# taz.de -- Rot-Grün-Rot lässt Tempelhofer Feld frei: Ein künstlicher Aufreg… | |
> SPD, Grüne und Linke haben sich geeinigt: Das Tempelhofer Feld wird bis | |
> 2026 nicht bebaut. Eine kluge Entscheidung – für alle Parteien. | |
Bild: Berlin ganz nah, aber doch schön weit weg: auf dem Tempelhofer Feld | |
Das Tempelhofer Feld ist seit seiner Eröffnung als grüne weite Fläche 2011 | |
ein Projektionsort für viele Träume. Wer über die Startbahnen des einstigen | |
Flughafens skatet, joggt, radelt oder einfach nur flaniert, kann [1][im | |
Angesicht der Stadt am Horizont] die Gedanken schweifen lassen. Manche | |
Politiker*innen sind dabei schon vor Längerem auf die absurde Idee | |
gekommen, diesen Horizont lieber mit Wohnungen zu verbauen. Die | |
Berliner*innen haben das 2014 in einem Volksentscheid verhindert. | |
Doch die Gedanken sind frei, und so wird seitdem immer wieder von CDU, FDP | |
und zuletzt auch SPD vorgeschlagen, die zugegeben schwierige Situation auf | |
dem Wohnungsmarkt durch Neubau an den Feld-Rändern entlasten zu wollen. Im | |
Wahlkampf war das eine der klarsten Unterscheidungen zwischen den | |
Regierungsparteien SPD auf der einen und Linken wie [2][Grünen auf der | |
anderen Seite]. | |
In den Koalitionsverhandlungen zum Thema Stadtentwicklung haben sich bei | |
dieser Frage allerdings Grüne und Linke durchgesetzt: Am Montagabend wurde | |
bekannt, dass die neue rot-grün-rote Regierung [3][das Tempelhofer Feld – | |
und damit das Ergebnis des Volksentscheids – unangetastet lässt]. | |
Es ist eine weise Entscheidung. Nicht nur für die Hunderttausenden, die | |
diesen Ort jede Woche für Erholung und Sport nutzen. Nicht nur für die | |
Grünen, die damit ein zentrales Wahlversprechen umsetzen konnten. Sondern | |
auch für CDU und FDP, die beiden wichtigen Oppositionsparteien im | |
Abgeordnetenhaus: Sie sind jetzt gezwungen, in Fragen der Baupolitik | |
konstruktive Vorschläge zu unterbreiten, statt nur Symbolpolitik zu | |
betreiben, indem sie mantraartig Neubau auf dem Tempelhofer Feld fordern. | |
Das kann ihre Arbeit inhaltlich nur stärken; nach dem weitgehenden | |
Totalausfall in den vergangenen fünf Jahren wäre es bitter nötig. | |
Es gibt gute Argumente, das Feld frei zu lassen. Wer nicht dem Wahnsinn | |
anheim fällt und gleich die gesamte Fläche mit Wohnungen zubetonieren will, | |
merkt schnell: Das Feld ist zwar eine Option für Wohnungsbau, aber mit | |
seiner möglichen Kapazität von 2.000 bis 10.000 Wohnungen nicht die | |
stadtweit entscheidende – auch wenn es von CDU, FDP und auch der SPD gerne | |
so dargestellt wurde. | |
Schließlich will Rot-Grün-Rot insgesamt 200.000 Wohnungen bauen in den | |
nächsten zehn Jahren; die können und sollten auch woanders, gen Stadtrand | |
entstehen. Denn das Feld hat auch die Aufgabe, den überwiegend dicht | |
bebauten Altbauquartieren in seiner Umgebung als Klimaschneise Kaltluft in | |
heißen Sommern zukommen zu lassen. Zudem bietet es als große Freifläche | |
vielen Tieren und Pflanzen innerstädtisches Asyl. | |
## Widerstand auf jedem Acker | |
All das ist aber nicht mal der entscheidende Punkt für die politische | |
Diskussion über Wohnungsbau in dieser Stadt. Wo gebaut werden soll, gibt es | |
Widerstand aus der Bevölkerung dagegen, nicht selten aus einer sogenannten | |
Nimby-Haltung – not in my backyard, nicht in meinem Hinterhof –, also einer | |
direkten Betroffenheit. Im Falle des Tempelhofer Feldes ist das anders: Es | |
gibt ein gesamtstädtisches Interesse, dort nicht zu bauen, das sich auch in | |
dem Ergebnis des Volksentscheids ausgedrückt hat. | |
Indem CDU, FDP und SPD dessen ungeachtet immer wieder Tempelhof als Bauland | |
ins Spiel brachten, vermischten sie zwei Debatten: Die um den Wohnungsbau | |
und die, [4][wie mit einem vom Volk beschlossenen Gesetz umgegangen werden] | |
soll. Die Feldfrage wurde symbolisch überhöht, auch weil man hoffte, den | |
urbanen grünen und linken Wähler*innenmilieus einen Widerspruch | |
vorhalten zu können: Die forderten zwar Einsatz gegen die Wohnungsnot, ohne | |
aber auf Stadtgrün verzichten zu wollen. Das benachteilige jene, die gerne | |
in der Stadt wohnen wollen, es aber mangels Angebot nicht können. | |
Diese Argumentation war so verlockend für FDP, CDU und auch SPD, dass sie | |
im Gegenzug die Suche nach schneller und umkomplizierter zu bebauenden | |
Grundstücken vernachlässigten. Der rot-grün-rote Koalitionsvertrag holt das | |
nun nach und weist weitere, bisher nicht für den Wohnungsbau vorgesehene | |
Flächen aus, etwa auf dem Zentralen Festplatz und dem Ex-Flughafen Tegel. | |
Zudem soll ein wesentlicher Teil des Neubaus auf bereits versiegelten | |
Flächen entstehen, etwa durch Aufstockungen von Wohnhäusern und | |
einstöckigen Discountern. So ergibt sich eine Grundlage für künftige | |
Debatten jenseits des Tempelhofer Feldes. Zumindest bis in vier Jahren | |
wieder der Wahlkampf startet. | |
27 Nov 2021 | |
## LINKS | |
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[3] /Koalitionsplaene-fuer-Stadtentwicklung/!5817397 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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