# taz.de -- „Macbeth“-Verfilmung von Joel Coen: Das Unheil bleibt in der We… | |
> Der Regisseur Joel Coen hat William Shakespeares „The Tragedy of Macbeth“ | |
> verfilmt. Denzel Washington gibt den Königsmörder. | |
Bild: Macbeth (Denzel Washington) ist bei Joel Coen ein weicher, verletzlicher … | |
Mehr als 400 Jahre ist William Shakespeares Königsmörderdrama „The Tragedy | |
of Macbeth“ alt, doch von seinem Reiz für Theater- und seit einem | |
Jahrhundert mehr noch Filmemacher hat es nichts verloren, im Gegenteil. | |
[1][Kaum eine Bühne von Rang, die das Stück über Aufstieg und Fall eines | |
machtgierigen Paares nicht schon mal auf dem Spielplan hatte], etliche | |
Kinoadaptionen sind legendär, Orson Welles’ „Macbeth“ von 1948, Akira | |
Kurosawas nach Japan übertragenes „Schloss im Spinnwebwald“ 1957 oder Roman | |
Polanskis blutrünstige Version 1971. | |
Viele andere dagegen sind längst vergessen. Nun also Joel Coen, der sich | |
erst gar nicht damit aufhält, den Stoff vermeintlich in die Gegenwart oder | |
eine angenommene Wirklichkeit zu hieven, sondern seine theatralen Wurzeln | |
geradezu offenlegt. | |
Die Geschichte um den Aufstieg und Fall des Heerführers und seiner | |
ehrgeizigen Gattin Lady Macbeth ist hinlänglich bekannt, und Coen tut gut | |
daran, daran nichts Elementares zu ändern, auch wenn er die Tragödie auf | |
etwas über 100 Minuten gestrafft hat. Der Genuss des Publikums, und es ist | |
einer, entsteht durch die Inszenierung, die diese Tragödie so subtil, so | |
feinädrig wie kaum bislang seziert, statt auf Blutbad und mimisches | |
Spektakel zu setzen. Es wird oft eher geflüstert und gemurmelt, auch die | |
Gewalt ist auf wenige kurze Momente reduziert. | |
Mithilfe des herausragenden Kameramanns Bruno Delbonnel inszeniert Joel | |
Coen das Stück als expressionistischen Albtraum in streng komponierten | |
Schwarz-Weiß-Bildern im fast quadratischen 1:1,19-Format. | |
Das Schloss von Szenenbildner Stefan Dechant ist mehr abstrakte Form als | |
reales Gebäude, es herrschen klare Linien und Konturen, auch in den von | |
Mary Zophres geschaffenen Kostümen, das Licht wirft harte Schatten, fast | |
wie eine Graphic Novel oder ein Stummfilmdrama von Carl Theodor Dreyer. Die | |
Landschaft, die Außenwelt dagegen mit ihren verkrüppelten Bäumen, lässt | |
sich kaum fassen, löst sich oft in gleißenden Nebeln auf. | |
## Emotionale und intellektuelle Wucht | |
Dass sich der visuelle Exzentriker nicht mit abgefilmtem Theater begnügen | |
würde, war ohnehin anzunehmen, doch gerade diese Künstlichkeit erweist sich | |
als passender Modus, um Shakespeares Sprache in all ihrer emotionalen und | |
intellektuellen Wucht wirken zu lassen, und ist weit mehr als nur visuelle | |
Spielerei oder inszenatorische Prahlerei. Joel Coen kreiert hier das Bild | |
einer hermetischen Gedankenwelt, die zunächst irritiert in ihrer | |
Überhöhung, die aber schnell ihren ganz eigenen Sog entwickelt und nicht | |
mehr loslässt. | |
Mit Bedacht nutzt er dabei auch CGI-Effekte, etwa bei den Auftritten der | |
drei Hexen, allesamt verkörpert von der atemberaubenden Kathryn Hunter, | |
einer Koryphäe des körperbetonten Physical Theatre, die sich windet und | |
ihre Prophezeiungen kräht, dass es nicht wundert, wenn sie sich kurz danach | |
tatsächlich in schwarze Vögel auflöst. | |
Die beiden Hauptfiguren sind älter als in den meisten anderen Adaptionen, | |
was ihrem getriebenen Handeln eine gewisse Verzweiflung gibt, die im Spiel | |
gar nicht weiter betont werden muss. Denzel Washington, 66, der im Laufe | |
seiner Karriere immer wieder Shakespeare gespielt hat, auf der Bühne und | |
auf der Leinwand, gibt diesen Macbeth als weichen, verletzlichen Grübler, | |
der durch Machtgier zum Soziopathen wird. Er spricht diese | |
jahrhundertealten Verse, als wäre es alltägliche Konversation, das ist | |
wirklich große Kunst. | |
Auch Frances McDormand, 64, ein knappes Jahr nach ihrem Oscar-Auftritt in | |
Chloé Zhaos „Nomadland“ (und ab 30. 12. auch auf Disney+), braucht in | |
dieser gänzlich anderen Rolle nur kleine Gesten, nicht zuletzt in Lady | |
Macbeth’ Schlafwandelmonolog, der schon so manche Kollegin zum Overacting | |
verleitet hatte. | |
## Krähen verdunkeln den Himmel | |
Für Macbeth geht es auch diesmal nicht gut aus, dazu braucht es keinen | |
Spoileralarm. Kurz scheint’s, als sei mit seinem Ende auch die Ordnung | |
wieder hergestellt. Doch dann schrecken unzählige Krähen hoch und | |
verdunkeln den Himmel. Das Unheil, es bleibt in der Welt, auch 2021. Dann | |
ist nur noch zu hören, wie der Schalter des Bühnenlichts umgelegt wird. Und | |
es bleibt: nichts als tiefstes Schwarz. | |
„The Tragedy of Macbeth“ ist der erste Spielfilm, den Joel Coen im | |
Alleingang ohne seinen Bruder Ethan inszeniert, nach 18 gemeinsamen Werken | |
wie „Fargo“ und „No Country for Old Men“. In der Familie bleibt es | |
trotzdem: Mit der Hauptdarstellerin Frances McDormand ist der Regisseur | |
seit 1984 verheiratet, sie setzte sich jahrelang für eine gemeinsame | |
Adaption des Stoffes ein und hat den Film nun auch mitproduziert. | |
Nach einem Ausflug zu [2][Netflix mit „The Ballad of Buster Scruggs“, dem | |
bislang letzten Coen-Brothers-Film 2018], ist er nun bei Apple TV+ | |
gelandet, wo „Macbeth“ ab 14. Januar zu sehen sein wird. Ganz fürs Kino | |
verloren ist aber auch dieses Werk nicht. Einige Filmtheater zeigen das | |
Drama bereits ab dem ersten Weihnachtsfeiertag auf der großen Leinwand und | |
diesen Weg ist das hochkonzentrierte Vergnügen in seinen betörenden | |
Schwarz-Weiß-Bildern allemal wert. | |
23 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Abeltshauser | |
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