165c des Frankfurter Oberlandesgerichts. Am Mittwoch wird | |
| hier der Prozess gegen Alaa M., 36, Facharzt für Orthopädie und | |
| Familienvater, eröffnet. Der Generalbundesanwalt hat ihn wegen Verbrechen | |
| gegen die Menschlichkeit angeklagt. Myhd Fajr A. ist Nebenkläger in dem | |
| Prozess und wird als Zeuge aussagen. | |
| Alaa M. wird Folter in 18 Fällen und auch ein Mord zur Last gelegt. In | |
| diesem Fall soll ein Gefangener versucht haben, sich zu wehren. Daraufhin | |
| hätten Wachmänner diesen festgehalten, M. habe ihm eine Spritze verpasst, | |
| wenige Minuten später soll der Mann tot gewesen sein. Auch soll M. in zwei | |
| Fällen versucht haben, anderen die Fortpflanzungsfähigkeit zu rauben. | |
| Was schon im juristischen Fachjargon furchtbar klingt, muss für die | |
| mutmaßlichen Opfer die Hölle gewesen sein. M. soll zwei Männern Alkohol | |
| über den Penis gegossen und diesen dann angezündet haben. Sein jüngstes | |
| Opfer soll zwischen 15 und 16 Jahre alt gewesen sein. Auch Wunden von | |
| Inhaftierten soll er in Brand gesteckt haben. | |
| Mit Alaa M. hat Generalbundesanwalt Peter Frank erstmals einen Mann | |
| angeklagt, der in Syrien selbst gefoltert haben und bis heute zum | |
| Assad-Regime stehen soll. Es ist erst der zweite Prozess in Deutschland und | |
| auch weltweit, in dem sich Mitarbeiter des Assad-Regimes vor Gericht | |
| verantworten müssen. | |
| ## Die Militärkliniken im Fokus | |
| Das Oberlandesgericht in Koblenz [1][hat bereits zwei Syrer wegen | |
| Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.] Dabei hat es ausdrücklich | |
| festgestellt, dass das Assad-Regime nach dem Beginn der Proteste im März | |
| 2011 begann, „einen ausgedehnten und systematischen Angriff auf die | |
| Zivilbevölkerung“ zu führen – und damit Verbrechen gegen die Menschlichke… | |
| beging. | |
| Dass diese Prozesse in Deutschland stattfinden, liegt auch an dem im | |
| deutschen Strafrecht verankerten so genannten Weltrechtsprinzip. Danach | |
| darf die hiesige Justiz auch dann gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit | |
| vorgehen, wenn weder Täter noch Opfer Deutsche sind. | |
| Alaa M. soll als Arzt für den Militärgeheimdienst gearbeitet haben, unter | |
| anderem in dem Gefängnis in Homs, in dem die Brüder A. einsaßen. Zudem | |
| hätte er in zwei Militärkrankenhäusern gearbeitet, Nr. 608 in Homs und | |
| Mezzeh Nr. 601 in Damaskus. | |
| In den syrischen Militärkrankenhäusern soll laut Anklägern systematisch | |
| gefoltert worden sein. Ihre Bedeutung in der Foltermaschinerie des Regimes | |
| wird in dem Prozess wohl besonders durchleuchtet werden. Medizinische | |
| Behandlungen dienten laut Anklägern demnach nicht der Heilung der | |
| Inhaftierten, sondern nur dazu, diese für weitere Vernehmungen und | |
| Folterungen am Leben zu halten. | |
| ## In Massengräbern verscharrt | |
| Auch sollen Ärzte in der Ausbildung Operationen an Gefangenen durchgeführt | |
| haben. Im Militärkrankenhaus in Harasta soll das Pflegepersonal | |
| Kaliumampullen bei sich gehabt haben, um Gefangene jederzeit töten zu | |
| können. | |
| Wenn Gefangene ums Leben kamen, wurden sie auf dem Boden liegen gelassen, | |
| bis Militärfotografen sie fotografiert und registriert hatten. Danach | |
| wurden sie in riesigen Massengräbern verscharrt oder in seltenen Fällen | |
| ihren Angehörigen unter Angabe falscher Todesursachen übergeben. „Caesar“, | |
| ein desertierter Militärfotograf, hatte Aufnahmen von über 6.000 in Haft | |
| ums Leben gekommenen Gefangenen [2][aus Syrien herausgeschmuggelt und | |
| veröffentlicht.] In dem Prozess in Koblenz wurden sie erstmals als | |
| Beweismittel eingeführt. | |
| Während die beiden dort verurteilten Syrer desertierten, soll Alaa M. | |
| weiter Anhänger von Baschar al-Assad sein. Den Ermittlern liegt eine E-Mail | |
| vor, die M. im Mai 2020 an die syrische Botschaft in Berlin geschrieben | |
| haben soll. Darin versicherte er, dass er „stolz“ sei, einem Land unter der | |
| Führung von Assad anzugehören. Nach Aussagen von Zeugen soll M. Inhaftierte | |
| als „Hunde“, „Terroristen“ und „Saboteure“ beschimpft haben. | |
| M. hat bis zu seiner Festnahme im Juni 2020 in Deutschland fünf Jahre lang | |
| als Arzt gearbeitet, zuletzt in einer hessischen Rehaklinik. Er bestreitet | |
| alle Vorwürfe. Der Prozess ist zunächst bis Ende März terminiert, wird | |
| vermutlich aber deutlich länger dauern. | |
| 19 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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