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# taz.de -- Insolvenz norddeutscher Werften: Sinkende Schiffe
> Aus Anlass der jüngsten Werftkonkurse eine historische Reflexion über
> Nietenklopper, koreanische Werftkämpfe und das Dilemma einer
> U-Boot-Ingenieurin.
Bild: Die Elbchaussee und ihre Prachtvillen – für Werftarbeiter unerreichbar
„Da wohnen frühere Nietenklopper von Blohm & Voss. Die haben ihren Lohn
nicht in Alkohol investiert, sondern in Immobilien.“ Diesen ironischen
Spruch brachte mein Großvater in den 1960er Jahren immer dann, wenn wir an
Hamburgs Elbchaussee an den Villen derjenigen vorbeifuhren, die der
norddeutsche Volksmund Pfeffersäcke nennt: Reeder und andere Angehörige der
hanseatischen Oberschicht, deren Reichtum für die Werftarbeiter am anderen
Ufer immer unerreichbar blieb, soviel Nieten sie auch klopften.
Mit Nieten aus glühendem Stahl wurden damals im Schiffbau die Stahlplatten
der Rümpfe verbunden. Auf beiden Seiten hämmerten Arbeiter die Nieten
platt, die beim Erkalten den Stahl wasserdicht aneinanderpressen. Ein
Höllenjob.
Laut meinem Opa, einem linken Taxifahrer, soll ihn einmal eine Frau beim
Passieren einer dieser Villen gefragt haben, wer denn in dem schönen Haus
wohne. Für Großvater, der stets seine Fahrgäste gleichermaßen irritierte
wie agitierte, konnte dort nur ein fleißiger Nietenklopper wohnen. Denn
schließlich ist ja jeder seines Glückes Schmied, wie Kapitalisten nicht
müde werden zu betonen. Nach dieser schrägen Logik sind [1][die Arbeiter
der Werften] in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen, die jetzt zum
Jahresbeginn Konkurs anmeldeten, einfach nicht fleißig genug gewesen. Die
Coronapandemie gibt es ja schließlich auch in China und Korea.
Vor dem Zweiten Weltkrieg war Großvater selbst zur See gefahren – als
Heizer, was kaum besser war als der Höllenjob auf der Werft. Sein Schiff
hatte sogar noch Masten und Segel, doch wurde nur mit Maschine gefahren.
Für Großvater hieß das Kohlenschaufeln bis nach Texas. Immerhin gab es
damals noch freie Hafentage.
## Landgang nur selten
Seefahrergeschichten waren in meiner Kindheit an der Waterkant Teil der
Kultur. Abends beim Einschlafen dröhnten die Schiffshörner vom Hafen
herüber, tagsüber spielte ich in Bootswerften. Als ich im Jahr 1983 dann
selbst auf einem Frachter arbeitete, der über den Großen Teich fuhr, wurde
der Schiffsstahl längst geschweißt statt genietet und das Stückgut war
Containern gewichen. Haushoch stapelten sich die Metallkisten an Deck des
Schiffes, das mich nach New York brachte.
Der Frachter war sogar in Deutschland gebaut worden, hatte eine
mehrheitlich deutsche Besatzung und fuhr unter deutscher Flagge. Das war
alles schon damals eine große Seltenheit. Doch machte der Frachter für den
Schiffbau seiner Heimat keine Werbung. Denn als das Schiff in die Weser
einlief, fiel die Maschine aus. Das Schiff fuhr manövrierunfähig auf Grund,
wo die Weser eine Kurve macht. Der erst acht Monate alte Frachter „Made in
Germany“ war leck.
So begann meine Reise in der Werft. Für die Mannschaft bedeutete dies
immerhin den ersten Landgang seit Monaten. Denn Hafenliegezeiten von
Containerschiffen betragen normalerweise nur wenige Stunden. Jetzt wurden
mit dem Taxi von Bremen aus schnell alte Freunde im Ruhrgebiet überfallen
oder das nächste Rotlichtviertel. Im Dock kam ich mir unter dem 200 Meter
langen, wie ein Hochhaus aufragenden Rumpf winzig vor. Zugleich war das
Leck groß genug, um in den Rumpf kriechen zu können. Die
Atlantiküberquerung selbst war dann stürmisch und langwierig. Statt
veranschlagter 10 Tage war ich 17 an Bord – gefühlt auf einem schwimmenden
Gefängnis. Einige Seeleute wirkten, als seien sie für das Leben an Land
nicht mehr geeignet.
## Aufstand gegen Massenentlassungen
Mit dem deutschen Schiffbau ging es in den 1980er Jahren weiter bergab.
Japanische Werften bauten für die Versorgung ihres Inselreiches mit Öl, das
alles herangeschifft werden musste, inzwischen die weltgrößten Tanker. Und
Südkorea holte in großem Tempo auf. Diktator Park Chung Hee, der das Land
zum Industriestaat machen wollte, hatte Anfang der 1970er Jahre den
ehrgeizigen Unternehmer Chung Ju Yung zum Schiffbauer bestimmt. Der
ehemalige Bauernsohn aus Nordkorea und Gründer des Hyundai-Konzerns bekam
Staatskredite und -aufträge und Schutz vor ausländischer Konkurrenz. Dabei
hatte Hyundai zu Beginn weder eine Werft gehabt noch überhaupt je ein
Schiff gebaut.
1998 besuchte ich die Hyundai-Werft in Ulsan. Dort im Süden der
koreanischen Halbinsel war der Konzern in atemberaubendem Tempo expandiert
und baute immer größere Schiffe. Stolz zeigten mir Manager ihre Werft und
in einem Imagefilm Wachstumspläne zu einer Zeit, in der deutsche Werften
sich immer mehr auf den Bau von Einzel- und Spezialschiffen konzentrierten,
weil sie mit den Koreanern im Massengeschäft nicht mehr mithalten konnten.
In Ulsan wurde mir stolz erklärt, wie Platten des Schiffsstahls
computergesteuert mit Lasern geschnitten wurden. Mit einem
Flüssiggasfrachter war auch schon ein Spezialschiff in Planung, und
natürlich waren auch hier die Löhne der Werftarbeiter knapp.
Sie begehrten damals auf dem Höhepunkt der Asienkrise militant gegen
anstehende Massenentlassungen auf. Die Atmosphäre war beim Werftbesuch auf
beiden Seiten angespannt. Aus Termingründen hatte ich erst das Management
getroffen und zum Feierabend die Gewerkschafter. Doch als sie jeweils
erfuhren, dass ich als Journalist natürlich auch mit der anderen Seite
spreche, wurde die Atmosphäre schnell frostig.
## Aufruf zum Streik
Bald sind Südkoreas Werften weiter gewachsen und heute mit führend in der
Welt. Doch gab es schon Rückschläge, die denen in Deutschland nicht
unähnlich sind. So wollte die Werft Hanjin Heavy Industries & Construction
in Busan 400 ihrer dort 1.400 Arbeiter entlassen, weil sie einen Teil der
Produktion auf die Philippinen verlagern wollte. Dort sind die Löhne viel
niedriger. Die Gewerkschaft rief zum Streik, doch nicht alle machten mit.
Da besetzte die frühere Schweißerin Kim Jin Suk einen großen Werftkran. In
dessen Führerhaus hatte sich 2003 der lokale Gewerkschaftschef erhängt,
nachdem er vergeblich 129 Tage gegen 600 Entlassungen protestiert hatte.
Kim knüpfte an die Aktion in 35 Meter Höhe an und konnte, wie sie später
bei einer taz-Veranstaltung berichtete, nach 309 Tagen die
Wiedereinstellung eines Teils der Entlassenen erreichen.
In Deutschland ist die Abfederung sozialer Härten bei Entlassungen größer
als in Korea. Doch dauert der Schrumpfungsprozess der Werftindustrie hier
auch schon Jahrzehnte. Der Spezial-, Luxus- und Marineschiffbau als Nische
hat jahrelang etwa bei Kreuzfahrtschiffen und Fähren funktioniert. Das
zeigt das Beispiel der Meyer Werft in Papenburg. Doch musste für die immer
größeren Schiffe dort die [2][Ems immer stärker ausgebaggert] werden.
Wahnsinn. Und mit dem jetzigen Konkurs der MV-Werften zeigt sich, dass auch
der Bau gigantischer Kreuzfahrtschiffe nicht mehr funktioniert, wenn ihre
ganze Branche abstürzt.
Vor einigen Jahren kam ich bei einer Veranstaltung in Kiel mit einer
Betriebsrätin der dortigen U-Boot-Werft ins Gespräch. Anlass war eine
Diskussion über Spannungen zwischen Indien und Pakistan nach einem
Terroranschlag. Die Ingenieurin hatte einige Zeit in Indien gearbeitet und
war hervorragend informiert. Doch fühlte sie sich sichtlich unwohl, als sie
berichtete, dass ein Vertrag ihrer Werft über die Lieferung von drei
U-Booten an Pakistan kurz vor dem Abschluss stand. Sie war hin- und
hergerissen zwischen der Sorge um die Sicherheit der Jobs, dem Stolz auf
die Leistung der Werft, U-Boote von Weltklasse zu bauen, aber eben auch der
Angst, damit womöglich zu einen militärischen Konflikt bis hin zum
potenziellen Atomkrieg beizutragen. Die Sorgen konnte ich ihr nicht nehmen.
Das Geschäft scheiterte später letztlich daran, dass Islamabad die U-Boote
aus strategischen Gründen lieber in China bestellte.
## Nicht mehr konkurrenzfähig
Inzwischen ist China von der Gesamttonnage her der Weltmarktführer der
Werften. Dort wird bereits der vierte Flugzeugträger gebaut, wozu das Land
vor 15 Jahren noch nicht fähig war. Doch zum Bau luxuriöser und
rekordverdächtiger Kreuzfahrtschiffe reicht es offenbar noch nicht. Das
zeigt sich daran, dass die jetzt pleitegegangenen MV-Werften einer
Hongkonger Reederei gehören, deren Hauptbesitzer ein malaysischer
chinesischstämmiger Tycoon aus dem Casino- und Tourismusbusiness ist.
Im Standard- und Massengeschäft sind die deutschen wie europäischen Werften
gegen die Konkurrenz aus Fernost nicht mehr konkurrenzfähig. Doch liegt das
wie früher bei den Nietenkloppern, die sich nie eine Villa leisten konnten,
nicht am Fleiß. Nationale Schiffbauindustrien sind stark reguliert,
werden mit Staatsaufträgen und -krediten genährt und vor Konkurrenz
geschützt, mal mehr oder, wie jetzt in Norddeutschland offenbar, zu wenig.
Darin unterscheiden sich Werften nicht von Flugzeug- oder Autofabriken.
Alle drei sind im Sinne traditioneller Wirtschafts- und Entwicklungspolitik
strategische Industrien eines Landes.
Am Elbufer kontrastieren heute zwei Welten. Auf der einen Seite tobt die
Globalisierung, wo an Containerterminals dicke Pötte aus Asien entladen
werden. Am anderen Ufer, an der Elbchaussee, sitzen und spazieren Menschen
am Strand. Doch weil immer größere Schiffe aus China kommen, aber nur noch
bei Hochwasser einlaufen können, drängt Peking auf weitere Vertiefung der
Elbe.
In der ursprünglichen Fassung des Textes hatte es fälschlicherweise
geheißen, dass in der Kieler Werft laut der Betriebsrätin ein U-Boot für
Pakistan kurz vor der Auslieferung stand. Stattdessen stand erst der
Vertrag kurz vor Abschluss. Auch fehlte der Hinweis, dass die U-Boote
letztlich in China bestellt wurden.
14 Jan 2022
## LINKS
[1] /Krise-im-Schiffbau/!5699944
[2] /Masterplan-zur-Sanierung-der-Ems/!5015160
## AUTOREN
Sven Hansen
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