# taz.de -- Franziska Giffey als Regierungschefin: Berlins Eiserne Lady | |
> Was darf man vom neuen Senat erwarten? Ein Ausblick auf eine Koalition, | |
> in der nicht eine Partei das Sagen haben dürfte, sondern eine einzige | |
> Person. | |
Bild: Neue Haus-Herrin im Roten Rathaus: Giffey vor der Presse nach der ersten … | |
BERLIN taz | Die Bilder des Tages kamen aus dem Abgeordnetenhaus. Als | |
Franziska Giffey am 21. Dezember 2021 [1][zur Regierenden Bürgermeisterin | |
Berlins gewählt wurde], saß ihr Vater, Wolfgang Süllke, auf den | |
Besucherrängen. Später sagte der 67-Jährige aus Briesen zwischen | |
Fürstenwalde und Frankfurt (Oder): „Ich bin sehr stolz auf meine Tochter. | |
Sie kommt aus einer Handwerkerfamilie und hat schon so viel erreicht.“ | |
Was wird Franziska Giffey noch erreichen können? Und wie viel Handwerk | |
braucht es, um die Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei auf die | |
Erfolgsspur zu bringen? | |
„Drei Solisten machen noch kein Orchester. [2][Die drei müssen | |
zusammenfinden]“, hatte zuvor der Berliner Politikwissenschaftler Stephan | |
Bröchler, der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) | |
lehrt, die Berliner Regierungsbildung kommentiert. „Es muss ihnen gelingen, | |
so etwas wie Teamgeist zu entwickeln.“ | |
Womöglich wird Bröchler mit dieser Einschätzung dem Machtanspruch von | |
Franziska Giffey nur unzureichend gerecht. [3][Denn „Teamgeist“ ist nicht | |
unbedingt ihre Stärke.] Schon die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen | |
und Linkspartei waren eine One-Woman-Show. Bei den Sitzungen der | |
sogenannten Dachgruppe, bei denen jeweils acht Vertreterinnen und Vertreter | |
der drei Parteien zusammenkamen, gab es keine wechselnden | |
Sitzungsleitungen. Sämtliche Runden wurden von Giffey selbst geleitet. | |
Jeder einzelne Satz des Koalitionsvertrags wurde von ihr aufgerufen, heißt | |
es aus Teilnehmerkreisen. Kontrolle und Machtanspruch in einem: Wie soll in | |
einer solchen Konstellation der „Teamgeist“ entstehen, den Bröchler | |
anspricht? | |
Kontrolle und Machtanspruch prägten auch Giffeys Auswahl der insgesamt vier | |
von der SPD gestellten Senatorinnen und Senatoren. Es sind vornehmlich | |
Vertraute wie Innensenatorin Iris Spranger, alte Bekannte wie | |
Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse oder loyale Parteigenossen wie | |
Bausenator Andreas Geisel, denen Giffey die Ernennungsurkunde überreicht | |
hat. | |
Damit niemand auf dumme Gedanken kommt, hat Giffey selbst bei der Wahl der | |
Staatssekretäre mitgemischt. So hatte Bildungssenatorin Busse bei der | |
Ernennung von Aziz Bozkurt und Alexander Slotty kein Mitspracherecht. Da | |
hat sich jemand also mit allen Mitteln der politischen Kunst Gefolgschaft | |
organisiert. | |
Franziska Giffey als „Eiserne Lady“ von Berlin? Eine, die im Zweifel eher | |
eigenmächtig als kollegial regiert? War Misstrauen und nicht Vertrauen das | |
Hauptmotiv bei ihren Personalentscheidungen? | |
## Was kommt aus den Fraktionen? | |
Vielleicht kommt man der Sache etwas näher, betrachtet man die | |
verschiedenen Machtebenen der künftigen Koalition. Im Abgeordnetenhaus hat | |
Rot-Grün-Rot mit 18 Stimmen zwar eine auskömmliche Mehrheit, aber wichtige | |
Impulse für die Regierungsarbeit werden von den Fraktionen eher nicht | |
ausgehen. Zu viele der Abgeordneten bei SPD, Grünen und Linken sind neu. | |
Vor allem in der SPD wird Fraktionschef Raed Saleh deshalb darauf achten, | |
seiner Co-Landeschefin und Regierenden den Rücken freizuhalten. Im | |
rot-schwarzen Senat unter Klaus Wowereit und in der rot-rot-grünen | |
Koalition unter Michael Müller dagegen hatte Saleh die SPD-Fraktion noch | |
als eigenständiges Machtzentrum zu etablieren versucht. | |
Aber auch im Senat gibt es einige zentrifugale Kräfte, die eine | |
Zusammenarbeit zumindest erschweren könnten. So wird die Linkspartei von | |
vornherein versuchen, ihr Profil zu stärken, um als kleinste | |
Regierungsfraktion nicht weiter an Bedeutung zu verlieren. Dass die Linke | |
den Spagat zwischen Regierungsbeteiligung und eigener Profilierung | |
beherrscht, hat sie bereits in der vergangenen Legislaturperiode gezeigt. | |
Damals noch zum Unmut nicht nur der SPD, sondern auch der Grünen. | |
Das aber könnte sich ändern. Mit ihrer [4][klugen Entscheidung, das Ressort | |
Umwelt, Verkehr und Klimaschutz zu übernehmen], hat die grüne | |
Spitzenkandidatin Bettina Jarasch bereits den nächsten Wahltermin in – | |
höchstens – fünf Jahren im Blick. Auch die Grünen werden also einen Spagat | |
zwischen eigenem Profil und „Teamgeist“ versuchen müssen. | |
Weniger klug ist allerdings ihr Festhalten an der Erzählung von Büllerbü. | |
Zuletzt hatte Jarasch bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags betont, | |
dass dort „sehr viel Bullerbü“ enthalten sei. Der Rekurs auf eine ländlic… | |
Idylle ist – mindestens – naiv, gibt er doch eine Steilvorlage allen, die | |
die Grünen-Wähler ohnehin als wertkonservative Zeitgenossen sehen, die ihre | |
dörfliche Idylle in die brodelnde Metropole tragen und ihre lieb gewordenen | |
Schrebergärten pflegen wollen. | |
Franziska Giffey jedenfalls wird sich die Hände reiben. Umso mehr, als sich | |
neben Abgeordnetenhaus und Senat bereits ein drittes Machtzentrum | |
herauskristallisiert: die Senatskanzlei im Roten Rathaus. Zu deren Chef hat | |
Giffey Severin Fischer gemacht. Fischer hatte bereits im | |
Bundesfamilienministerium Giffeys Planungsstab geleitet; beide kennen sich | |
aus Neukölln, wo Fischer Giffey als SPD-Kreisvorsitzender gefolgt war. | |
Neukölln ist nicht nur bei Heinz Buschkowsky „überall“, sondern auch bei | |
Franziska Giffey. | |
Als Leiter der Senatskanzlei wird Severin Fischer weitaus mehr zu | |
koordinieren haben als sein Vorgänger, Christian Gaebler. So ist im | |
[5][Koalitionsvertra]g unmissverständlich festgehalten: „Die planerische, | |
strategische und koordinierende Rolle der Senatskanzlei in Grundsatz- und | |
gesamtstädtischen Angelegenheiten wird gestärkt.“ | |
## Ein Warnung an Grüne und Linke | |
Das können Grüne und Linke getrost als Warnung verstehen. Aber auch die | |
Steuerung der Neubauvorhaben findet größtenteils in der Senatskanzlei | |
statt. So ist Giffey also nicht nur Regierende Bürgermeisterin, sondern | |
kann auch in andere Ressorts hineinregieren. Die nötigen Ressourcen hat sie | |
selbst geschaffen, indem sie auf die Übernahme eines eigenen Ressorts | |
verzichtet hatte. Vor ihr waren Michael Müller neben seinem Regierungsjob | |
noch Wissenschaftssenator und Klaus Wowereit Kultursenator gewesen. | |
So ist die Senatskanzlei also Giffeys „Kommandobrücke“, von der sie ihre | |
wichtigsten Vorhaben, Wohnungsbau und Digitalisierung der Verwaltung, auch | |
gegen mögliche Widerstände aus den Ressorts und der Koalitionsfraktionen | |
steuern kann. | |
## Wer wird hier enteignet? | |
Eines aber wird Giffey nicht so einfach vom Tisch räumen können: Der | |
erfolgreiche Volksentscheid zur Vergesellschaftung privater | |
Wohnungsunternehmen ist und bleibt die Sollbruchstelle Nummer eins der | |
rot-grün-roten Koalition. Wenn in drei Monaten die zuständige | |
Expertenkommission eingesetzt werden muss, dürfte es spannend werden. | |
Schon deren Zusammensetzung könnte für die Linke die Frage aufwerfen, ob | |
sie weiter eine Perspektive mit der Giffey-SPD sieht oder stattdessen | |
lieber in den Wahlkampfmodus schaltet. Und auch die Grünen müssen dann die | |
Frage beantworten, ob sie sich in der Bullerbü-Kuschelecke einrichten oder | |
doch den nächsten Anlauf proben wollen, aus dem Roten ein Grünes Rathaus zu | |
machen. | |
2 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Giffey-wird-Berliner-Buergermeisterin/!5820986 | |
[2] /Rot-Gruen-Rot-in-Berlin-startet/!5823993 | |
[3] /SPD-Kandidatin-Giffey-in-Berlin/!5800206 | |
[4] /Gruene-Klimasenatorin-in-Berlin/!5817125 | |
[5] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&… | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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