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# taz.de -- Filmschaffende im Kalten Krieg: Nicht jeder war, was er vorgab
> Der deutsche Nachkriegsfilm „Wir Wunderkinder“ war ein globaler Erfolg.
> Doch viele Mitspielende mussten ihre Vergangenheit vertuschen.
Bild: Der Film „Wir Wunderkinder“ erhielt 1960 unter anderem den Golden Glo…
Mitten im Kalten Krieg zeichneten die Sowjetunion und die USA denselben
Film aus: „Wir Wunderkinder“ erhielt 1960 den Golden Globe und die
Goldmedaille des Moskauer Filmfestivals. Es war ungewöhnlich, dass die
Supermächte sich auf etwas einigen konnten, aber das war nicht die einzige
Besonderheit dieses Films. Nicht jeder auf der Besetzungsliste war, was er
vorgab zu sein.
„Wir Wunderkinder“ beginnt 1913. Zwei Schuljungen versuchen, die
Honoratioren ihrer Kleinstadt auszutricksen. Der sympathische Hans
(Hansjörg Felmy) wird dabei erwischt und bestraft. Sein hinterfotziger
Schulfreund Bruno (Robert Graf) hingegen bekommt vom Lehrer (Horst Tappert)
als Belohnung ein Porträt [1][Kaiser Wilhelms II.] geschenkt.
Diese Ungerechtigkeit bestimmt ihr ganzes weiteres Leben: Bruno lügt sich
mit Schiebereien durch die 20er Jahre und wird glühender Nationalsozialist.
Hans versucht, anständig zu bleiben, und scheitert fulminant. Er verliebt
sich in Vera (Wera Frydtberg), die emigrieren muss, und er verliert 1933
seinen Job als Journalist. Auch im Nachkriegsdeutschland muss Hans sich
durchkämpfen, während Bruno sofort wieder ganz oben ist. Umrahmt wird die
Handlung von satirischen Liedern: dem „Adolf-Tango“ und dem genialen
„Chanson vom Wirtschaftswunder“ („Die ersten Nazis schreiben fleißig ihre
Memoiren“).
## Durchhaltelieder und Propagandafilme
Der Film funktioniert bis heute. Doch obwohl es ein eindeutiger
Antinazifilm ist, konnte er nur gedreht werden, weil einige Nazis ihre
Vergangenheit gekonnt vertuschten. Der Produzent Hans Abich verheimlichte
seine Zeit in Goebbels’ Propagandaministerium und Franz Grothe, der mit
Durchhalteliedern im NS-Regime eine steile Karriere gemacht hatte,
komponierte jetzt einfach die Musik zum „Adolf-Tango“. Auch Ludwig
Schmid-Wildy, der in den „Wunderkindern“ auftaucht, unterschlug, dass er
mehrere NS-Propagandafilme gedreht und deswegen vorübergehend Berufsverbot
erhalten hatte. [2][Amnesie ergriff auch Horst Tappert], Mitglied der
SS-Division Totenkopf, die an Selektionen beteiligt gewesen war.
Neben den „Brunos“ im Filmteam gab es jedoch auch ein paar vom Typ „Hans�…
Der jüdische Schauspieler Pinkas Braun spielte einen Emigranten (später
übernahm ausgerechnet Braun die Bösewichtrollen in den
Edgar-Wallace-Filmen, während Tappert zum liebenswerten Kommissar Derrick
mutierte). Robert Graf und [3][Wolfgang Neuss] hatten noch als Soldaten
gelernt, das NS-Regime zu hassen, und Wera Frydtberg brachte demonstrativ
ihren emigrierten Ehemann ans Set.
Ganz nach Ernst Bloch existierten also 1958 nicht unbedingt alle
„Wunderkinder“-Darsteller im „gleichen Jetzt“. Natürlich waren sie dam…
nicht allein. Ganz Deutschland befand sich in einem Zustand der
„Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“.
Parallel zu den „Wunderkindern“ brachte 1958 ausgerechnet [4][der Regisseur
des NS-Hetzfilmes „Jud Süß“] ein besonders süßliches Werk heraus: „Ich
werde Dich auf Händen tragen“. Eine Zeitung berichtete irritiert: „Nach
Ende einer Pressevorführung (von „Wir Wunderkinder“) teilt ein Herr vom
Verleih leicht verlegen mit, er habe übrigens gerade den Vorspann des
Veit-Harlan-Films zur Hand. Er habe zwar das Gefühl, dass dieser Streifen
nicht unbedingt der rechte Nachtisch zu den „Wunderkindern“ sei, doch würde
er ihn auf Wunsch gern vorführen. Die Anwesenden lehnten denn auch in der
Mehrzahl ab, um sich, wie jemand wörtlich sagte, „den schönen Eindruck
nicht zu zerstören“.
Und dieser Eindruck war in der Tat schön. Am Ende von „Wir Wunderkinder“
sieht man einen Fahrstuhl, der gerade repariert wird. Der Altnazi Bruno
übersieht das Warnschild und stürzt in den Schacht. Die Szene endet mit den
Worten: „Bruno Tiches ist verschieden. Aber Verschiedene seines Schlages
leben weiter. So viele Fahrstühle können ja auch gar nicht repariert
werden.“
4 Jan 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Karina Urbach
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