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# taz.de -- Revision zu NSU-Urteil abgewiesen: Erneutes Entsetzen bei Angehöri…
> Der BGH hat die milde Haftstrafe für den NSU-Helfer André Eminger
> bestätigt. Freunde und Familien der Terror-Opfer sind wütend und
> enttäuscht.
Bild: Der Dritte Strafsenat verkündete sein Urteil zum NSU-Komplex
Karlsruhe taz | Edith Lunnebach hatte es befürchtet. „Jetzt rächt sich,
dass sich das Münchner Oberlandesgericht derart auf das Konstrukt eines
[1][NSU-Trios] fokussiert hat und nicht weiter nach links und rechts auf
die Helfer schaute“, erklärt die Anwältin einer Deutschiranerin, die einen
NSU-Anschlag 2001 in Köln überlebte, am Mittwochmittag. Da hatte der
Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe gerade verkündet, die Revisionen zum
Urteil gegen den treuesten NSU-Helfer André Eminger zurückzuweisen. „Eine
Enttäuschung“, so Lunnebach zur taz. „Es ist absolut weltfremd, dass
Eminger von nichts gewusst hat.“
Mit der Entscheidung des BGH sind nun alle fünf NSU-Urteile rechtskräftig.
Der „Nationalsozialistische Untergrund“ hatte von 2000 bis 2007 neun
migrantische Gewerbetreibende und eine Polizistin ermordet. Im Kern bestand
er aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Erstere hatten sich
beim Auffliegen 2011 getötet, Zschäpe war im Juli 2018 vom
Oberlandesgericht (OLG) München zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Vier Helfer bekamen mehrjährige Haftstrafen.
Eminger kam dabei am mildesten davon, obwohl er dem Trio vom Anfang bis zum
Ende zur Seite stand: mit 2,5 Jahren Haft wegen Unterstützung einer
terroristischen Vereinigung. Die Bundesanwaltschaft hatte 12 Jahre
gefordert. Sie sah Eminger wegen der engen ideologischen Verbundenheit eher
als viertes NSU-Mitglied an. Als Emingers Urteil 2018 verkündet wurde,
jubelten Gesinnungskamerad:innen im Gerichtssaal.
Das OLG sah es damals nicht als erwiesen an, dass Eminger von Beginn an von
den Morden des Trios Kenntnis hatte, sondern erst ab 2007. Deshalb hatte es
ihn letztlich nur wegen des Überlassens von je einer Bahncard für Zschäpe
und Böhnhardt 2009 verurteilt. Freigesprochen wurde Eminger dagegen für das
dreimalige Anmieten von Wohnmobilen in den NSU-Anfangsjahren 2000 bis 2003.
Damals habe Eminger nicht wissen können, dass das Trio damit zwei
Raubüberfälle in Chemnitz und den Anschlag in Köln verübt.
## Auch Eminger selbst ging in Revision
Die Bundesanwaltschaft [2][hatte gegen Emingers Teilfreispruch Revision
eingelegt.] Die Begründung des OLG sei „lückenhaft und widersprüchlich“.
Diese Revision hat der BGH nun abgelehnt. Die Beweiswürdigung der Münchener
Richter sei in der Revision grundsätzlich zu akzeptieren. Rechtsfehler
seien ihnen keine nachzuweisen.
So habe das OLG durchaus bedacht, dass Eminger, der sich „Die Jew Die“ auf
den Bauch tätowierte und bis heute als Gefährder eingestuft ist, die
ideologisch motivierte Tötung von Menschen befürwortete und die
Ausländerfeindlichkeit des Trios teilte. „Das OLG hat hieraus nur andere
Schlüsse gezogen als die Bundesanwaltschaft“, erklärte der Vorsitzende
BGH-Richter Jürgen Schäfer.
Auch habe das OLG plausibel erklärt, warum es erst ab 2006 von einem
engeren Kontakt des Trios mit Eminger ausging. „Nun hatte sich Beate
Zschäpe mit André Emingers Ehefrau Susann angefreundet“, so Richter
Schäfer. „Die Kinder Emingers waren für Zschäpe wie Ersatzkinder.“
Auch Eminger hatte Revision eingelegt und für sich einen Freispruch
gefordert. Doch auch diese Revision wies der BGH zurück. Der Kauf einer
Bahncard für Zschäpe und Böhnhardt sei „objektiv nützlich“ gewesen, auch
als eine Art Ersatzausweis. Auf den Gebrauch kam es nicht an.
## „Lebensfremd und empörend“
Schäfer erinnerte auch an die verletzten Opfer des NSU und die Angehörigen
der Getöteten. „Es ist zu hoffen und zu wünschen, dass diese Personen die
Kraft gefunden haben oder noch finden werden, ihr Leben zu meistern.“ Die
Revisionen von Zschäpe und den übrigen Helfern hatte der BGH bereits im
August abgelehnt.
Opferanwältin Lunnebach hatte schon in der Revisionsverhandlung in
Karlsruhe kritisiert, dass das OLG den Aussagen Zschäpes gefolgt sei,
obwohl diese offensichtlich Eminger schützen wollte. Das OLG hätte im
NSU-Prozess mehr Beweise zu Helfern erheben und mehr Druck auf mauernde
Neonazi-Zeugen machen müssen. „Nun gibt es ein schlimmes Signal an die
rechte Szene. Wer den Mund hält und sich wegduckt, kommt davon und kann
jetzt weitermachen.“
Auch Gamze Kubaşık, deren Vater Mehmet 2006 in Dortmund erschossen wurde,
zeigte sich tief enttäuscht. „Ich bin überzeugt, dass André Eminger beim
NSU voll dabei war.“ Schon das Münchner Urteil mache sie „heute noch
wütend“. „Wie deutsche Richter dieses Urteil nun bestätigen können, ohne
rot zu werden, kann ich nicht fassen. Ich habe das Vertrauen in die Justiz
verloren und irgendwie das Gefühl, dass Nazis besser in Deutschland
behandelt werden, als andere Angeklagte.“
Seda Başay-Yıldız, Anwältin der Familie des getöteten Enver Şimşek, nann…
es „fatal“, dass Eminger mit seiner Erzählung, von nichts gewusst zu haben,
durchgekommen sei. „Das ist lebensfremd und empörend“, so Başay-Yıldız …
taz.
Barbara John, Ombudsfrau der NSU-Opfer, erinnerte, wie empört die
Hinterbliebenen 2018 auf das Urteil gegen Eminger reagierte. „Das Entsetzen
war ihnen ins Gesicht geschrieben. Alle wussten, das konnte nicht rechtens
sein.“ Eminger sei „ein bekennender Nationalsozialist, auf dessen
praktische Unterstützung das Tätertrio bei seinen Verbrechen immer rechnen
konnte“. Die Bestätigung des Urteils löse bei den Betroffenen „Zweifel,
scharfen Widerspruch und Erbitterung aus“.
Tatsächlich dürfte die BGH-Entscheidung Folgen haben. Denn noch immer
laufen Verfahren bei der Bundesanwaltschaft gegen neun mutmaßliche
NSU-Helfer. Wenn aber nicht mal der engste NSU-Vertraute verurteilt werden
kann, drohen nun in diesen Fällen Einstellungen. Die juristische
Aufarbeitung des NSU-Terrors wäre damit abgeschlossen. Auch Eminger selbst
muss wohl nicht mehr in Haft: Seine 2,5 Jahre hat er bereits mit der U-Haft
weitgehend abgesessen, der Rest dürfte zur Bewährung ausgesetzt werden.
15 Dec 2021
## LINKS
[1] /10-Jahre-nach-dem-Auffliegen-des-NSU/!5808645
[2] /NSU-erneut-vor-Gericht/!5815879
## AUTOREN
Konrad Litschko
Christian Rath
## TAGS
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Gerichtsurteil
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