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# taz.de -- Grüner Fraktionsvize über Sondierungen: „Eine neue Groko brauch…
> Der grüne Abgeordnete Konstantin von Notz hält ein Bündnis mit der FDP in
> der Innen- und Rechtspolitik für eine „Riesenchance“.
Bild: Schon lange bereit für Gespräche: Konstantin von Notz
taz: Herr von Notz, Sie laden seit Jahren zusammen mit einem FDP-Kollegen
zu einem grün-gelben Gesprächskreis in der Berliner Edelbar „Lebensstern“
ein …
Konstantin von Notz: „Edelbar“ klingt so, äh, anrüchig. Das ist ein ganz
normaler Laden in Westberlin. Parkettfußboden, nette Leute, entspannte
Atmosphäre.
Worauf kommt es jetzt an in den Gesprächen zwischen Grünen und FDP?
In beiden Parteien gibt es Leute, die eine Partnerschaft ganz schrecklich
finden. Uns ging und geht es darum, das Verbindende zu suchen und
Kompromisse zu finden. Das Kunststück wäre, ineinander DemokratInnen zu
sehen, die einen Aufbruch für das Land wollen. Trivial ist das nicht, das
haben wir vor vier Jahren gesehen. Aber es kann gelingen.
Sie spielen auf das [1][Platzen der Jamaika-Sondierungen 2017] an. Sie
waren damals in der Berliner Landesvertretung von Baden-Württemberg dabei.
Wie haben Sie den Tag lebt?
Dieser Tag im November 2017 war der krasseste Tag in meinem politischen
Leben. Wir Grüne hatten monatelang ernsthaft mit CDU, CSU und FDP sondiert
und den festen Willen, die nächste Groko zu verhindern. Für uns gab es in
den Verhandlungen immer wieder Momente, die eine echte Zumutung waren –
weil einige in CDU und CSU erkennbar auf Scheitern gespielt haben. Dass
Lindner dann ausstieg, war ein Schock und eine große Enttäsuchung für uns –
und wohl auch fürs ganze Land.
War das Scheitern der Gespräche der Anlass, die Lebensstern-Runde zu
gründen?
Ja. Mein FDP-Kollege Stephan Thomae und ich haben in der Innen- und
Rechtspolitik einen guten Draht zueinander. Wir mögen und vertrauen uns.
Und haben gesagt, es kann nicht sein, dass eine Zusammenarbeit scheitert,
weil die Vertrauensbasis fehlt. Seitdem haben wir uns etwa drei Mal im Jahr
mit Abgeordneten von Grünen und FDP getroffen und unterschiedliche Themen
diskutiert. Von beiden Parteien waren je zehn Leute dabei.
Kamen auch Abgeordnete, die gegen eine Kooperation sind?
Wir haben bewusst auch Leute dazugeholt, die eine Zusammenarbeit skeptisch
sehen. Es gibt ja auch große Differenzen, etwa in der Finanz- oder
Steuerpolitik. Von uns waren zum Beispiel die Wirtschaftspolitikerin
Katharina Dröge dabei, die Europapolitikerin Franziska Brantner oder unsere
Expertin für Flucht und Migration, Luise Amtsberg. Das ging quer durch die
Fraktion.
Wie beschreiben Sie aktuell die Atmosphäre zwischen Grünen und FDP?
Grüne und FDP haben in der Opposition im Bundestag in den vergangenen vier
Jahren oft sehr kollegial zusammengearbeitet. Man kann gut miteinander. Zum
Beispiel kommt unsere Parlamentarische Geschäftsführerin Britta Haßelmann
sehr gut mit dem FDP-Kollegen Marco Buschmann aus. Bei der Debatte über
eine Wahlrechtsreform hat sich die FDP eng mit uns Grünen und der
Linke-Fraktion abgestimmt, obwohl der Weg für sie länger war. Auch zur
Ablösung der Staatskirchenleistungen haben wir über viele Monate einen
gemeinsamen Vorschlag erarbeitet.
Sie sind für die Innenpolitik zuständig und sitzen im Parlamentarischen
Kontrollgremium, das die Geheimdienste überwacht. Wie sieht es da aus?
In meinem Themenbereich gibt es offensichtliche Schnittmengen. Wir haben
zum Beispiel im Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem
Breitscheidplatz sehr gut mit den FDP-KollegInnen zusammengearbeitet. Auch,
wenn es um stärkere Parlamentsrechte gegenüber der Regierung geht, ticken
wir ähnlich. Ich glaube: Für die Innen- und Rechtspolitik, aber auch bei
der Digitalisierung wäre eine Zusammenarbeit von FDP und Grünen eine
Riesenchance.
Warum?
Die Groko hat in den vergangenen Jahren scharfe Einschnitte in
Freiheitsrechte durchgesetzt. Egal, ob es um den Bundestrojaner geht, um
die Vorratsdatenspeicherung oder um die biometrische Gesichtserkennung.
Nach einem Terroranschlag wurde weitgehend sinnfrei über ein Burkaverbot
oder die Fußfessel diskutiert. Das ist mir zu unterkomplex. Mit der FDP
wäre eine differenziertere Sicherheitspolitik möglich.
Das klingt ja fast begeistert. Sie wären sich mit Ihrem FDP-Kollegen Thomae
in einer Stunde einig über eine Koalitionsverabredung, oder?
In einer Stunde sicher nicht. Alles braucht seine Zeit. Aber es gäbe viele
Punkte, wo man gemeinsam neue Ideen in die ganze Verkeiltheit der
Sicherheitspolitik nach zahllosen Groko-Jahren tragen könnte. Weg von der
Holzhammer-Logik und der Repressionsnorm, hin zu einer modernen, auf
wissenschaftliche Evaluation gestützten Politik.
Bei anderen Themen liegen FDP und Grüne [2][so weit auseinander wie kaum
eine andere Partei]. Sind in der Steuer- und Finanzpolitik Kompromisse
möglich?
Ich glaube: ja.
Welche?
Ich führe in der taz keine Koalitionsverhandlungen, sorry. Aber nehmen Sie
die Klimaschutzpolitik. Die FDP will fossile Energie teurer machen und auf
neue Technologien zur Bekämpfung der Klimakrise setzen. Auch da gäbe es
Schnittmengen mit uns. Und die Frage, was Gesellschaftspolitik und Heimat
im Jahr 2021 bedeuten, könnte man ebenfalls durchdeklinieren.
Das klingt alles zu schön, um wahr zu sein. Im Wahlkampf hat Christian
Lindner den Grünen vorgeworfen, alle Register der Verbotsorgel zu ziehen.
Alles vergessen?
Na ja, auch die anderen Wettbewerber sind nicht gerade zimperlich mit uns
umgegangen – und wir nicht mit ihnen. Äußerungen aus dem Wahlkampf sollte
man nicht so hoch hängen. DemokratInnen können, nachdem man das Trennende
betont hat, das Gemeinsame suchen.
Manche Grüne halten Christian Lindner für einen unsicheren Kantonisten,
weil er 2017 die Sondierungen abbrach. Halten Sie ihn für verlässlich?
Ich bringe erst mal ein Grundvertrauen mit. Christian Lindner hat einen
sehr starken Rückhalt in seiner Partei und Fraktion, das erkenne ich voll
an. Und ich glaube, dass die FDP ein authentisches Interesse daran hat, das
Land verlässlich mitzuregieren. Eine neue Groko braucht kein Mensch.
Sie haben schon im Wahlkampf vor einer neuen Groko gewarnt. Glauben Sie
wirklich, dass es dazu kommen kann?
Na ja, schauen Sie auf die Zahlen. In Umfragen, in denen die Beliebtheit
der Optionen abgefragt wird, liegt die Groko regelmäßig vorne. Die nächste
Groko wirkt im Moment weit weg. Aber wenn man sich das Wahlprogramm der SPD
anschaut, ist der Weg zur Groko immer kurz. Und die Union will unbedingt
weiter regieren.
Am Schluss noch eine kurze Analyse des Wahlausgangs. Sind 14,8 Prozent ein
gutes Ergebnis für die Grünen?
Ja, sogar ein sehr gutes. 14,8 Prozent, das ist das beste Ergebnis unserer
Geschichte. In der neuen Grünen-Fraktion sitzen 118 Abgeordnete, vorher
waren wir 67. Das ist ein echter Aufbruch.
Ernsthaft? Die Grünen wollten die Kanzlerin stellen. Stattdessen sind Sie
11 Prozentpunkte hinter der SPD gelandet.
Wir haben uns deutlich verbreitert. Verglichen mit der vorherigen
Bundestagswahl haben wir von allen Parteien am stärksten dazugewonnen, 16
Wahlkreise sogar direkt, in Stuttgart, München oder Aachen. Davor gab es
nur eine einzige Grüne, die direkt in den Bundestag gewählt wurde – nämlich
Canan Bayram aus Berlin-Kreuzberg.
Mein Eindruck: Die grüne Veränderungsbotschaft verfing nicht, weil sie auf
ein erschöpftes Land traf. Die grüne Annahme: „Bereit, weil ihr es seid“,
war falsch. Wie sehen Sie das?
Mit der These kann ich etwas anfangen. Auch wenn man stark gewachsen ist,
muss man natürlich analysieren, was schieflief. Offenbar haben viele
Menschen eine grüne Regierungsbeteiligung eher mit Zumutungen verbunden.
Damit müssen und werden wir uns beschäftigen.
Stattdessen hat die [3][Scholz-SPD gewonnen], die eine behutsame
Status-quo-Anpassung verspricht. Was sagt das über unsere Gesellschaft?
Gute Frage. Ich fand es zum Beispiel bemerkenswert, wie stark Olaf Scholz
in den TV-Triellen abgeschnitten hat. Er hat sich inhaltlich vor allem sehr
zurückgehalten. Es ist eine interessante und für uns relevante Frage, warum
sich Menschen von diesem offensiven „Ich will nichts von euch“ angesprochen
fühlen.
Die Fortsetzung des Merkel-Modus hat gewonnen?
Angela Merkel hat auf jeden Fall das Prinzip perfektioniert, zu
suggerieren, alles könne so bleiben, wie es ist – obwohl sie das Gegenteil
wusste. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir aus der reaktiven Logik der
Schadensbegrenzung im Krisenmodus herauskommen. Wir haben jedenfalls die
politische Verantwortung, für einen Schub zu sorgen und frischen Sauerstoff
in die Republik zu lassen.
30 Sep 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Ulrich Schulte
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