| # taz.de -- Kinotipp der Woche: Verstrickt in alle Richtungen | |
| > „Nasser Asphalt“ ist ein Nachkriegsfilm über Fake News und | |
| > Sensationsjournalismus. Das Projekt Berlin-Film-Katalog zeigt ihn im | |
| > Cosima Filmtheater. | |
| Bild: Szene aus „Nasser Asphalt“ (1958) | |
| Die Story ist natürlich großartig: Der Zweite Weltkrieg ist fast vorbei und | |
| ein paar Wehrmachtssoldaten befinden sich auf der Flucht vor der Roten | |
| Armee. Sie stoßen im heutigen Polen auf einen Vorratsbunker voller | |
| Lebensmittel, einem einzigen Schlaraffenland. Und das nach all den | |
| Entbehrungen. Also futtern sie sich so richtig voll und betrinken sich mit | |
| Schampus. Danach fallen sie in den Schlaf der Glückseligen. Doch dann wird | |
| der Haupteingang des Bunkers gesprengt und die Deutschen sitzen in der | |
| Falle. Jahrelang hocken sie da, mit den Lebensmitteln und dem Schampus. Bis | |
| die beiden letzten Überlebenden von ihnen durch einen Nebenausgang frei | |
| kommen und endlich wieder das Tageslicht erblicken. Was bei dem einen | |
| Schock auslöst, den er nicht überlebt, während der andere erblindet. | |
| So war das damals, 1951, sechs Jahre nach dem Krieg. So stand das in den | |
| Zeitungen und so wurde die Geschichte von den „Bunkermenschen von Gdingen“ | |
| überall verbreitet. | |
| Der Regisseur Frank Wisbar greift in seinem Film „Nasser Asphalt“ (1958) | |
| also echte Begebenheiten auf. Wobei nicht die Legende von den | |
| „Bunkermenschen“ einen wahren Kern hat, sondern nur, auf welche Weise diese | |
| in Umlauf gebracht wurde und was sie bei den Leuten auslöste. In Wisbars | |
| Film, der auf einem Drehbuch des berühmten Journalisten Will Tremper | |
| beruht, führen die Fake News von damals regelrecht zu einer Massenhysterie. | |
| Mütter und Ehefrauen sind irgendwann davon überzeugt, der blinde | |
| Überlebende aus dem Bunker könne nur ihr Sohn oder Ehemann sein. Und dass | |
| sie ihn immer noch nicht zu Gesicht bekommen haben, das wiederum könne nur | |
| daran liegen, dass die Polen und die Sowjets mal wieder etwas im Schilde | |
| führen und die restlichen Lebensmittel aus dem Bunker für sich behalten | |
| möchten. | |
| Wisbar hat hier [1][Ende der Fünfzigerjahre] sicherlich keinen Film | |
| gedreht, der sich mit deutscher Schuld und Machenschaften alter Nazis | |
| beschäftigt, dafür ist er dann doch ein wenig zu harmlos. Berlin ist immer | |
| noch voller Ruinen, aber was das mit den Nazis zu tun hat, wird gar nicht | |
| thematisiert. | |
| Der Film hat auch etwas anderes im Sinn. Er möchte sich eher mit der | |
| Dynamik einer Falschmeldung auseinandersetzen, die irgendwann kaum noch zu | |
| kontrollieren ist. In „Nasser Asphalt“ ist es der Starreporter Cesar Boyd, | |
| der kurz vor dem Wochenende einfach noch einen echten Knüller braucht und | |
| aus einer bei seinem Chauffeur aufgeschnappten Anekdote den großen Reißer | |
| über die Bunkermenschen macht. | |
| Seinem Chef völlig ergeben und im festen Glauben an den Wahrheitsgehalt der | |
| Story, versucht dann der Reporter Greg Bachmann weitere Details zu dieser | |
| zusammenzutragen. Bis er misstrauisch wird und bald davon überzeugt ist, | |
| dass alles nur erstunken und erlogen ist. Aber dann taucht in der Redaktion | |
| wirklich ein Blinder auf, der von sich behauptet, er sei der letzte | |
| Bunkermensch. Und da kommt Bachmann doch noch einmal ins Grübeln. | |
| „Nasser Asphalt“ wird im Rahmen des [2][„Berlin-Film-Katalogs“] am 8. | |
| Januar im [3][Cosima-Filmtheater] gezeigt. Mit Horst Buchholz als Greg | |
| Bachmann und Gert Fröbe als Chauffeur Jupp fährt er echte Stars des | |
| deutschen Kinos aus der damaligen Zeit auf. Der Film hat ordentlich Tempo | |
| und die Verstrickungen in alle Richtungen nehmen pausenlos zu. Am Ende | |
| steht vor allem der Konflikt zwischen Bachmann und seinem Chef im | |
| Vordergrund, einem Machtmenschen alter Schule, der glaubt, am Ende doch | |
| wieder mit allem durchzukommen. Bachmann aber ist der der Moral | |
| verpflichtete Held, was dann zum Glück auch Bettina erkennt, das junge | |
| Mädchen, auf das die beiden Kontrahenten ein Auge geworfen haben. | |
| 5 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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