# taz.de -- Regierungsbildung in Berlin: Machtkampf auf offener Bühne | |
> Hat Rot-Grün-Rot noch eine Chance? Am Montag beginnt die Berliner SPD die | |
> Sondierungen für eine Ampel und ein Bündnis mit Grünen und Linken. | |
Bild: Passt das zusammen? Und wenn ja, mit wem? | |
BERLIN taz | Ampel sondieren oder Rot-Grün-Rot? Was schon am | |
[1][vergangenen Freitag] hätte entschieden sein sollen, hat sich am | |
Wochenende in der SPD zu einem innerparteilichen Stellungskrieg | |
ausgeweitet. Mit den Kreisvorsitzenden von Friedrichshain-Kreuzberg und | |
Neukölln haben sich zwei weitere Kreisverbände der SPD für eine Fortsetzung | |
der Koalition mit Grünen und Linken in Stellung gebracht. Damit haben sich | |
sechs der zwölf Kreise für Rot-Grün-Rot ausgesprochen. Würde in der | |
Berliner SPD ein Landesparteitag über das künftige Regierungsbündnis | |
entscheiden, wäre die Sache längst klar. | |
Tut er aber nicht. Über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen lässt die | |
designierte Regierende Bürgermeisterin [2][Franziska Giffey] ihren | |
Landesvorstand abstimmen. Dort hat sie eine komfortable Mehrheit. Und auch | |
bei der Frage der Absegnung eines Koalitionsvertrages versucht Giffey die | |
Front zu ihren Gunsten zu verschieben. Zusätzlich zu einem Landesparteitag, | |
der bereits für den 18. Dezember anberaumt ist, hat sie eine | |
Mitgliederbefragung ins Spiel gebracht. Von den einfachen Mitgliedern | |
erhofft sie sich mehr Unterstützung als von den Delegierten eines | |
Parteitags. So richtig warm geworden ist Giffey mit ihrer Partei auch knapp | |
ein Jahr nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden nicht. | |
Die Grünen sind bei diesem Machtkampf vorerst nur Zaungast. Als ihre | |
Spitzenkandidatin Bettina Jarasch am Freitag vor der Grünen-Zentrale in der | |
Kommandantenstraße vor die Presse trat, war sie sichtlich enttäuscht. „Wir | |
präferieren weiterhin ein Bündnis mit SPD und Linken“, betonte sie. Das | |
Angebot zu Sondierungen mit der FDP nehme man aber an. Noch immer haben die | |
Grünen die Hoffnung nicht aufgegeben, dass am Ende der parallelen | |
Dreiersondierungen ein rot-grün-rotes Bündnis steht. | |
## Giffey will die Ampel | |
Doch das ist am Freitag unwahrscheinlicher geworden. Denn Franziska Giffey | |
hat nach der Sitzung des Geschäftsführenden Landesvorstands ihrer SPD die | |
Katze aus dem Sack gelassen. „Die Präferenz liegt auf dem Ampel-Bündnis“, | |
twitterte die Berliner SPD-Chefin am Freitag kurz nach 18 Uhr. Eine halbe | |
Stunde zuvor war sie in der SPD-Zentrale in der Müllerstraße vor die Presse | |
getreten und hatte erklärt, dass es zwei weitere Sondierungsrunden in | |
Berlin geben werde – und zwar zu dritt. Am Montag lädt die SPD Grüne und | |
FDP zu Gesprächen ein, am Dienstag Grüne und Linke. | |
Parallel dazu hat Giffey bereits die 19.000 Parteimitglieder auf ihre Linie | |
einzuschwören versucht. In einer Rundmail, die der taz vorliegt, heißt es: | |
„Die zwei großen Herausforderungen unserer Zeit müssen wir meistern: Wir | |
müssen den dringend notwendigen Neubau von bezahlbarem Wohnraum | |
vorantreiben und den Neustart für die Berliner Wirtschaft, die ganz | |
besonders unter der Corona-Pandemie gelitten hat, ermöglichen.“ Und weiter: | |
„In den weiteren Gesprächen wollen wir ausloten, mit welchen Partnerinnen | |
wir dies gemeinsam erreichen können, und zu einer pragmatischen, | |
bürgernahen und lösungsorientierten Politik für unsere Stadt kommen.“ | |
So schrumpft das [3][Wahlprogramm der SPD], ohnehin maßgeblich von Giffey | |
initiiert, auf zwei Punkte zusammen: Bauen, bauen, bauen sowie die | |
Wirtschaft stärken. Deutlicher hätte eine Einladung an die FDP nicht | |
ausfallen können. | |
## Rebelliert die Partei? | |
Hat Rot-Grün-Rot damit überhaupt noch eine Chance? Diese Frage ist fast | |
gleichbedeutend mit der, wie stark die Kräfte in der SPD sind, eine Ampel | |
noch zu verhindern. | |
Einen ersten Hinweis darauf hat der Kreisvorsitzende der SPD in | |
Tempelhof-Schöneberg, Lars Rauchfuß, gegeben. Auf Facebook schrieb er: „Die | |
Frage ist, was an einer Koalition mit der FDP in der Sache besser ist als | |
bei R2G. Darauf muss es doch eine Antwort geben können, wenn man wegen der | |
FDP das Bündnis mit der größten Mehrheit verlassen will. Ich kenne bisher | |
keine.“ | |
Tatsächlich hätte eine Ampel im Abgeordnetenhaus nur sechs Stimmen mehr als | |
die erforderliche Mehrheit. Eine Deutschland-Koalition aus SPD, CDU und FDP | |
hätte sogar nur eine Mehrheit von vier Sitzen. Rot-Grün-Rot dagegen käme | |
auf eine satte Mehrheit von 18 Abgeordneten. | |
Stellt man dann noch in Rechnung, dass Fraktionschef Raed Saleh bei seiner | |
Wiederwahl als Fraktionsvorsitzender drei Gegenstimmen bekommen hat, würde | |
die Mehrheit für eine Ampel auf drei, die einer Deutschland-Koalition auf | |
eine Stimme schrumpfen. Denn die Gegenstimmen für Saleh werden in der SPD | |
auch als Gegenstimmen für Franziska Giffey gewertet. | |
Gerade aber in einer Konstellation, die Giffey gegen den Willen von sechs | |
Kreisverbänden durchboxt, ist die Frage der Mehrheiten entscheidender denn | |
je. Denn der Machtkampf, der gerade auf offener Bühne ausgefochten wird, | |
kann gut und gerne die nächsten fünf Jahre andauern. | |
## Der Trumpf der Grünen | |
Während die Linken derzeit nur abwarten können, ob und wie dieses | |
Kräftemessen in der SPD ausgeht, haben die Grünen noch einen letzten | |
Trumpf. Sie könnten sich – aktiv oder passiv – einer Ampel verweigern. | |
Aktiv, indem sie sagen, wir stehen für ein Bündnis mit einer neoliberalen | |
Partei nicht zur Verfügung, da es, anders als im Bund, eine für uns | |
überzeugende Alternative gibt. Passiv, indem sie nach den parallelen | |
Dreiersondierungen bei ihrer Präferenz bleiben. Dann stünde, eine Woche | |
nach dem Freitag, die Landespolitik wieder vor dem gleichen Ergebnis. Die | |
SPD will die Ampel, die Grünen wollen Rot-Grün-Rot. | |
Eine aktive Verweigerung hat Grünen-Frontfrau Jarasch am Freitag | |
ausgeschlossen. Sollten die Grünen der SPD zu verstehen geben, dass sie für | |
eine Ampel nicht zur Verfügung stehen, „hätten wir es nicht mehr in der | |
Hand“, sagte Jarasch. Dann könnte Giffey ihre Basis auf eine | |
Deutschland-Koalition einschwören. Nach dem Motto: Die Grünen haben uns | |
dazu gezwungen. | |
Doch das wäre auch für Giffey eine riskante Volte. Mit ihrer Festlegung auf | |
die Ampel hat sie indirekt ein Bündnis mit CDU und FDP ausgeschlossen, | |
obwohl ihr viele nachsagen, dass sie in dieser Konstellation viel lieber | |
regiert hätte. So gesehen ist ihr Eintreten für die Ampel auch ein erstes | |
Zugeständnis an die rebellierende eigene Partei. | |
Stellte sie diese aber nun vor die Frage Rot-Grün-Rot oder | |
Rot-Schwarz-Gelb, ist nicht mehr sicher, ob ihr die Partei folgt. Vor allem | |
nicht bei dieser knappen Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Ein Sozialdemokrat | |
sagte dazu der taz: „Bei einer Deutschlandkoalition hätten wir jeden Tag | |
Mietendemo in Berlin.“ | |
## FDP und CDU not amused | |
Ohnehin muss Giffey aufpassen, dass sie ihre Partner in spe nicht | |
vergrätzt. Die Berliner FDP jedenfalls war alles andere als erfreut über | |
die Avancen, die ihr Giffey gemacht hatte. „Von dem von der SPD Berlin | |
vorgeschlagenen Weg der doppelten Dreier-Sondierung sind wir überrascht“, | |
teilten FDP-Parteichef Christoph Meyer und FDP-Fraktionschef Sebastian | |
Czaja am Freitagabend mit. „Parallele Sondierungen sind ein wenig | |
wertschätzender Zustand für alle Verhandlungspartner, der nicht von Dauer | |
sein darf.“ Die Einladung zum Sondierungsgespräch am Montag sagten die | |
FDP-Politiker zu. | |
Die CDU, der die SPD zunächst eine kalte Schulter zeigt, war ebenso | |
verärgert. „In Berlin ist wohl Weiter-so oder Weiter-so-light angesagt“, | |
erklärte CDU-Chef Kai Wegner. „Weder mit der Ampel noch mit Rot-Grün-Rot | |
wird es einen Neustart für Berlin geben.“ | |
Und die Linke? Ist derzeit nur Beobachterin. „Wir werden heute in unseren | |
Gremien beraten, wir wir mit dieser Situation umgehen“, twitterte | |
Parteichefin Katina Schubert am Freitag. | |
Ob der Machtkampf am Dienstag entschieden ist? Weitere Extrarunden sind | |
bisher nicht geplant. Aber das muss nichts heißen in diesen Tagen. | |
10 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Parallelsondierungen-in-Berlin/!5807517 | |
[2] /Die-Berliner-SPD-und-ihre-Wahlgewinnerin/!5802703 | |
[3] https://spd.berlin/wahlprogramm/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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