# taz.de -- Kinotipp der Woche: Auf Reise geraten | |
> Eine legendäre Schwulenbar in Boston, ein zufälliger Road Trip: Das | |
> Festival „Unknown Pleasures“ präsentiert wieder unabhängiges Kino aus d… | |
> USA. | |
Bild: „Gasoline Rainbow“ (2023), Regie: Bill Ross IV und Turner Ross | |
Der Holzrahmen um die Durchreiche zur Küche in Georden Wests „Playland“ | |
wirkt wie ein Fernseher, der ein Bild aus einer vergangenen Zeit zeigt. | |
Vier Personen werkeln in der Küche, schnippeln Gemüse, formen irgendetwas, | |
waschen ab und machen Zigarettenpause. | |
Das Bild zeigt eine noch nicht, aber schon bald vergangene Zeit. Von 1937 | |
bis 1998 war das Playland Café Bostons älteste Schwulenbar, mit | |
Vaudeville-Revuen, Theaterstücken, einem kleinen Orchester und einem | |
speklunkigen Charme. | |
Wests Film verwebt mündliche Überlieferungen, performative Elemente und | |
Archivmaterial zu einer Geschichte dieses Ortes. „Playland“ ist Teil einer | |
cinephilen Berliner Neujahrstradition. Zum unterdessen 14. Mal präsentiert | |
„Unknown Pleasures“ vom 1. Januar an Perlen des US-Independentkinos im | |
Berliner Kino Arsenal. Das diesjährige Programm wurde von Kristofer Woods | |
zusammengestellt. | |
Wie jedes Jahr präsentiert das Festival eine große Bandbreite unabhängigen | |
Kinos aus den USA. Der Eröffnungsfilm „Gasoline Rainbow“ von den Brüdern | |
Bill Ross IV und Turner Ross begleitet jugendliche Laiendarsteller auf | |
einen Roadtrip, Sean Price Williams zeigt eine High-School-Schülerin, die | |
auf einer Klassenfahrt ihre Klasse verliert und auf eine Reise durch | |
Amerika gerät. Die Filme von Mary Helena Clarke, Mike Gibisser und Miko | |
Revereza schlagen essayhaftere Töne an. | |
In Frederick Wisemans „Menus plaisirs – Les Troisgros“ möchte man eine d… | |
Beeren sein, die – je eine in jeder der Hände der beiden | |
Küchenmitarbeiter_innen – sorgfältig in das lauwarme Schokoladenbad getunkt | |
werden, ebenso zielstrebig wie effektiv abgetropft und dann an ein kleines | |
Bänkchen in der Mitte gelehnt auf einer Ablage aufgereiht. | |
Wisemans Film zeigt mit großer Sinnlichkeit und viel Liebe für den Weg der | |
Zutaten vom Einkauf bis auf den Teller die Arbeit in drei | |
Spitzenklasserestaurants: Troisgros, Le Central und La Colline, alle | |
betrieben von der Familie Troisgros. Im Zentrum des Films steht das | |
Troigros, die perfekten Abläufe des Drei-Sterne-Restaurants im Herzen | |
Frankreichs, den Aufwand der Vorbereitungen und die Sorgfalt des Anrichtens | |
auf dem Teller. | |
An die Stelle der Retrospektive der letzten Jahre tritt in diesem Jahr die | |
Präsentation zweier Wiederentdeckungen der jüngsten Zeit. David Schickele | |
porträtiert in seinem frisch restaurierten „Bushman“ Anfang der 1970er | |
Jahre Gabriel, einen jungen Mann aus Nigeria in San Francisco. | |
Der Film erzählt von Gabriels Erfahrungen des Fremdseins, dem Rassismus und | |
der Fetischisierung und bleibt unbeirrbar bei seinem Protagonisten, was aus | |
„Bushman“ einen ebenso persönlichen wie politischen Film macht. | |
Eleanor Antins „The Man Without a World“ von 1992 gibt sich als | |
wiedergefundener Film eines fiktiven sowjetischen Stummfilmregisseurs aus. | |
In einem polnischen Schtetl kämpfen die Kaufmannstochter Rukheleh und der | |
verarmte jiddische Dichter Zevi um die Wende zum 20. Jahren um ihre Liebe. | |
Der Film ist eine Hommage an Antins Mutter, die vor ihrer Emigration in die | |
USA in Polen Schauspielerin an einem jiddischen Theater war. | |
Auch in diesem Jahr ist „Unknown Pleasures“ eine Garantie für einen Start | |
ins Kinojahr, der Jahr für Jahr unerwarteterweise mit dem Gegenwartskino | |
versöhnt. | |
30 Dec 2023 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
## TAGS | |
taz Plan | |
Filmreihe | |
USA | |
taz Plan | |
taz Plan | |
taz Plan | |
Kolumne Frisch gesichtet | |
taz Plan | |
Dokumentarfilm | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kinotipp der Woche: Hoch die Hände, Wochenende! | |
Arbeit ist eine Zumutung. Für alle, die trotzdem schuften müssen, wurde das | |
Wochenende erfunden. Eine Filmreihe widmet sich der getakteten Freizeit. | |
Kinotipp der Woche: Verstrickt in alle Richtungen | |
„Nasser Asphalt“ ist ein Nachkriegsfilm über Fake News und | |
Sensationsjournalismus. Das Projekt Berlin-Film-Katalog zeigt ihn im Cosima | |
Filmtheater. | |
Filmempfehlungen für Berlin: Montage und Sitte | |
Frederick Wiseman dreht Dokus ohne Kommentar, jüngst in einem | |
Drei-Sterne-Restaurant. Ellen Richter spielte 1928 einen gestrandeten | |
Revuestar. | |
Kinoempfehlungen für Berlin: Tatsächlich ernst | |
Sofia Coppolas Film „Priscilla“ erzählt, wie Elvis' Ehefrau sich ihr Leben | |
zurück eroberte, das Filmmuseum Potsdam zeigt „Der unsichtbare Dritte“. | |
Kinotipp der Woche: Tick, Tick, Boil | |
Rassistische Vorweihnachtszeit in Transilvanien, ein Londoner | |
Luxusrestaurant als Stresshölle: Beim Weihnachtsfilmfestival kocht wieder | |
alles über. | |
Dokumentarfilm „Störung“: Fünf nüchterne Episoden | |
In „Störung“ versucht Constantin Hatz für die Texte eines toten Freundes | |
Bilder zu finden. Ungewöhnlich, aber eindrucksvoll nähert er sich an. |