# taz.de -- Machtfrage bei den Grünen: Habeck will's wissen | |
> Eigentlich tun die Grünen-ChefInnen Robert Habeck und Annalena Baerbock | |
> gern so, als stünden sie über Machtfragen. Diese Erzählung implodierte. | |
Bild: Auf taz-Anfrage nicht dementiert: Die Nachricht, dass Robert Habeck Vizek… | |
BERLIN taz | Wenn es in der Politik eine Rolle rückwärts gibt, führt sie | |
Robert Habeck am Dienstagmittag vor den Räumen der Grünen-Fraktion im | |
Reichstag vor. Vizekanzler? Er? Es gezieme sich nicht, in | |
Personalspekulationen einzusteigen, bevor überhaupt Sondierungsgespräche | |
aufgenommen worden seien. Habeck redet schnell, sehr schnell. „Die Frage, | |
wer Vizekanzler wird, ist völlig irrelevant. Wir haben ja nicht einmal | |
einen Kanzler.“ Dass Habeck solche Banalitäten extra in einem Statement | |
betonen muss, ist der Versuch, eine peinliche Sache wieder einzufangen. | |
Von vorn. Es gehört zu den unausgesprochenen Gepflogenheiten bei | |
Koalitionsverhandlungen, Personalfragen früh mitzudenken, sie aber erst | |
ganz am Ende öffentlich zu machen. So soll der unschöne Eindruck vermieden | |
werden, dass es vor allem um Posten und Dienstwagen gehe. Besonders die | |
Grünen-ChefInnen Robert Habeck und Annalena Baerbock tun gerne so, als | |
stünden sie über profanen Machtfragen, als gehe es ihnen zuallererst um | |
Inhalte. Diese Erzählung, die natürlich nur die halbe Wahrheit ist, | |
implodierte am Montagabend spektakulär. | |
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte einen Text mit brisantem | |
Inhalt. Habeck solle in einer künftigen Regierungskoalition mit Beteiligung | |
der Grünen den Posten des Vizekanzlers bekommen, hieß es darin. Baerbock, | |
zitierte die FAZ ungenannte Quellen bei den Grünen, habe ihre Chance | |
gehabt. Mit den personellen Konsequenzen müsse man deutlich machen, dass | |
die Grünen nicht einfach in der bisherigen Formation weitermachen könnten, | |
sondern „verstanden haben“. Am Wahlsonntag waren die Grünen mit 14,8 | |
Prozent deutlich unter den eigenen Erwartungen geblieben. | |
Übernimmt nun Habeck als starker Mann – und Baerbock wird als gescheiterte | |
Kanzlerkandidatin abgesägt? Die Nachricht machte in der Partei in | |
Windeseile die Runde und sorgte für Erstaunen, aber auch Empörung. Den | |
Eindruck zu erwecken, Annalena werde degradiert, sei schädlich, sagt einer | |
aus der Fraktion. Mit Blick auf das bevorstehende Gespräch der Grünen mit | |
FDP-Chef Christian Lindner sagt er: „Das Bild ist: Jetzt kommen die starken | |
Jungs Robert und Christian und regeln das mal unter sich. Das regt gerade | |
viele Frauen bei den Grünen auf.“ | |
## Bei den Grünen kommt allzu offensichtliche Machtverliebtheit schlecht an | |
Eine Abgeordnete aus dem linken Flügel findet die Aktion „uncool“. Einen | |
Teil des grünen Sondierungsduos vor Beginn der Gespräche zu schwächen sei | |
keine gute Idee. „Stattdessen müssen wir die Reihen schließen und stark in | |
die Sondierungen gehen.“ Der ehemalige Fraktionschef und Bundesminister | |
Jürgen Trittin gab dem Spiegel ein unmissverständliches Zitat frei. „Wir | |
verhandeln eine Regierung, die Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bringt“, | |
sagte er. „Danach wird entschieden, wer welchen Posten bekommt. Das | |
entscheidet die Partei und nicht nur zwei Personen in persönlichen | |
Gesprächen.“ | |
Trittin thematisiert einen heiklen Punkt. Bei den Grünen, die sich als | |
basisdemokratische Partei verstehen, kommt allzu offensichtliche | |
Machtverliebtheit schlecht an – und zwei Leute können die besten Jobs nicht | |
unter sich auskungeln. Auch diesen Eindruck versucht Habeck in seinem | |
Statement vor der Fraktion auszuräumen. Am Ende des Prozesses entscheide | |
„selbstverständlich“ die Partei über Inhalte und Personal – über einen | |
Parteitag oder eine Mitgliederbefragung. | |
Entscheidend ist aber eines: Die tatsächliche Nachricht, dass Habeck | |
Vizekanzler in einer neuen Regierung werden soll, wird auf taz-Anfrage in | |
der Partei nicht dementiert. In der Sache stimmt es also, dass Habeck etwas | |
nach vorne rückt. Der Posten des Vizekanzlers wäre in einer Ampelkoalition | |
mit SPD und FDP durchaus wichtig. Zum einen wird die FDP neben den Grünen | |
vermutlich keinen zweiten Vizekanzlerposten beanspruchen können, weil sie | |
bei der Wahl schlechter abgeschnitten hat. Zum Zweiten würde der | |
Vizekanzler die Arbeit der grünen Minister in einer Koalition koordinieren. | |
Und zum Dritten [1][wird Habeck nun in Sondierungen eine zentralere Rolle | |
spielen], einfach weil die Nachricht in der Welt ist. | |
Der Hintergrund wird bei den Grünen so erklärt: Baerbock und Habeck hätten | |
schon vor längerer Zeit eine Absprache getroffen, dass ein schlechtes | |
Ergebnis auch personelle Konsequenzen haben müsse. Von einer Abstrafung | |
Baerbocks könne keine Rede sein, heißt es weiter. Dazu passt ihr | |
gemeinsamer Auftritt in der Berliner Bundespressekonferenz am Montag. Er | |
fand statt, bevor der FAZ-Text veröffentlicht wurde. Auf die Frage, ob er | |
der künftige Vizekanzler sein werde, antwortete Habeck, dass Baerbock und | |
er die Verhandlungen gemeinsam als Bundesvorsitzende führten – und auch | |
alle weiteren Fragen geklärt seien. „Gehen Sie davon aus, dass wir komplett | |
sortiert sind.“ Baerbock fügte hinzu, dass beide dies vor Monaten | |
besprochen hätten. | |
## Wer hat die Vizekanzler-News an die FAZ durchgestochen? | |
Das kann man als sehr subtilen Hinweis darauf verstehen, dass die jetzt | |
öffentlich gewordene Neusortierung im Falle eines mäßigen Ergebnisses früh | |
besprochen wurde, vielleicht sogar schon vor der Nominierung Baerbocks als | |
Kanzlerkandidatin im April. Das ist eine mögliche Version. Vielleicht war | |
es aber auch ganz anders. Das Wahlergebnis hat die Grünen ordentlich | |
durchgeschüttelt, auch wenn das keiner zugeben mag. Es könne sein, dass | |
Habecks Leute Druck auf Baerbock ausübten, ihm nun das Prä zu überlassen, | |
mutmaßen andere Grüne. | |
Sicher ist: Auch die Grünen können ihre Führungskräfte kalt abservieren, | |
wenn es darauf ankommt. Jürgen Trittin wurde nach dem miesen | |
8,4-Prozent-Ergebnis 2013 von Realos zum Rückzug aus der ersten Reihe | |
gedrängt, die noch kurz zuvor seinen finanzpolitischen Kurs mitgetragen | |
hatten. Der aktuelle Vorgang ist aber anders gelagert. Das Wahlergebnis ist | |
deutungsoffen. Einerseits ist es ein historischer Erfolg, andererseits eine | |
Enttäuschung. Dass Baerbock angesichts dessen einen Schritt zurücktritt, | |
aber weiter ein wichtiger Teil des Führungsteams bleibt und auch Ministerin | |
wird, ist eine vertretbare Klärung. | |
Alle sind bemüht, sie trotz allem gut aussehen zu lassen. Zu behaupten, | |
dass Baerbock allein die Wahl verloren habe, „das ist doch eine ziemlich | |
banalisierende Lesart davon, was da schieflief“, schrieb Ex-Parteichef | |
Reinhard Bütikofer auf Twitter. Baerbock habe Fehler gemacht und enorm gut | |
gekämpft. „Jetzt das Wahlergebnis und seine Gründe gar nicht zu | |
analysieren, sondern einfach als die Niederlage einer Person zu definieren, | |
ist nicht nur falsch und unfair, sondern verhindert auch, dass man/frau aus | |
den gemeinsamen Fehlern, die gemacht wurden, was lernt.“ | |
Aber eine Frage bleibt: Wer hat die Vizekanzler-News an die FAZ | |
durchgestochen? Eine interne Klärung öffentlich zu machen, bevor das | |
Personal in Koalitionsverhandlungen fest steht, ist ein handwerklicher | |
Fehler. Zumal, wenn die Veröffentlichung die Partei in helle Aufregung | |
versetzt. Manche Grüne haben Habeck und sein Umfeld im Verdacht. Jener | |
wolle offensichtlich mit Lindner sein Ding durchziehen, so wie er es mit | |
Wolfgang Kubicki 2017 in Schleswig-Holstein getan habe, mutmaßen sie. | |
Damals verbündete sich Habeck früh mit dem FDPler, um ein Jamaika-Bündnis | |
zu organisieren. | |
Aber das ist nur ein Verdacht. Fest steht: Habeck ist in der Öffentlichkeit | |
wichtiger geworden, weil er jetzt als Nummer eins wahrgenommen wird. Bei | |
den Grünen aber dürfte sein Standing eher gelitten haben. | |
28 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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