# taz.de -- Gerichtsprozess zu Folter in Syrien: Nur ein unwichtiger Assistenza… | |
> Der Arzt Alaa M. äußert sich zu Foltervorwürfen aus Syrien, die ihm zur | |
> Last gelegt werden. Seine Laufbahn sollen ihm diese gar nicht ermöglicht | |
> haben. | |
Bild: Protest von syrischen Aktivisten zum Prozessauftakt in Frankfurt | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Die Leute vom Geheimdienst hätten auch im | |
Krankenhaus geschlagen, erzählt der Angeklagte. Er habe gesehen, wie | |
Patienten Fäuste ins Gesicht oder Tritte abbekommen hätten. „Die taten mir | |
leid“, sagt Alaa M. in Richtung des vollen Gerichtssaals. Immer wieder habe | |
der Geheimdienst des Militärs in diesen Tagen des Jahres 2011 Männer | |
eingeliefert, deren Hände hinter dem Rücken und deren Augen verbunden | |
gewesen seien. Er habe von Kollegen gehört, wie manche dieser Patienten in | |
dem Militärkrankenhaus im syrischen Homs gestorben seien. Doch anders als | |
die Anklage es ihm vorwirft, bestreitet Alaa M., mit Folter und Tod in dem | |
Krankenhaus etwas zu tun gehabt zu haben. | |
Die Verhandlung am Dienstag ist bemerkenswert in einem Verfahren mit | |
internationaler Tragweite: Alaa M. steht am Oberlandesgericht (OLG) | |
Frankfurt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht. Die | |
Anklage wirft dem 36-Jährigen vor, [1][Gefangene, die der syrischen | |
Opposition zugerechnet wurden, gefoltert und vorsätzlich getötet zu haben.] | |
In den Jahren 2011 und 2012 soll er als Assistenzarzt in einem | |
Militärkrankenhaus und im Gefängnis des Militärgeheimdiensts in der Stadt | |
Homs Menschen in 18 Fällen brutal misshandelt und in einem Fall vorsätzlich | |
getötet haben. | |
Als die Kameras den Saal verlassen, nimmt Alaa M. den grünen Parka mit der | |
Fellkapuze ab, unter der er sein Gesicht verborgen hatte. Zum Vorschein | |
kommt ein schmaler Mann in einem marineblauen Anzug. Dass er sich auf die | |
gegen ihn erhobenen Vorwürfe einlassen würde, war erwartet worden. Doch das | |
Reden übernimmt nicht etwa sein Anwalt Ulrich Endres – Alaa M. redet | |
selbst. | |
Mit ruhiger Stimme schildert er seine medizinische Laufbahn in Syrien, die | |
zeitgleich zu den oppositionellen Protesten gegen des Regime von Machthaber | |
Baschar al-Assad und dem darauffolgenden Bürgerkrieg stattgefunden zu haben | |
scheint. Beim Reden malt M. mit dem Zeigefinger Punkte in die Luft, wie um | |
seinen Worten Nachdruck zu verleihen. | |
## Die Verteidungsstrategie wird klar | |
„Die gesamte Situation war Chaos“, sagt er. Er habe nach einer | |
sechswöchigen Krankheit im September 2011 wieder angefangen, im Krankenhaus | |
zu arbeiten. Wegen der Sicherheitslage und den 32-Stunden-Schichten, die er | |
als Assistenzarzt habe leisten müssen, sei er am 27. November 2011 in ein | |
Militärkrankenhaus in der Hauptstadt Damaskus gewechselt. | |
Alaa M. geht seine Ausbildung zum Facharzt für Orthopädie und | |
Unfallchirurgie in unterschiedlichen Kliniken in Syrien, darunter auch | |
weitere Militärkrankenhäuser, chronologisch durch. Bis zu dem Tag, an dem | |
er mit einem von der Botschaft im Libanon ausgestellten Visum in | |
Deutschland einreiste, dem 24. Mai 2015. | |
Doch so weit ist der Vorsitzende Richter Christoph Koller noch nicht. Am | |
zweiten Prozesstag in dem Verfahren am OLG Frankfurt geht es drei Stunden | |
lang um die Ereignisse im Jahr 2011. Immer wieder fragt Koller nach. „Jetzt | |
ist das ja die Zeit, wir sagen da Arabischer Frühling. Können Sie was sagen | |
zu Ihrer Ausgangsposition, wie war Ihre Familie, wie waren die zu Assad | |
eingestellt?“ Die Antwort: „Ich war nie Befürworter des Regimes.“ Aber | |
auch: „Ich muss die Wahrheit sagen, ich habe mich mit dem Regime | |
arrangiert, um in meinem Leben weiterzukommen.“ | |
Über seine heutige Sicht sagt er, dass er das, was er aus den Medien über | |
das Assad-Regime mitbekomme, für nicht akzeptabel halte. Richter Koller | |
will es genauer wissen und hakt nach. Der Angeklagte sagt, als die | |
Demonstrationen angefangen hätten, habe er sich fast dazu geäußert. Doch er | |
habe religiöse Slogans wie „Alawiten zum Sarg, die Christen nach Beirut“ | |
gehört, die er zu „radikal“ gefunden habe. „Ich war gegen Gewalt von bei… | |
Seiten.“ | |
An einigen Stellen geht M. nicht präzise auf die Fragen des Gerichts ein. | |
Stattdessen spricht er immer wieder über seine Tätigkeit im Krankenhaus. | |
Dabei kommt die Strategie und Positionierung der Verteidigung immer | |
deutlicher zum Ausdruck. „Ich war ein kleiner Assistenzarzt, ich habe meine | |
Aufgaben gemacht“, sagt der Angeklagte. Behandlungen im Militärkrankenhaus | |
hätten nur im Beisein von Vorgesetzten erfolgt, mit den Patienten habe er | |
oft nicht einmal geredet. | |
Der Angeklagte will sich am Donnerstag noch einmal auf die Vorwürfe | |
einlassen. Insgesamt ist der Prozess in Frankfurt bis Ende März | |
veranschlagt. Doch wegen der schwierigen Beweisaufnahme ist von einem | |
längeren Verfahren auszugehen. | |
Möglich wurde der Prozess gegen den syrischen Staatsbürger auf Grundlage | |
des sogenannten Weltrechtsprinzips, das in Deutschland gilt. Demnach darf | |
die deutsche Justiz Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann | |
verfolgen, wenn die Straftaten in anderen Ländern begangen wurden und wenn | |
auch die mutmaßlichen Täter*innen keine Deutschen waren. In einem | |
ähnlichen Fall wurde am 13. Januar in Koblenz [2][der ehemalige syrische | |
Oberst Anwar R. zu lebenslanger Haft verurteilt.] | |
25 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Cem-Odos Güler | |
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