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# taz.de -- Ex-Kollege über Anwalt Heinrich Hannover: „Er war lebenslustig, …
> Der Anwalt und Kinderbuchautor Heinrich Hannover wäre Ende Oktober 100
> Jahre alt geworden. Ex-Kollege Bernhard Docke erinnert an ihn mit einer
> Lesung.
Bild: Heinrich Hannover steht 2015 am Bücherregal mit seinen Kinderbüchern, l…
taz: Herr Docke, [1][Heinrich Hannover] wäre am 31. Oktober 100 Jahre alt
geworden. Sie haben mit ihm in seiner Kanzlei zusammengearbeitet. Wie haben
Sie ihn kennengelernt und erlebt?
Bernhard Docke: Meine Eltern und die Hannovers waren Nachbarn, ich hatte
also schon in den 50er Jahren privaten Kontakt zu Heinrich. Er war für mich
in meiner kindlichen Wahrnehmung ein absolut cooler Typ, der sich von
vielen eher grauen Adenauer-Elterntypen deutlich unterschied. Er war
lebenslustig, witzig, unangepasst, antiautoritär. Als Schüler habe ich ihn
Ende der 60er Jahre erlebt, als er die rebellierenden Schüler gegen Knüppel
der Polizei verteidigt hat. Er war dann für mich so etwas wie ein Held, ein
Vorbild. Er hat mich stark motiviert, selbst Jura zu studieren und mich
dann später auch ganz auf Strafrecht zu spezialisieren.
taz: Er war nicht nur ein engagierter Strafverteidiger, sondern auch ein
streitbarer Kritiker der Justiz und der politischen Verhältnisse.
Docke: Heinrich war ein rundum Oppositioneller, was die Adenauer-Zeit
angeht. Er hat sich aus seiner grundsätzlich pazifistischen Einstellung
heraus, die auch biografisch bedingt war, gegen die Aufrüstung gewandt,
gegen die Notstandsgesetze, war aufseiten der rebellierenden Jugend, die
sich Ende der 60er Jahre gegen den Vietnamkrieg wandte. Er hat dann viele
Verfahren gehabt, die einen politischen Einschlag hatten, weil der Staat
gegen seine Gegner auch strafrechtlich vorging, Verfahren wegen
Widerstands, wegen Landfriedensbruchs und ähnlicher Anklagepunkte.
taz: Darüber schreibt er auch, unter anderem später in seiner [2][Buchreihe
„Die Republik vor Gericht“].
Docke: Ja, darin ist der ganze Reigen seiner Verfahren abgebildet. Es ist
ein [3][Spiegel der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte], sehr
interessant, absolut empfehlenswert. Er war aufgrund der Verfahren, die ihm
angetragen wurden, in einer Situation, in der die Tätigkeit als
Strafverteidiger und die Tätigkeit als ein politischer Mensch
zusammengehörten und zusammenpassten. Das war kein Widerspruch, dass man
tagsüber im Beruf A sagt und abends als Privatmensch B, sondern das war aus
einem Guss.
taz: Wie passt dieses Kämpferische zum [4][fantasievollen Kinderbuchautor]?
Docke: Weil Heinrich sich gegen eine Justiz stellte, die in den 50er und
60er Jahren noch ganz maßgeblich von alten Nazis und dem entsprechenden
Gedankengut durchsetzt war, hat er sehr starke Anfeindungen ertragen und
aushalten müssen …
taz: … in den 70ern wurde er als „Terroristenanwalt“ beschimpft und erhie…
Morddrohungen.
Docke: Da braucht man einen Ausgleich, um sein seelisches Gleichgewicht zu
behalten. Und das fand er unter anderem in Kindergeschichten.
taz: Er selbst hatte gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau, der
Frauenrechtlerin und Historikerin [5][Elisabeth Hannover-Drück], sechs
Kinder und trug denen abends Geschichten vor.
Docke: Und irgendwann bekam er die Empfehlung, er solle das doch mal
aufschreiben, weil die Geschichten so fantasievoll, so schön sind. Das ist
dann quasi sein zweiter Beruf geworden. Heinrich hat 17 Kinderbücher
veröffentlicht und hat immer gesagt, dass das eigentlich der schönere Teil
seiner beruflichen Tätigkeit war, schöner als die Streitereien im
Gerichtssaal. Er hat mal gesagt, dass er tagsüber so viel Aggressionen
losgeworden ist, dass er abends ein netter Mensch sein konnte. Das war er
auf jeden Fall.
taz: Diese Bücher, ich habe viele von ihnen als Kind gelesen, haben eine
ganz klare moralische Haltung. Da geht es um Empathie, um
Gerechtigkeitssinn, um kritisches Denken und Hinterfragen. Auch da ist
Hannover ein politischer Mensch.
Docke: Die Welt schrieb dazu mal, dass er mit den respektlosen
Kindergeschichten die potenziellen Anarchisten von morgen produziert, die
dann seine eigenen Klienten werden und für Nachschub sorgen.
taz: Sie haben später gemeinsam mit Hannover in einem Büro gearbeitet.
Docke: Ich habe einen Teil meiner Ausbildung in seinem Büro gemacht und
habe dann mit zwei Freunden ein eigenes Anwaltsbüro gegründet, nachdem wir
mit der Ausbildung fertig waren. Ein paar Jahre später fragte Heinrich
dann: Wollen wir nicht unsere Büros zusammenlegen? Das Angebot haben wir
natürlich freudig und stolz angenommen und haben ab Anfang 89 am Wall in
Bremen gemeinsam das Strafverteidigerbüro Hannover und Partner betrieben.
taz: Zum 100. Geburtstag erinnern Sie gemeinsam mit dem Verein [6][Aus den
Akten auf die Bühne], der Bremer Shakespeare Company und Ihrem Kollegen
Volkert Ohm mit einer Lesung an den „[7][streitbaren Anwalt und
Schriftsteller]“. Was können wir heute von ihm lernen?
Docke: Wir erleben heute international einen Rückgang von
Rechtsstaatlichkeit und einen Rückgang der Konjunktur von Menschen- und
Bürgerrechten, einen zunehmenden Autoritarismus in diversen Ländern.
Deshalb sind solche Positionen, wie Heinrich Hannover sie vertreten hat,
nämlich striktes rechtsstaatliches Denken, wichtiger denn je. Dass man
einen eigenen Kompass haben muss, moralisch und ethisch. Dass man
gegebenenfalls auch gegen den Strom angehen muss, dass man sich nicht
gemein macht mit einer gesellschaftlichen Entwicklung, die immer weiter gen
rechts marschiert. Dass man seinen eigenen Kopf behält, seine eigenen
Positionen. Und dass man dann auch die Kraft und den Mut hat zu sagen:
Nein, das mache ich nicht mit, ich verteidige auch in einer zugespitzten
politischen Krisensituation die rechtsstaatlichen Grundsätze und das
Grundgesetz.
taz: In der Reihe „Aus den Akten auf die Bühne“, in der
Schauspieler:innen der Shakespeare Company historischen Dokumenten in
szenischen Lesungen wieder Leben einhauchen, ging es gerade auch um einen
Ihrer Fälle. Auch das war ein politischer Fall, auch da ging es um
Justizkritik und Aufarbeitung.
Docke: Es ist ein alter Fall von mir, der [8][Fall von Wilma und Oleksa
Szwajka]. Oleksa war ein nach Bremen verschleppter ukrainischer
Zwangsarbeiter, der dann mühsam überlebt und nach dem Krieg eine Bremerin
geheiratet hat. Durch die Heirat wurden sie und auch die gemeinsamen Kinder
staatenlos gemacht, weil die Bremer Behörde das alte wilhelminische Reichs-
und Staatsangehörigkeitsrecht von 1913 zur Geltung gebracht hat, wonach
eine deutsche Frau ihre Staatsangehörigkeit verliert, wenn sie einen
Ausländer heiratet.
taz: Aber diese Hochzeit fand zwei Wochen nach Inkrafttreten des
Grundgesetzes statt.
Docke: Ja, im Juni 1949. Und im Grundgesetz steht in Artikel 16, dass
niemand gegen seinen Willen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren
darf, schon gar nicht, wenn er oder sie dadurch staatenlos wird. Aber bei
den Bremer Behörden hatte es sich offenbar noch nicht herumgesprochen, dass
in Bonn zwei Wochen zuvor eine Verfassung verabschiedet wurde, nach der
das, was die praktiziert haben, verfassungswidrig war. Und wir haben nach
40 Jahren vor dem Verwaltungsgericht Bremen erreicht, dass Bremen diesen
Fehler schließlich nach vielen Widerständen korrigiert hat und anerkannt
hat, dass Frau Szwajka und auch ihre Kinder immer deutsch gewesen sind.
8 Nov 2025
## LINKS
[1] /Zum-Tod-von-Heinrich-Hannover/!5906436
[2] https://www.aufbau-verlage.de/autor-in/heinrich-hannover
[3] /Das-NS-Erbe-im-Strafrecht/!5068925
[4] https://blogs.taz.de/der_muede_polizist/
[5] /Der-Kampf-um-die-Stimme/!1573183/
[6] /Chiles-Not-und-der-Reichtum-des-globalen-Nordens/!5886291
[7] https://www.shakespeare-company.com/repertoire/ein-streitbarer-anwalt-und-s…
[8] https://www.shakespeare-company.com/repertoire/ich-wollte-mein-recht
## AUTOREN
Robert Matthies
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