# taz.de -- Gesundes Essen für wenig Geld: Ohne Kochen geht es nicht | |
> Wer wenig Geld hat, kann sich nicht gesund und wohlschmeckend ernähren, | |
> heißt es oft. Der Rentner Kurt Möbus zeigt, dass es doch möglich ist. | |
Bild: Suppengrün gibt's günstig beim Discounter | |
Kurt Möbus mag es gern frisch. [1][Blumenkohl, Brokkoli, Rosenkohl]. | |
Morgens gekauft, vormittags zubereitet, mittags gegessen. Das muss sein, | |
sagt Möbus, „so als alter Naturfreak“, der er sei. | |
Möbus ist 66 Jahre alt, Ökologe und Naturfotograf im Ruhestand. Er hat | |
nicht viel Geld. 650 Euro Rente monatlich, manchmal verdient er sich ein | |
paar Euro dazu. Davon gehen 300 Euro weg für die Miete seiner kleinen | |
Singlewohnung in Friedrichsdorf im Hochtaunuskreis und etwa 130 Euro | |
Nebenkosten. Hinzu kommen Strom, Internet, das Übliche. Am Ende, sagt | |
Möbus, bleibe ihm für Lebensmittel, Kleidung, Hygieneartikel etwa so viel | |
wie Hartz-IV-Empfänger:innen. Aber gesund ernähren, das will er sich | |
trotzdem. | |
Geht das überhaupt? Das Narrativ hierzulande, das auch in der taz schon oft | |
nacherzählt wurde, lautet: Wer wenig Geld hat, kann sich nicht gesund, | |
frisch und wohlschmeckend ernähren. | |
Das ist nicht falsch. Wie Studien vielfach belegen, ist eine Ernährung | |
[2][mit frischem Obst und Gemüse,] von dem man viel essen muss, um auf die | |
nötige tägliche Kalorienmenge zu kommen, insgesamt teurer, als würde man | |
sich von Pommes, Pizza und Fertigprodukten ernähren. Aktuell kommen die | |
Folgen der Coronapandemie hinzu: Während die Lebensmittelpreise um 5 | |
Prozent gestiegen sind, Obst und Gemüse sogar um 9 Prozent, bekommen | |
Hartz-IV-Empfänger:innen demnächst nur 3 Euro mehr im Monat. | |
## Nudeln, Hülsenfrüchte, Reis | |
Aber fast kein Mensch ernährt sich ausschließlich von Gemüse und Obst, | |
nicht einmal Veganer:innen. Um satt zu werden, landen auf Tellern von | |
Menschen, die auf tierische Produkte vollkommen verzichten, | |
selbstverständlich Nudeln, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Reis. Produkte, die | |
nicht teuer sein müssen und die es in jedem Supermarkt gibt. Auch | |
Bioprodukte und frisches Gemüse kann man mittlerweile im Discounter kaufen. | |
Nichts anderes macht Kurt Möbus – der sich allerdings hin und wieder in | |
kleinen Mengen Hühnerfleisch oder Speck leistet, möglichst in Bioqualität. | |
Möbus rechnet es vor: Eine Tüte braune Linsen gibt es bei Rewe für 1,09 | |
Euro, in Bioqualität 1,69 Euro. Damit könne er, sagt Möbus, sechs Mal | |
jeweils für zwei Tage eine Suppe kochen. Für die braucht er noch ein Bund | |
Suppengrün, 99 Cent bei Rewe. Dazu ein bisschen Speck, 100 Gramm für 68 | |
Cent (Edeka). „Wenn ich Biolinsen und Schinkenspeck nehme, koche ich die | |
Linsensuppe für 1,95 Euro und esse davon zwei Tage.“ Lässt Möbus das | |
Fleisch weg, wird es noch preisgünstiger. | |
Oder „[3][Oweblätze]“, wie Möbus sie nennt, eine Art Kartoffelpfannkuchen. | |
Die werden mit Hefeteig, Kartoffeln und Mehl in ein wenig Fett gebacken, | |
Möbus isst sie mit gebratenen Zwiebeln und etwas Speck. Dafür kauft er: 2 | |
Kartoffeln, 2 Bio-Eier, 3 Zwiebeln, alles für jeweils 60 Cent, dazu 1 | |
Würfel Biohefe, 30 Cent, und Speck für 50 Cent. Das Biodinkelvollkornmehl | |
(1 Kilo, 1,89 Euro, Penny) hat er auf Vorrat zu Hause. Insgesamt nicht mal | |
3 Euro. Möbus sagt: „Reicht für zwei Tage, am zweiten Tag esse ich sie nur | |
mit Butter. Schmeckt auch.“ | |
Auch [4][Fenchelauflauf] mit Kartoffeln und Mozzarella, Gemüselasagne und | |
Erbsensuppe stehen bei Möbus auf dem Ernährungsplan: „Mein Essen ist nie | |
langweilig, obwohl es nicht teuer ist.“ | |
Die These, dass sich Menschen mit wenig Geld nicht ausgewogen ernähren | |
können, „stimmt in dieser Absolutheit nicht“, sagt auch Friedrich Schorb. | |
Der Soziologe an der Universität Bremen muss es wissen, er beschäftigt sich | |
seit Jahren mit Gesundheitsökonomie, Übergewicht und der dabei | |
mitschwingenden Klassenfrage. Schorb verweist als Positivbeispiel auf | |
Studierende: „Sie haben in der Regel wenig Geld und kaufen Brot vom Vortag | |
zum halben Preis oder gehen containern.“ | |
Hatte der einstige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin also doch recht, | |
als er 2008 einen „völlig gesunden, wertstoffreichen und vollständigen“ | |
Speiseplan für Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger:innen für 3,76 Euro | |
zusammenstellte? „Nein“, sagt Schorb: „Das war eindeutig abwertend | |
gemeint.“ Sarrazin, den die SPD mittlerweile aus der Partei ausgeschlossen | |
hat, sah für ein Mittagsmenü für eine Person unter anderem eine Bratwurst | |
(38 Cent), 150 Gramm Sauerkraut (12 Cent), Kartoffelbrei (25 Cent) vor. | |
Solche Vorschläge sind auf Dauer nicht gesund und stoßen bei Menschen mit | |
wenig Geld schon deshalb auf Ablehnung, sagt Schorb, „weil sie sich nicht | |
vorschreiben lassen, wofür sie ihr weniges Geld auszugeben haben“. | |
Dafür betrifft ärmere Menschen ein Phänomen, das der französische Soziologe | |
Pierre Bourdieu als „Notwendigkeitsgeschmack“ bezeichnete: Wer nur bis zu | |
einer bestimmten Summe investieren kann, identifiziert sich mit dem | |
Erreichbaren. Bezogen auf Essen heißt das: Dann können Fischstäbchen, Pizza | |
oder Pommes mit Ketchup und Mayo durchaus zu einem guten Essen umgedeutet | |
werden. Erst recht, wenn Kinder im Haushalt leben, denen man etwas Gutes | |
gönnen möchte. Nur sonderlich gesund ist das nicht. Und richtig gekocht | |
eigentlich auch nicht. | |
Doch ohne Kochen geht es nicht, sagt Nanette Ströbele-Benschop, | |
Ernährungspsychologin an der Universität Hohenheim: „Wer kochen kann und | |
weiß, wie man Lebensmittel kombiniert, kann sich auch mit wenig Geld gesund | |
ernähren.“ Von einem Kilo Kartoffeln könne man lange essen, ergänzt mit | |
gekochtem Gemüse „kann das eine gute und gesunde Mahlzeit sein“. | |
Das Problem ist nur: Nicht alle Menschen können kochen. Und nicht alle | |
haben Zeit und Lust dazu. „Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Jobs und | |
trotzdem wenig Geld schafft es gar nicht, nach der Arbeit gezielt | |
einzukaufen und dann auch noch zu kochen“, sagt Ströbele-Benschop: „Da muss | |
es einfach, schnell und befriedigend sein.“ Und schon landet man wieder bei | |
Fischstäbchen. Um dieses Problem zu lösen, schlägt die | |
Ernährungspsychologin Ganztagsschulen mit Ernährungsbildung, die | |
Unterstützung von Alleinerziehenden und die soziale Integration von | |
Alleinstehenden vor. | |
Helfen Kochshows im Fernsehen? Nur bedingt, sagt Nanette Ströbele-Benschop: | |
Man müsste Zutaten mitschreiben, Einkaufslisten machen, einkaufen. Am Ende | |
kann es an teuren Gewürzen scheitern. „Kochshows steigern das Interesse, | |
ein Essen selbst zuzubereiten, nur minimal.“ | |
Kurt Möbus hat Glück. Als Kind hat er seiner Mutter beim Kochen zugeschaut | |
und schon als Jugendlicher selbst gekocht. Er hat auch ein selbstangelegtes | |
Kochbuch. Darin stehen etwa 50 verschiedene Rezepte. „In Gesellschaft zu | |
essen wäre sicherlich schöner“, sagt er. „Aber ich genieße mein Essen au… | |
allein.“ | |
19 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gemuese/!t5014708 | |
[2] /Gemueseanbau-in-Berlin/!5637150 | |
[3] https://www.hr-fernsehen.de/sendungen-a-z/hessen-a-la-carte/rezepte/rezept-… | |
[4] https://eatsmarter.de/rezepte/kartoffel-fenchel-auflauf | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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