| # taz.de -- Kinotipp der Woche: Tick, Tick, Boil | |
| > Rassistische Vorweihnachtszeit in Transilvanien, ein Londoner | |
| > Luxusrestaurant als Stresshölle: Beim Weihnachtsfilmfestival kocht wieder | |
| > alles über. | |
| Bild: In der Küche ist die Hölle los: Szene aus Philip Barantinis „Boiling … | |
| Die sechste Ausgabe des Weihnachtsfilmfestivals im Kino Moviemento | |
| verspricht wieder unkonventionelle Weihnachtsfilme. Und das muss man dem | |
| Kuratorenteam der [1][Filmreihe], die vom 21. bis zum 24. Dezember läuft, | |
| wirklich lassen: Sie versprechen nicht zu viel. Das, was hier gezeigt wird, | |
| sind durchaus Weihnachtsfilme, gleichzeitig sind sie das aber teilweise | |
| auch absolut gar nicht. | |
| Nichts könnte von „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ weiter entfernt sein, a… | |
| beispielsweise „R.M.N.“ (2022) von Cristian Mungiu, dem Starregisseur des | |
| [2][vielgerühmten rumänischen Arthouse-Kinos]. Sein Film spielt in einem | |
| Kaff in Transsilvanien während der Vorweihnachtszeit. Aber wer nun denkt, | |
| spätestens an Heiligabend würden sich die Konflikte in der Dorfgemeinschaft | |
| schon in Luft auflösen, so wie das von einem anständigen Weihnachtsfilm zu | |
| erwarten ist, wird sich getäuscht sehen. | |
| Der Film bietet von vorne bis hinten einen grimmigen Blick auf rassistische | |
| Dorfbewohner, deren Vorurteile gegenüber Fremden vom globalisierten | |
| Turbokapitalismus regelrecht befeuert werden. Da reicht sich unterm | |
| Weihnachtsbaum niemand die Hände. Die vernünftigste Dörflerin ist Csilla, | |
| die für die Großbäckerei, bei der sie angestellt ist, ein paar Arbeiter aus | |
| Sri Lanka anheuert. Für prekäre Jobs, die den anderen Dorfbewohnern zu | |
| schlecht bezahlt sind. Die wiederum träumen von Deutschland. Aber einer EU, | |
| von der sie glauben, sie wolle ihnen vorschreiben, die Roma anständig zu | |
| behandeln, stehen sie skeptisch gegenüber. | |
| Es heißt, [3][Regisseur Christian Mungiu] würde naturalistische Filme | |
| drehen, aber „R.M.N.“ erinnert fast schon an den Surrealismus eines Luis | |
| Bunuel. Da dreht plötzlich ein ganzes Dorf komplett durch und will so lange | |
| kein Brot mehr kaufen, so lange dieses von den Ausländern mit den | |
| „dreckigen Händen“ und den „schlimmen Krankheiten“ produziert wird. Un… | |
| Dorfpfaffe, wie könnte es auch anders sein, weiß der Progromstimmung, die | |
| sich langsam ausbreitet, auch nichts entgegenzusetzen. Weihnachtlich ist an | |
| dem Film nur, dass bekanntlich die Menschen in der sogenannten besinnlichen | |
| Zeit erst recht dazu neigen, nicht mehr richtig zu ticken. | |
| ## Wenn in der Küche der Kragen platzt | |
| Auch in „Boiling Point“ (2021) von Philip Barantini ist Weihnachten die | |
| Zeit im Jahr, in der einem Desaster gleich das nächste folgt. Der Film | |
| spielt in einem Luxusrestaurant im vorweihnachtlichen London. Und zeigt, | |
| welchen Stresssituationen das Personal in solch einem Laden am Ende des | |
| Jahres ausgesetzt ist. Der Film wurde in einer Plansequenz gedreht, die | |
| Kamera fährt also ohne Schnitt von Szene zu Szene. So wie bei „Victoria“ | |
| von Sebastian Schnipper. Allein diese Produktionsweise ist schon | |
| faszinierend an dem Film, der es so schafft, atemlos und ohne Pause | |
| sozusagen in Echtzeit 90 Minuten in der Stresshölle Gourmettempel | |
| einzufangen. | |
| Da gibt es rassistische Gäste, die eine Servicekraft schikanieren und | |
| nervige Foodinfluencer mit Sonderwünschen. In der Küche brüllt und zickt | |
| man sich an und das Wörtchen „fuck“ fällt öfter als in jedem Film, der im | |
| Milieu des Gangstaraps spielt. Tränen fließen, zwischendurch muss eine Line | |
| gezogen werden, sonst hält man das alles ja gar nicht mehr aus, aber | |
| währenddessen wird alles immer noch schlimmer. Und am Ende kommt der totale | |
| Kollaps. | |
| Eigentlich ist dieser ungewöhnliche Weihnachtsfilm „Boiling Point“ somit an | |
| dem echten Horror in den Familien rund um Heiligabend um einiges näher dran | |
| als „Der kleine Lord“. | |
| 20 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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