| # taz.de -- Gespräche zwischen FDP und Grünen: Gelb trifft Grün | |
| > Grüne und FDP möchten sich zu Vorsondierungen treffen. Wo gibt es | |
| > Gemeinsamkeiten? Und bei welchen Themen knirscht es? Ein Überblick. | |
| Bild: Gelbe und grüne Wolle kann schicke Socken ergeben. Aber gehen die Farben… | |
| Berlin taz | Die Bundestagswahl ist rum und die Initiative liegt nun bei | |
| Grünen und FDP. An den beiden Parteien [1][hängt, wer Kanzler wird]: Olaf | |
| Scholz von der SPD und doch der knapp zweitplatzierte [2][Armin Laschet von | |
| der Union]. Ohne Grüne und FDP wird wohl keiner von beiden eine Koalition | |
| bilden. Aber bevor die kleineren Parteien mit den großen Parteien reden, | |
| wollen Sie erst einmal untereinander sprechen. Um was geht es bei diesen | |
| Vorsondierungen? Der Überblick: | |
| ## Klimaschutz: Gibt die FDP nach? | |
| Hier passts nicht: Während die Grünen (wie Union und SPD) Klimaneutralität | |
| in Deutschland spätestens 2045 erreichen wollen, geht die FDP vom Zieljahr | |
| 2050 aus. Auch beim Weg zu diesem Ziel setzen Grüne und Liberale | |
| unterschiedliche Schwerpunkte: So will die FDP Klimaschutz praktisch | |
| komplett über den Markt erreichen, nämlich mit einem CO2-Deckel und | |
| Zertifikatehandel für alle Sektoren. | |
| Doch weil ein zu schnell steigender CO2-Preis sozialpolitisch problematisch | |
| wäre, setzen die Grünen auch auf Ordnungsrecht, wie staatliche | |
| Unterstützung für Klimaschutz-Investitionen. Ein Investitionsprogramm in | |
| Milliardenhöhe könnte aber daran scheitern, dass die FDP sowohl | |
| Steuererhöhungen als auch neue Schulden ablehnt. | |
| Hier passts: Auch bei den Grünen spielt der CO2-Preis eine Rolle, um | |
| klimafreundlichen Technologien zum Durchbruch zu verhelfen, und auch bei | |
| der Rückzahlung der Einnahmen in Form einer Klimaprämie gibt es Einigkeit. | |
| Auch das Vorziehen des Kohleausstiegs wollen sowohl Grüne als auch FDP über | |
| den Emissionshandel erreichen. | |
| Prognose: Trotz dieser Gegensätze dürfte eine Einigung beim Klimathema | |
| durchaus möglich sein. Die FDP dürfte sich eine Stärkung des | |
| Emissionshandels als Erfolg anrechnen und bei anderen Fragen dafür | |
| nachgeben – wohl wissend, dass die Grünen sich bei ihrem Kernthema | |
| weitgehend durchsetzen müssen, um mit einem Koalitionsvertrag vor ihrer | |
| Basis und ihren Wähler*innen bestehen zu können. Malte Kreutzfeld | |
| ## Bei Finanzfragen zwei Gegenpole | |
| Hier passts: Mehr Geld für Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz. Das wars | |
| dann schon mit den Gemeinsamkeiten bei Grünen und FDP in Finanzfragen. | |
| Hier passts nicht: Die Grünen fordern höhere Steuern, aber vor allem bei | |
| Gutverdiener*innen und Vermögenden, zudem eine flexiblere Handhabung | |
| der Schuldenbremse. Steuerentlastung, keine Reform der Erbschaftssteuer, | |
| schon gar nicht die Einführung einer Vermögenssteuer, und die | |
| Schuldenbremse soll um jeden Preis eingehalten werden – so stellt sich die | |
| FDP ihre Finanzpolitik vor. | |
| Die Grünen wollen den Spitzensteuersatz von derzeit 42 Prozent auf 45 | |
| Prozent erhöhen, und zwar ab einem zu versteuerndem Einkommen von 100.000 | |
| Euro. Kapitalerträge sollen zudem künftig der Einkommensteuer unterliegen. | |
| Die Grünen planen zudem die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, | |
| vorgesehen ist ein Prozent, aber erst ab einem Vermögen im Wert von über 2 | |
| Millionen Euro und erwägt zumindest eine Verschärfung der Erbschaftssteuer, | |
| die derzeit kaum greift. Denn wegen der Freibeträge werden gerade einmal | |
| mickrige 2 Prozent abgeführt. | |
| Die FDP lehnt beides ab und hat stattdessen im Wahlkampf Entlastungen in | |
| Höhe von insgesamt 60 Milliarden Euro im Jahr versprochen. Wie sie das mit | |
| der Einhaltung der Schuldenbremse in Einklang bringen will, hat sie bisher | |
| offen gelassen. | |
| Prognose: Vielleicht wird die FDP bei der Vorsondierung mit den Grünen | |
| konkreter. Felix Lee | |
| ## Digialisierung: Fast harmonisch | |
| Hier passts: Es herrscht viel Einigkeit. Ganz egal ob es um Infrastruktur | |
| geht, um die Verwaltung, um Gesundheit oder Bildung – digitale Angebote, | |
| Vernetzung, KI sind die Schlagworte. Beide Parteien setzen sich für eine | |
| bessere digitale Ausstattung an Schulen ein. Die FDP will, dass Informatik | |
| Pflichtfach wird. Neben der Technik wollen die Grünen mehr Bewusstsein für | |
| die soziale Dimension der Digitalisierung schaffen. | |
| Grundlage sind für beide der Ausbau von Glasfaser- und Mobilfunknetzen, ein | |
| Staat, der auch besser digital arbeitet. Alles im Sinne eines starken | |
| Datenschutzes. Beide Parteien haben die EU im Blick, wenn es um die Ware | |
| Daten geht. Sie sind gegen Leistungsschutzrecht und Uploadfilter. | |
| Hier passts nicht: Stress ist nur minimal angesagt. Aber beim | |
| Rechtsanspruch auf schnelle Internetgrundversorgung könnte es haarig | |
| werden, bei dem die Grünen auch Verschleierungen über Bandbreiten mit | |
| Schadensersatz und Bußgelder ahnden wollen. Schwierig könnten zudem | |
| Forderungen werden, die Tech-Giganten stärker in die Schranken weisen, um | |
| deren Marktmacht zu brechen. Mit ihren Ideen zur Digitalisierung im | |
| Gesundheitswesen müssen sich beide mit Datenschützer:innen | |
| herumschlagen. | |
| Prognose: Dissens ist schnell gelöst. Mit FDP und Grünen könnte ein | |
| Ministerium für digitale Transformation schnell kommen. Tanja Tricarico | |
| ## Das Dilemma mit der Sozialpolitik | |
| Hier passts: In Fragen von Arbeit und Sozialem gibt es Schnittmengen | |
| zwischen Grünen und FDP. Beide wollen die anrechnungsfreien | |
| Zuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger erhöhen, um Arbeitslosen | |
| schrittweise einen Weg zurück ins Arbeitsleben zu ermöglichen. Bei | |
| Jugendlichen sollen Zuverdienste gar nicht mehr angerechnet werden (bei der | |
| FDP bis zur Minijobgrenze). Zudem könnte man sich auf eine Erhöhung des | |
| Schonvermögens bei der Prüfung von Hartz-IV-Anträgen einigen. | |
| Hier passts nicht: Schwieriger dürfte eine Übereinkunft bei der künftigen | |
| Höhe der Bedarfssätze sein. Die Grünen fordern 50 Euro Soforterhöhung und | |
| wollen die Rechentricks beseitigen, mit denen die Bundesregierung | |
| Hartz-IV-Sätze kleinrechnet. Dabei käme ein Betrag von mehr als 600 Euro | |
| pro Monat heraus. | |
| Die FDP hat zwar während der Coronakrise eine vorübergehende Erhöhung des | |
| Hartz-IV-Satzes gefordert – ob die Freien Demokraten eine dauerhafte | |
| Erhöhung dieser Größenordnung mittragen würden, ist aber fraglich. Weiterer | |
| Dissens droht bei der Frage nach Sanktionen gegen Leistungsempfänger. Die | |
| Grünen wollen sie abschaffen, die FDP hält daran fest. | |
| Prognose: Zum Thema Mindestlohn äußert sich die FDP bislang nur selten. | |
| Eine Erhöhung auf 12 Euro pro Stunde dürfte für Christian Lindner nur | |
| schwer zu verdauen sein. Interessant wird, ob seine Partei in der Frage den | |
| ideologischen Spagat schafft. Jörg Wimalasena | |
| ## Geeint gegen Überwachung | |
| Hier passts: Grüne wie FDP wollen die Sicherheitsarchitektur reformieren, | |
| mehr oder weniger weitgehend. Polizei und Verfassungsschutz in Bund und | |
| Ländern sollen enger zusammenarbeiten, die Polizei mit Personal und Technik | |
| gestärkt werden. Beide wollen Gefährder enger überwachen und | |
| Präventionsprojekte gegen Extremismus stärken, mehr Kontrolle der | |
| Geheimdienste und ein Europäisches Kriminalamt. | |
| Vor allem aber: Grüne und FDP betonen unisono die Bürgerrechte und den | |
| Datenschutz. Videoüberwachung mit Gesichtserkennung, | |
| Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchungen oder Quellen-TKÜ? Wird alles | |
| gemeinsam abgelehnt. Im Gegenteil müsse der Staat Sicherheitslücken | |
| schließen und es ein „Recht auf Verschlüsselung“ geben. | |
| Hier passts nicht: In einigen Punkten preschen die Grünen weiter voran. So | |
| will die Partei eine Kennzeichnungspflicht für Polizist:innen – welche | |
| die FDP in NRW mit Laschet ablehnte und abschaffte. Auch wollen die Grünen | |
| den Verfassungsschutz auf einen Rumpfdienst für Terrorabwehr eindampfen und | |
| den Rest einem wissenschaftlichen Institut übertragen – die FDP ist bisher | |
| nur bereit, einige Landesämter zusammenzulegen. | |
| Die Liberalen fordern auch „konsequente“ Abschiebungen und ausreichende | |
| Abschiebehaftplätze – für die Grünen sind Abschiebungen nur „das letzte | |
| Mittel“. Konfliktträchtig würde auch das Waffenrecht. Die FDP beklagt hier | |
| jüngste Verschärfungen mit „unnützer Bürokratie“ für Sportschützen und | |
| Jäger:innen. Die Grünen wollen Privatbesitz von tödlichen Schusswaffen, | |
| außer für Jäger:innen, dagegen „schrittweise beenden“. | |
| Prognose: Die grün-gelben Schnittmengen in Kernfragen der Sicherheit sind | |
| dennoch groß. Kompliziert würde es vor allem, wenn die Union dazukommt, die | |
| mit ihren Forderungen nach mehr Video- und Kommunikationsüberwachung oder | |
| der Vorratsdatenspeicherung inhaltlich querliegt. Konrad Litschko | |
| ## Außenpolitik: Ein Jain zu Drohnen | |
| Das eint sie: Die Grundkoordinaten ähneln sich. Beide Parteien geben an, | |
| ihre Außenpolitik an Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit | |
| auszurichten. Beide, die FDP schon länger als die Grünen, setzen auf das | |
| transatlantische Bündnis und die Nato. Beide fordern einen harten Kurs | |
| gegenüber Russland. Auch höhere Rüstungsausgaben können sich sowohl FDP als | |
| auch Grüne vorstellen, wobei die Liberalen hinter dem Zwei-Prozent-Ziel der | |
| Nato stehen, während sich die Grünen nicht an feste Quoten binden wollen. | |
| Kampfdrohnen für die Bundeswehr will nur die FDP explizit anschaffen, die | |
| Grünen haben sich in ihrem Wahlprogramm aber zumindest die Option dazu | |
| offengelassen. Und bei Atomwaffen fordern beide Abrüstungsbemühungen, wobei | |
| die Grünen die konkreten Schritte vorschlagen, zum Beispiel den | |
| Beobachterstatus beim internationalen Atomwaffenverbotsvertrag. Die FDP ist | |
| hier nicht mehr ganz so engagiert wie noch zu Zeiten Guido Westerwelles. | |
| Das trennt sie: Kompliziert wird es, wo Geld ins Spiel kommt. Auf dem | |
| Papier wollen zwar beide Parteien mehr Europa. Die FDP aber will | |
| beispielsweise einen höheren Spardruck auf die Mitgliedsstaaten ausüben als | |
| die Grünen. Sie lehnt gemeinsame Schulden in der EU ab, die Grünen sind | |
| offen dafür. Umgekehrt wollen die Liberalen Freihandelsabkommen wie Ceta | |
| vorantreiben, die Grünen haben hier weiterhin Bedenken. | |
| Prognose: An den wenigen Streitpunkten wird eine Koalition nicht scheitern. | |
| Tobias Schulze | |
| 28 Sep 2021 | |
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