# taz.de -- Kinotipp der Woche: Hoch die Hände, Wochenende! | |
> Arbeit ist eine Zumutung. Für alle, die trotzdem schuften müssen, wurde | |
> das Wochenende erfunden. Eine Filmreihe widmet sich der getakteten | |
> Freizeit. | |
Bild: Wansee geht immer: Szene aus „Menschen am Sonntag“ | |
Kaum dem Zug entstiegen, staut man sich an den Stegen, die in die Marne | |
hineinragen, um eines der Boote zu ergattern. Wer nicht selber rudern will, | |
wird auf einer Art schwimmenden Sardinenbüchse gerudert. 30 Ausflügler, ein | |
Ruderer. Wer es nicht aufs Wasser schafft, geht tanzen oder sitzt dicht an | |
dicht an den Ufern. 1929 zeigt Marcel Carnés erster Film „Nogent. Eldorado | |
du dimanche“ (Nogent. Eldorado des Sonntags) vergnügungswillige | |
Wochenendausflügler_innen im Ausflugsort Nogent-sur-Marne östlich von | |
Paris. Carnés Film läuft am kommenden Samstag als Vorfilm zum wohl | |
bekanntesten Wochenendfilm der deutschen Filmgeschichte „Menschen am | |
Sonntag“. Der Film von Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer und Rochus Gliese | |
zeigt fünf junge Menschen an einem Wochenende in Berlin. Vier von ihnen | |
verbringen den Sonntag am Wannsee. | |
Das Doppelprogramm eröffnet eine Filmreihe des [1][Zeughauskinos], die sich | |
den Wochenenden der Filmgeschichte widmet. Bis Ende Februar präsentiert | |
„Schönes Wochenende. Kinematographie einer Auszeit“ einen Gang durch die | |
Filmgeschichte jenseits des Arbeitstags. Ausgewählt hat die Filme der Reihe | |
Mathias Barkhausen. | |
Mitte der 1950er Jahre verschaffte das Free Cinema dem britischen Kino | |
freiere Luft zum Atmen. Die zentrale Aktivität der Gruppe von | |
Dokumentarfilmer_innen, die aus Lindsay Anderson, Karel Reisz, Tony | |
Richardson und Lorenza Mazzetti bestand, bildete eine Reihe von | |
Filmprogrammen. Für das erste Programm im Februar 1956 bastelten sich | |
Anderson und Mazzetti ein Manifest: „Kein Film kann zu persönlich sein. Das | |
Bild spricht. Ton verstärkt und kommentiert. Bildgröße ist irrelevant. | |
Perfektion ist kein Ziel. Eine Haltung bedeutet einen Stil zu haben. Ein | |
Stil bedeutet eine Haltung zu haben.“ | |
Das letzte der Filmprogramme läuft 1959. Ein Jahr später, im Oktober 1960, | |
feierte der erste Langfilm von Karel Reisz Premiere. „Saturday Night and | |
Sunday Morning“ zeigt eine Woche im Leben des Fahrradfabrikarbeiters Arthur | |
Seaton: die höllische Monotonie der Fabrikarbeit, der der Exzess des | |
Wochenendes gegenübersteht. | |
1966, noch während ihres Studiums an der HfG Ulm, zeigt [2][Ula Stöckl] in | |
„Was machen junge Menschen in ihrem Land am Sonnabend um 17 Uhr?“ | |
(Kurztitel: „Sonnabend, 17 Uhr“) | |
junge Menschen in München im Wochenende. Es geht bürgerlich brav, von heute | |
aus gesehen sogar recht spießig zu. Hannes Schönemann begleitet in | |
„Sonnabend, Sonntag, Montagfrüh“ 1979 ein Wochenende lang vier | |
Schlachthof-Lehrlinge in Mecklenburg-Vorpommern. Inspiriert von Karel | |
Reisz’ „Saturday Night and Sunday Morning“ zeigt Schönemann jugendliches | |
Leben in der DDR in aufrichtiger Form: trinkend, tanzend, eskapistisch. | |
Fünf Jahre nach der Fertigstellung des Films wird Hannes Schönemann | |
zusammen mit seiner Frau Sibylle verhaftet und ein Jahr später von den | |
westdeutschen Behörden freigekauft. | |
Nimmt man die Filme von „Schönes Wochenende. Kinematographie einer Auszeit“ | |
zusammen, wird sichtbar, was für eine Zumutung Lohnarbeit ist. Also: Hoch | |
die Hände, Wochenende! | |
10 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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