# taz.de -- Zehn Jahre nach NSU-Enttarnung: Die mutmaßlichen Helfer | |
> Vor zehn Jahren flog das NSU-Trio auf. Die Bundesanwaltschaft leitete | |
> Ermittlungen gegen neun mögliche Unterstützer ein, Anklagen gab es nicht. | |
Bild: Zerstört: Der von Zschäpe angezündete Unterschlupf in Zwickau | |
BERLIN taz | Der NSU bekundete es selbst in seiner Bekenner-DVD: man sei | |
ein „Netzwerk von Kameraden“. Als am 4. November 2011 der Terror aufflog, | |
machten sich die Ermittler auf die Suche. Gab es wirklich so ein Netzwerk? | |
Gab es Helfer, gar weitere Mitglieder? | |
Vier Männer ließ die Bundesanwaltschaft schließlich festnehmen, sie wurden | |
später zu Haftstrafen von bis zu zehn Jahren verurteilt: der frühere | |
NPD-Mann und Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben, der langjährige Helfer André | |
E., der Passbesorger Holger G. und der reuige Waffenüberbringer Carsten S. | |
Zugleich leitete die Bundesanwaltschaft gegen neun weitere | |
Rechtsextremisten Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen | |
Vereinigung ein. | |
Diese Verfahren sind bis heute offen. Aber es ist sehr ruhig um sie | |
geworden. Opferanwälte erhalten dazu keine Akteneinsicht, | |
Ermittlungsschritte sind nicht bekannt. Die Opferfamilien fordern Anklagen | |
gegen die neun Beschuldigten. Die Bundesanwaltschaft entgegnet, dass es | |
dafür bisher an einem ausreichenden Nachweis fehlt, dass die Beschuldigten | |
ihre Unterstützung in Kenntnis der Terrortaten leisteten. | |
Wer sind diese Helfer, was ist aus ihnen geworden? | |
## Susann E. | |
Die heute 40-Jährige ist die Ehefrau des engsten Triovertrauten André E. | |
Diesen bezeichnete selbst sein Anwalt als „Nationalsozialist mit Haut und | |
Haar“. Susann E. teilt seine Gesinnung, nahm etwa an Treffen der völkischen | |
„Artgemeinschaft“ teil. Das Paar besuchte die Untergetauchten regelmäßig, | |
Susann E. wurde zur besten Freundin von Zschäpe. Fotos zeigen beide bei | |
einem Stadtfest in Zwickau oder auf einem Cocktailabend. Susann E. überließ | |
Zschäpe Bahncards. Und Zschäpe nutzte ihren Namen als einen ihrer Aliase. | |
Als die Terroristin am 4. November 2011 aus Zwickau floh, bekam sie von | |
Susann E. neue Kleidung. Mehmet O., verletztes Opfer des ersten | |
NSU-Anschlags 1999 in Nürnberg, will Susann E. auch auf einem Polizeifoto | |
wiedererkannt haben. Weitergehende Ermittlungen dazu gab es nicht. Auf dem | |
PC der E.s fanden Ermittler Kartenausschnitte aus Nürnberg, dazu auch | |
NS-Bilder. Im NSU-Prozess verweigerte Susann E. die Aussage. | |
Heute lebt das Paar in einem Dorf bei Zwickau. Während ihr Mann weiter | |
Szeneveranstaltungen besuchte, blieb Susann E. unauffällig. Als Beamte zwei | |
Jahre nach dem NSU-Auffliegen nochmals die Wohnung der Familie | |
durchsuchten, fanden sie im Wohnzimmer eine Zeichnung mit den Gesichtern | |
von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, dazu der Schriftzug: „Unvergessen“. | |
## Matthias D. | |
Matthias D. aus Johanngeorgenstadt besuchte die Untergetauchten regelmäßig, | |
auf einem Video sieht man ihn mit Zschäpe Einkäufe in deren Wohnung tragen. | |
Er mietete für das Trio in Zwickau eine Wohnung in der Polenzstraße an, | |
später auch den letzten Unterschlupf in der Frühlingsstraße 26. Die | |
Mietzahlungen liefen über sein Konto. Der Fernfahrer gehörte Anfang 2000 | |
der Weißen Bruderschaft an, in der auch André Eminger aktiv war. In einer | |
Vernehmung sagte er, er habe die Wohnungen zunächst nur an einen | |
Szenebekannten, Max-Florian B., untervermietet, mit dem Trio kaum Kontakt | |
gehabt. Im NSU-Prozess verweigerte er die Aussage. | |
Einem MDR-Reporter antwortete der 46-Jährige im Juni dieses Jahres auf die | |
Frage nach den Mordopfern und den offenen Fragen im NSU-Komplex: „Das ist | |
mir egal.“ | |
## Mandy S. | |
Die Friseurin war in den Neunzigern Teil der rechtsextremen Szene, auf | |
einem Aufmarsch 1998 in Dresden trug sie mit Zschäpe zusammen eine Fahne – | |
kurz vor deren Abtauchen. Dem Trio organisierte S. dann einen Unterschlupf | |
in Chemnitz, in der Wohnung ihres damaligen Lebensgefährten Max-Florian B. | |
In einer Vernehmung sagte sie, ein Szenefreund habe sie darum gebeten. | |
Später soll sie Zschäpe auch ihre Krankenkassenkarte überlassen haben. Die | |
benutzte den Namen Mandy S. als einen ihrer Aliase. S. lebte kurzzeitig | |
auch im Nürnberger Umland, wo drei der zehn NSU-Morde stattfanden. Der | |
NSU-Ausschuss im Bundestag hielt S. für eine „Macherin“, welche die | |
Ermittler „intensiver in den Fokus nehmen hätten müssen“. | |
Im NSU-Prozess beteuerte S., von den Terrorplänen nichts gewusst und die | |
Szene verlassen zu haben. Allerdings tauchte ihr Name später noch auf der | |
Anwesenheitsliste eines rechtsextremen Vereins im Erzgebirge auf. | |
## Max-Florian B. | |
Der frühere Lebensgefährte von Mandy S. überließ 1998 seine Chemnitzer | |
Wohnung den gerade abgetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. In einer | |
Vernehmung schob er die Initiative Mandy S. zu. Er habe dann anfangs bei | |
ihr, erst später mit dem Trio zusammengewohnt. Mundlos besaß auf B.s Namen | |
auch einen Reisepass und ließ sich „Max“ rufen. Auch eine Wohnungsanmietung | |
in Zwickau lief unter seinem Namen – laut B., ohne dass er etwas davon | |
wusste. Der 43-Jährige besuchte das Trio aber auch noch in Zwickau, die | |
Uwes kamen später zu ihm nach Dresden, wo er inzwischen wohnte. | |
Von den Terrortaten will B. nichts gewusst haben, im NSU-Prozess | |
verweigerte er die Aussage. Heute soll er die rechtsextreme Szene verlassen | |
haben. | |
## Thomas S. | |
Der Chemnitzer Thomas S. war eine Führungsfigur der Chemnitzer | |
Neonaziszene, aktiv auch bei Blood & Honour. Mitte der Neunziger war der | |
mehrfach Verurteilte kurzzeitig mit Zschäpe liiert. 1997 lieferte er | |
Mundlos Sprengstoff für Rohrbomben – als die Polizei diese bei einer Razzia | |
in Jena im Januar 1998 fand, tauchte das Trio unter. Thomas S. soll dann | |
ihre erste Anlaufstelle gewesen sein und einen ersten Übernachtungsplatz | |
vermittelt haben. Auch danach soll S. den Kontakt gehalten haben. Bei einem | |
Szenekonzert 1999 soll er gesagt haben, das Trio brauche keine Spenden | |
mehr, da es selbst „jobbe“ – ein Verweis auf die Bankraube. Im Herbst 2012 | |
wurde bekannt, dass Thomas S. zehn Jahre lang, bis 2011, als Spitzel für | |
das Berliner LKA gearbeitet hatte. Zu den Untergetauchten soll er dabei | |
nichts Konkretes preisgegeben haben. Schon 1986 soll S. in der DDR als | |
Informant für die Polizei gearbeitet haben. | |
Im NSU-Prozess schwieg auch Thomas S. Heute hat der 54-Jährige den | |
Nachnamen seiner Frau angenommen und will die Szene verlassen haben. | |
## Jan W. | |
Der Chemnitzer Jan W. war die „rechte Hand“ von Thomas S., Chef von Blood & | |
Honour in Sachsen und Konzertorganisator. Laut dem Brandenburger V-Mann | |
Carsten „Piatto“ Szczepanski sollte W. dem Trio Waffen beschaffen – mit | |
Geldern von Blood & Honour. Auch Zschäpe sagte im NSU-Prozess, die Uwes | |
hätten eine Waffe von W. bekommen. | |
Der 46-Jährige bestreitet das, im NSU-Prozess schwieg er. Die Aufklärung | |
ist schwierig: Überwachungsprotokolle von gut 100 seiner SMS sind | |
verschwunden. 2014 ließen Bundesanwälte auch ein Notizbuch von Jan W. | |
vernichten, trotz Löschmoratoriums. | |
## André K. | |
Der Jenaer André K. gehörte in den Neunzigern zur Kameradschaft Jena – | |
zusammen mit Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe und Wohlleben. Später schloss sich | |
die Gruppe dem Thüringer Heimatschutz an, K. stieg zum Stellvertreter auf. | |
Nach dem Abtauchen des Trios soll er für dieses Spenden gesammelt haben. | |
Einem V-Mann sagte K. im Juli 1998, er brauche 1.800 Mark, um die drei „aus | |
Jena endgültig wegzubringen“. Zudem versuchte er, Pässe für das Trio zu | |
beschaffen. | |
Im NSU-Prozess fiel K. durch Erinnerungslücken auf, von den Terrorplänen | |
will er nichts gewusst haben. Der 46-Jährige lebt weiter in Thüringen und | |
arbeitet in einer Baufirma. Mindestens über soziale Medien hält er | |
weiterhin Kontakt zu Wohlleben. | |
## Pierre J. | |
Dem Betreiber von Computerspieleläden wird vorgeworfen, dem Trio 2002 oder | |
2003 eine Pumpgun besorgt zu haben. Das behauptete der verurteilte | |
NSU-Helfer Holger G. Er erklärte auch, dass Mundlos im Zwickauer | |
Spieleladen quasi gearbeitet habe. Im Brandschutt des letzten | |
NSU-Unterschlupfs fand sich eine Kundenkarte Zschäpes für J.s Geschäft, | |
ausgestellt auf den Alias „Lisa Mohl“. | |
Pierre J. bestritt über seinen Anwalt jeden Kontakt zum NSU-Trio oder eine | |
Anstellung von Mundlos. Gegen ihn liefen 2012 auch Ermittlungen wegen | |
Hehlerei, weil er in seinem Laden Diebesgut angekauft haben soll. Er | |
betreibt bis heute zwei Spieleläden in Chemnitz und Annaberg. | |
## Hermann S. | |
Auch Hermann S. arbeitete in dem Zwickauer Spielegeschäft und steht | |
ebenfalls in dem Verdacht, etwas mit der Pumpgun-Lieferung zu tun zu haben. | |
Zschäpe sagte im NSU-Prozess, Mundlos habe von einem „Hermann“ in einem | |
Zwickauer Spieleladen eine Pumpgun bekommen. Ermittler fanden in den Resten | |
des letzten Unterschlupfs einen Notizzettel mit mehreren Telefonnummern von | |
S. Hermann S. wurde zuletzt nicht mehr auffällig. | |
3 Nov 2021 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Andreas Speit | |
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