| # taz.de -- Die Schuld der Uroma: „Laufe ich dann weg?“ | |
| > Durch Zufall erfuhr der Fotograf Stefan Weger, dass seine Urgroßmutter | |
| > einen polnischen Zwangsarbeiter an die Nazi-Justiz ausgeliefert hat. | |
| Bild: Der Fotograf Stefan Weger | |
| taz am wochenende: Herr Weger, wann wurde Ihnen klar, dass Ihre | |
| Urgroßmutter einen 17-jährigen Zwangsarbeiter an die Gestapo verraten hat? | |
| Stefan Weger: In Bremen hatten wir den Fall von Walerian Wróbel im | |
| Unterricht, der aus Heimweh auf dem Bauernhof, auf dem er arbeiten musste, | |
| Feuer gelegt hatte und dafür am Ende hingerichtet worden ist, weil er | |
| angezeigt worden war. Und da hat mich meine Mutter mit einem Satz auf meine | |
| Urgroßmutter Luise aufmerksam gemacht. Sie sagte: „Du weißt, dass das Luise | |
| war?“ | |
| Was hat das damals für Sie bedeutet? | |
| Das Ganze war damals sehr weit weg für mich: der Nationalsozialismus, diese | |
| Verbrechen, die Leute mit den Hakenkreuzfahnen, die durch die Gegend | |
| marschiert sind. Ich habe meine Urgroßmutter noch gekannt. Ganz hinten in | |
| dem Buch, das ich dazu gemacht habe, gibt es ein Foto von uns beiden. | |
| Diesen Spagat im Kopf habe ich damals nicht hingekriegt: Sie, die mir jedes | |
| Jahr zu Weihnachten 50 Mark geschenkt hat und alle sagten,,Meine Güte, das | |
| Kind ist viel zu jung dafür“, war dieselbe Frau, die damals diesen Jungen | |
| so schlecht behandelt und ihn dann an die Gestapo ausgeliefert hat. | |
| Wie kommt es, dass Sie diese Geschichte jetzt, 30 Jahre später, mit einem | |
| Fotoprojekt öffentlich machen? | |
| Das kam über einen Umweg. Ich wohne in Berlin-Neukölln und habe eine kleine | |
| Fotoserie angefangen über das jüdisch-muslimische Verhältnis im Kiez. Ich | |
| wollte einen der Mitgründer eines Vereins für Austausch zwischen diesen | |
| Religionen fotografieren und hatte vorher gelesen, dass seine Familie aus | |
| Budapest kam und zum Großteil im Holocaust ermordet worden ist. Und | |
| ungefähr zur selben Zeit hat meine Frau im Bundesarchiv recherchiert und | |
| ist dort auf die NSDAP-Mitgliedsausweise meines Urgroßvaters und meines | |
| Ururgroßvaters gestoßen. Die habe ich meinen Eltern geschickt und gesagt: | |
| „Das habe ich gar nicht gewusst.“ | |
| Was war deren Reaktion? | |
| „Ja, der eine war auch in Ungarn und Budapest und da war auch irgendwas mit | |
| Juden“, war die Antwort. Ich habe mich dann gefragt: Wie trete ich der | |
| Person dann gegenüber? Ist es wichtig, zu thematisieren, dass meine | |
| Vorfahren an der Ermordung seiner Familie gegebenenfalls mitgewirkt haben? | |
| Oder ist es höflicher, das nicht zu thematisieren? | |
| Und was haben Sie dem Mann aus dem Neuköllner Verein gesagt? | |
| Der Fototermin ist dann gar nicht zustande gekommen. Ich habe mich da ganz | |
| feige herausgestohlen, weil ich ehrlich gesagt bis heute keine | |
| zufriedenstellende Antwort gefunden habe, wie man darüber sprechen soll. | |
| Aber es war der Anlass für Sie, sich mit der Rolle Ihrer Urgroßmutter zu | |
| beschäftigen? | |
| In dem Augenblick ist mir auch dieser Satz von meiner Mutter über Luise | |
| wieder in den Kopf gekommen. Ich habe bei meinen Eltern Kisten mit alten | |
| Dokumenten und alten Fotos durchgeguckt. Und da sind ganz viele Sachen | |
| aufgetaucht, zum Beispiel das Foto vom Erntedankfest, wo Luise mit ihrem | |
| Vater auf einem mit Hakenkreuz geschmückten Erntedankfestwagen sitzt. | |
| War Luise die Erbin des Hofes? | |
| Sie war die Bauerntochter. Sie hatte eine jüngere Schwester und einen | |
| wesentlich jüngeren Bruder. Hoferbe war immer der Sohn – gutes altes | |
| Patriarchat. | |
| War es schwierig, ihre Rolle beim Tod von Walerian Wróbel nachzuvollziehen? | |
| Auf der einen Seite ist es relativ einfach gewesen, weil das Schicksal von | |
| Walerian Wróbel eine „Forschungsakte“ für die NS-Justiz war. Es gibt im | |
| Staatsarchiv in Bremen eine sehr umfangreiche Akte zu dem Fall, wo selbst | |
| die Streitigkeiten des Dolmetschers über das Honorar für die letzte Nacht | |
| vor der Hinrichtung aufbewahrt sind, und dementsprechend auch die Rolle von | |
| Luise, mit der Zeugenaussage, die sie zu Protokoll gegeben hat. Auf der | |
| anderen Seite war es auch wieder sehr schwierig, die Frage zu beantworten: | |
| Wie kann man in so etwas hineinrutschen? Christoph Schminck-Gustavus, der | |
| Rechtshistoriker und emeritierter Professor für Rechtsgeschichte an der | |
| Universität Bremen, der zum ersten Mal [1][die Geschichte von Walerian | |
| Wróbel wieder aufgerollt hat], hat auch ein Interview mit meiner | |
| Urgroßmutter geführt. | |
| Tatsächlich? Das heißt, sie hat sich einem solchen Gespräch gestellt? | |
| Ja, das hat sie gemacht. Schminck-Gustavus, der damals mit Heinrich | |
| Hannover, dem RAF-Anwalt, den Wiedergutmachungsprozess und die Aufhebung | |
| des Todesurteils gegen Walerian Wróbel bewirkt hat, hat danach mir | |
| gegenüber gesagt, dass er ein Stück weit nachvollziehen konnte, was sie ihm | |
| zur Rechtfertigung gesagt hat. Ihr Vater, der Bauer, war gestorben, und | |
| dann haben sie quasi als Ersatz vom Arbeitsamt Bremen den Walerian Wróbel, | |
| der gerade 16 geworden war, als Zwangsarbeiter zugewiesen bekommen. Aus der | |
| ökonomischen Abwägung heraus war es natürlich schlecht, wenn da ein | |
| 16-jähriger Junge kommt, der, so wurde er ja stets beschrieben, relativ | |
| schmal ist und nicht besonders kräftig. Und dann spricht er so gut wie kein | |
| Deutsch. Der soll dann auf dem Hof mit anpacken und den Bauern ersetzen. | |
| Für die Familie war es ein klares ökonomisches Interesse: Wir müssen das | |
| Überleben des Hofes sichern und können mit dem hier nichts anfangen. | |
| Und was folgte daraus? | |
| Also muss der irgendwie weg. Und das ist die Stelle, wo ich sage, da muss | |
| man aufpassen, wenn man heutzutage darüber nachdenkt: Wie können wir in so | |
| etwas reinrutschen? Wenn wir anfangen, Menschen unter rein ökonomischen | |
| Kriterien zu betrachten, entmenschlichen wir sie, und das ist das, was da | |
| passiert ist. Nach fünf Tagen wollte er schon weglaufen, hatte da die | |
| Stiefel ihres Vaters eingepackt und wollte nach Polen flüchten. Da riefen | |
| sie beim Arbeitsamt an und sagten: „Der arbeitet nicht und holt ihn jetzt | |
| mal bitte ab.“ Nach zehn Tagen gab es dann dieses wirklich minimale Feuer, | |
| das sieht man auf den Beweisfotos. Walerian Wróbel hat selbst beim Löschen | |
| geholfen. Theoretisch ist es auch durchaus möglich, dass die Familie selbst | |
| es gelegt hat. | |
| Das halten Sie für denkbar? | |
| Das lässt sich im Nachhinein nicht klären, und im Arbeitsprozess habe ich | |
| gemerkt, dass es auch genau darauf ankommt, diese Leerstellen auszuhalten. | |
| Nicht alle Motivationen und Details können wir mithilfe von Akten oder | |
| mündlichen Überlieferungen nachvollziehen. | |
| Gab es für Ihre Urgroßmutter nach dem Todesurteil für Walerian Wróbel, die | |
| Möglichkeit, sich für ihn zu verwenden? | |
| Es ist schwierig, im Nachhinein zu rekonstruieren, was der | |
| Handlungsspielraum einer Person ist. Natürlich hätten sie von vornherein | |
| sagen können: Das ist ein kleiner Junge, der ist total verwirrt, der | |
| spricht kein Deutsch, lasst den erst mal in Ruhe ankommen, dann wird er | |
| sich schon irgendwann eingewöhnt haben und auch arbeiten. Da rufen wir | |
| jetzt nicht die Gestapo. Beim Gnadengesuch haben sie, soweit ich weiß, | |
| keine Einflussmöglichkeit gehabt. Aber dann wurde, weil man das ja alles | |
| juristisch niet- und nagelfest haben wollte, nochmal ein Prozess in Bremen | |
| gemacht. Da mussten Luise und ihre Mutter erneut aussagen und haben dann | |
| ihre Aussagen auch wiederholt. Da hätte man sehr wohl auch sagen können: | |
| „Nein, der hat kein Feuer gelegt, sondern das war ich, weil wir wollten, | |
| dass er abgeholt wird.“ Er war zu dem Zeitpunkt schon ein Dreivierteljahr | |
| [2][im KZ Neuengamme], und wenn man sich das Foto von ihm ansieht, das am | |
| Tag vor seiner Hinrichtung entstanden ist, dann war das da schon ein ganz | |
| anderer junger Mann, der da plötzlich stand. Er war abgemagert, er hatte | |
| keine Haare mehr auf dem Kopf, und er hatte einen ganz anderen | |
| Gesichtsausdruck. Viel resignierter als damals bei seiner Festnahme, wo er | |
| noch sehr jungenhaft wirkte. | |
| Hat Walerian eigentlich ein Geständnis abgelegt, dass er das Feuer selber | |
| gelegt hat? | |
| Es gibt ein offizielles Geständnis von ihm – aber im NS-System ist es | |
| natürlich auch immer die Frage: Welchen Wahrheitsgehalt misst man dem zu? | |
| Wenn die Justiz ein Geständnis haben wollte, dann hat sie ihre Wege | |
| gefunden, es zu bekommen. Das einzige halbwegs authentische Zeugnis von ihm | |
| ist das, was ein Mitgefangener, der das Konzentrationslager Neuengamme | |
| überlebt hat, gesagt hat: dass Walerian ihm gegenüber geäußert hat, er | |
| wollte doch eigentlich nur nach Hause und hat deswegen das kleine Feuer | |
| gelegt. Zeugnisse von ihm selbst gibt es, bis auf seinen Abschiedsbrief aus | |
| der Hinrichtungszelle, nicht. Von Luise habe ich eine mehrseitige | |
| Rechtfertigungsschrift vermutlich aus dem Dezember 1993, die sie | |
| angefertigt hat, nachdem 1991 der Film „Das Heimweh des Walerjan Wróbel“ | |
| gedreht wurde. Luise ist sehr, sehr sparsam gewesen. Deswegen ist es ein | |
| sehr skurriles Dokument: Sie hat, um Papier zu sparen, auf mehreren | |
| aufgeschnittenen Briefumschlägen ihre Sicht der Geschichte dargelegt. | |
| Wie sah die aus? | |
| Sie schreibt, sie hätte nie etwas erfahren von der Hinrichtung und sie | |
| hätten ja nichts machen können. Und er hätte ja irgendwie auch selbst | |
| Schuld gehabt, wenn er da zündelte, und er hätte doch wissen müssen, was er | |
| macht. Da sind viele Sachen dabei, wo man sich denkt: Na ja, also nicht | |
| wirklich. Damals in Bremen gab es einen riesengroßen farbigen Aushang in | |
| DIN A3, der überall in der Stadt hing, auf dem verkündet wurde, dass der | |
| Junge hingerichtet wurde. Dem konnte man sich fast gar nicht entziehen. | |
| Warum erscheint diese Schrift von Luise nicht in Ihrem Buch? | |
| Ich wollte ihr nicht die Möglichkeit geben, sich zu rechtfertigen, wo er | |
| sich nicht äußern konnte. Ich habe gemerkt, dass mich viele Leute fragen: | |
| „Wie schuldig war sie denn jetzt?“ Das ist für mich gar nicht so die Frage. | |
| Was ist die Frage? | |
| Luise hat dazu beigetragen, dass er hingerichtet wurde. Ich finde, das | |
| reicht schon, um aus der Geschichte zu lernen. Einige sagen ja noch immer: | |
| „Na ja, wir leben ja heute nicht in Zeiten des Nationalsozialismus.“ Aber | |
| ich sage mal folgendes Beispiel: Wenn ich hier in Berlin unter einer Brücke | |
| lang gehe, wo fünf Geflüchtete leben – melde ich das beim Ordnungsamt oder | |
| nicht? Ich möchte sicherlich gerne in einem sauberen Umfeld ohne sichtbare | |
| Armut leben, ohne Menschen auf der Straße, die mich anbetteln. Aber die | |
| Frage ist, wie stelle ich so etwas her? Und wenn ich dann zur Polizei gehe | |
| und sage: Da wohnen fünf Leute, kontrolliert doch mal die Aufenthaltstitel, | |
| dann mache ich mich mitschuldig, wenn einer abgeschoben wird und es für ihn | |
| gegebenenfalls das Todesurteil ist. Es ist legal, aber moralisch | |
| verwerflich und das war damals dasselbe. Das, was Luise getan hat, war ja | |
| aus juristischer und ökonomischer Perspektive vollkommen rational. Sie | |
| bekommt einen Zwangsarbeiter, was gesetzmäßig abgesichert ist, er arbeitet | |
| angeblich schlecht und sie wollen ihn loswerden. Dann zündelt er, sie rufen | |
| bei der Gestapo an und er wird abgeholt. Alles vollkommen rechtmäßig. | |
| Selbst die Hinrichtung war rechtmäßig. Und doch gleichzeitig moralisch | |
| vollkommen verwerflich. | |
| Mir ist in Ihrem Buch der Kontrast zwischen der Friedlichkeit der | |
| Streuobstwiesen und diesen Gesichtern sehr aufgefallen. War es von Anfang | |
| an Ihre Idee, Landschaft und Menschen gegenüberzustellen? | |
| Ich bin ins Staatsarchiv nach Bremen gegangen und habe mir diese Akte | |
| angeguckt. Dann habe ich versucht, diesen Hof zu finden, was gar nicht so | |
| leicht ist, weil der Hof seit den 1960er Jahren nicht mehr existiert und | |
| auch nicht am Wegesrand stand, sondern ein ganzes Stück rein in die | |
| Landschaft war, abseits des Deiches. Dank der Satellitenansicht von Google | |
| Maps konnte ich die Lage des Hofes dann rekonstruieren und sehen: da ist | |
| eine Mauer, da eine Anhöhe und hier war anscheinend mal ein Weg. | |
| Wenn der Hof gar nicht mehr existiert, macht es das ja noch bitterer – sein | |
| Erhalt war doch der Ausgangspunkt dafür, Walerian Wróbel auszuliefern. | |
| Die Familie hat den Hof ungefähr 1955 verkauft, als sich die Bremer | |
| Stahlwerke erweiterten und das angrenzende Gelände gekauft haben. | |
| Was haben Sie an dem Ort noch vorgefunden? | |
| Heute ist da eine friedliche Streuobstwiese, aber auch der Kellereingang, | |
| über dem auf dem Tatortfoto die Markierung ist, wo die Streichhölzer | |
| gefunden worden sein sollen. Das fand ich so interessant: dass man sich an | |
| der Stelle bewegt, wo diese Streichhölzer, die mir da im Archiv aus dem | |
| Umschlag entgegen gefallen sind, angeblich damals gefunden wurden und mit | |
| denen damals angeblich das Feuer angezündet wurde, wofür dieser junge Mann | |
| gestorben ist. Es ging mir darum, das Unwohlsein auszudrücken, das sich bei | |
| mir eingestellt hat, und das hat sich für mich gerade aus der Kombination | |
| ergeben, aus der Landschaft, die zum Teil atemberaubend schön war und zum | |
| Teil dunkel und verwachsen, aus den privaten Fotografien und den Akten. | |
| Ich hatte das Gefühl, in den Fotos eine Bitterkeit in Luises Gesicht zu | |
| finden, und dachte dann: Lese ich da etwas hinein, was ich erwarte, aber | |
| was gar nicht notwendigerweise da ist? | |
| Sie war ein herb-bitterer Charakter, so habe ich sie damals auch | |
| kennengelernt. Es war nicht so leicht, Fotos von ihr zu finden, auf denen | |
| sie wirklich herzlich lacht oder fröhlich ist. Aber mir war ganz wichtig, | |
| unterschiedliche private Szenen zu zeigen, wo sie mit einer Freundin sitzt | |
| oder mit der Familie. Zum Schluss des Buches gibt es dieses Foto von ihr, | |
| wo sie auf dem Hof steht, im Mantel, und leicht in die Kamera lächelt. | |
| Damit man eben nicht denkt: Okay, sie war ein Nazi, Strich drunter. Das ist | |
| gerade das, was ich falsch finde, weil man so anfängt, eine Geschichte von | |
| sich abzuspalten. Es war eine schwierige Familienangehörige, aber sie | |
| konnte auch eine liebe Familienangehörige sein. Und trotzdem hat sie sich | |
| die Hände schmutzig gemacht in dieser Zeit und dazu beigetragen, dass ein | |
| armer Junge, den man von zu Hause weggerissen hat, hingerichtet wurde. | |
| Gab es für Sie einen Moment, in dem Sie sich dafür geschämt haben, | |
| öffentlich als Nachfahre einer Frau in Erscheinung zu treten, die zum Tod | |
| eines Siebzehnjährigen beigetragen hat? | |
| Auf jeden Fall! Ich bin mit meiner Frau und einem Freund nach Falków | |
| gefahren, dem kleinen polnischen Ort, wo der Junge herkommt. Ich hatte | |
| selten so einen Fluchtreflex in meinem Leben. Dabei kannten mich die Leute | |
| nicht. Aber ich dachte, vielleicht kennt hier jemand Walerian Wróbel und | |
| denkt: Wenn hier Deutsche sind, dann müssen sie etwas mit ihm zu tun haben. | |
| Spricht mich jemand an? Wir waren bei einem Haus, an dem noch der Name | |
| Wróbel stand, und wir waren beim Grabstein eines Zweigs der Familie. Dieser | |
| Gedanke: Was ist, wenn ich da stehe und ein Foto mache mit meiner | |
| Großformatkamera, wofür ich gut fünf Minuten brauche, und ich werde | |
| angesprochen? Laufe ich dann weg? | |
| Lebt noch ein Teil der Familie? | |
| Soweit ich weiß, war Walerians Schwester im Jahr 2007 noch mal bei einer | |
| Veranstaltung in Bremen, als ein Weg dort nach ihm benannt wurde. An diesen | |
| Gedenkveranstaltungen hat sich nie jemand von unserer Familie beteiligt, | |
| muss man dazu sagen. | |
| Warum nicht? | |
| Niemand ist diesen Schritt gegangen, zu sagen: Seit 1991 gab es den Verein | |
| „Warlerian Wróbel“, der an das Schicksal der vielen in Bremen eingesetzten | |
| NS-Zwangsarbeiter erinnert, wir nehmen da Kontakt auf. Man muss sich nicht | |
| oben an die Spitze stellen und sagen: „Hallo, meine Uroma hat Folgendes | |
| getan.“ Aber man kann so etwas ja auch als Chance sehen, mit dieser Zeit | |
| ein bisschen aufzuräumen und sei es nur dadurch, dass ich bei der | |
| Veranstaltung teilnehme. Man kann das Leben eines Menschen nicht wieder | |
| aufwiegen, mit Geld oder Zeit, aber zumindest kann man dazu beitragen, dass | |
| die Kluft, die durch die Wunden aus dem Nationalsozialismus entstanden ist, | |
| wieder ein bisschen geschlossen wird. | |
| 21 Jan 2022 | |
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