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# taz.de -- Machtoptionen nach der Bundestagswahl: Noch ist alles offen
> Der Wahlsieg der SPD heißt noch nicht, dass Scholz auch Kanzler wird. Ob
> es eine Ampel- oder eine Jamaika-Koalition wird, entscheiden FDP und
> Grüne.
Bild: Intuitiv würde man annehmen, dass es eine Ampel mit Olaf Scholz als Kanz…
Das Einzige, was in dieser Post-Wahl-Situation zählt, sind die
Machtoptionen. Ein Hauen und Stechen, ob sich [1][Jamaika] oder eine
[2][Ampel] durchboxt, ist daher ebenso absehbar wie der allseitige und
beständige Unwille zur Wiederholung einer Großen Koalition. Wer aber setzt
sich nun durch? Intuitiv würde man annehmen, dass es eine Ampel mit
[3][Olaf Scholz] als Kanzler geben müsste. Haben nicht die Wähler*innen
die SPD deutlich zulegen lassen und sie auch noch als Erste über die
Ziellinie bugsiert?
Hat nicht die Union deutlich verloren und ging nur als zweiter Sieger vom
Platz? Muss man da noch lange nach dem Bürgerwillen oder des Volkes Stimme
fragen? Es liegt doch vermeintlich auf der Hand, dass die Sozialdemokraten
– ganz die Argumentation von Scholz – am Lenkrad sitzen müssen. Und haben
nicht führende Schwarze das schon fast zugestanden, wie es die Formulierung
von Alexander Dobrindt nahezulegt, ihm fehle die Fantasie „für eine
Regierung unter Führung einer zweitplatzierten Union“?
Oder wie es das Postulat von [4][Michael Kretschmer], die Wahlniederlage
einzugestehen und darin alles andere als einen Regierungsauftrag
abzuleiten, einfordert? Wer daran glaubt, glaubt auch an den
Weihnachtsmann: Was jetzt nur zählt, ist die Frage, wer wen über den Tisch
ziehen kann. Für die sich per se als natürliche und geborene
Regierungspartei betrachtende Union wäre es äußerst ungewöhnlich, wenn sie
bei einem so knappen Rückstand vorschnell aufgäbe.
Und die FDP wäre nicht die FDP, wenn sie nicht mit den Schwarzen zusammen
versuchen würde, die Grünen ins Jamaika-Boot zu holen. Dass die Liberalen
Jamaika gegen die Ampel aus naheliegenden Gründen präferieren (Stichwort:
zwei Parteien, eine Chefin: die Unternehmen), ist ja offensichtlich. Nur
wie könnte die FDP – mit der Union im Hintergrund – die Grünen überhaupt
dazu verführen, sich mit dem Zweitplatzierten ins Bündnisbett zu legen? Ist
das nicht eine vorab schon absurde Vorstellung? Keineswegs.
## FDP präferiert Jamaika
Man sieht ja etwa, wie gut die Grünen mit den Schwarzen in
Baden-Württemberg können, obwohl es dort sogar zu einer grün geführten
Ampel gereicht hätte. Aber auf Bundesebene doch nicht? Oder? Stellen wir
uns nur einmal vor, wie die Liberalen jetzt bei den Grünen vorstellig
werden und darauf hinweisen, dass es doch nun fürwahr sie beide zusammen in
den Händen hätten, eine richtig gute Klimapolitik zu machen.
Ein gemeinsam entworfener, in solchen Zeiten gerne im Hinterzimmer (etwa
bei einem nachhaltigen Privatfrühstück) entwickelter grün-liberaler
Kernforderungskatalog mit sehr starkem Gewicht auf Klimaschutz scheint in
einer solchen Situation nahezuliegen. Und müssten dann die Verantwortlichen
bei den Grünen nicht schauen, ob die SPD oder die Union dafür der bessere
Partner wäre?
Es spricht viel dafür, dass sich die Grünen auf ein solches Pokerspiel
einlassen, das immer verbunden wäre mit den Fragen an die beiden umworbenen
Größeren: “Na, wer von euch erfüllt mehr unserer grün-liberalen Postulate?
Und wer von euch will unbedingt den nächsten Kanzler stellen?“.
Würde in einem solchen Meistbieterverfahren dann nicht auch die grüne Basis
schließlich für Jamaika votieren müssen, wenn Union und FDP über ihre
Schatten springen und alle Forderungen der Grünen nach Dekarbonisierung,
nach Übererfüllung des Pariser Klimaabkommens etc. noch weit vor den
Sozialdemokraten erfüllen würden?
Beide – Union und Liberale – wissen ganz genau, dass sie die Ökopartei nur
über einen solchen Köder angeln können. Die Grünen haben genau diese eine
Achillesferse: das Versprechen an ihre Wähler*innen, den Klimaschutz an die
erste Stelle zu setzen. Es ist kaum vorstellbar, dass Lindner mit Laschet
plus Söder die Grünen nicht mit einem entsprechenden Lockgesang zu umgarnen
versuchte: „Kommt zu uns, hier winkt das Klimaparadies! Kommt zu uns und
Nachhaltigkeit wird unser gemeinsames Mantra!
## Rot-rot-grün ist vom Tisch
Kommt zu uns, wir bieten viel, viel mehr [5][Ökologie und Artenschutz] als
die alte Arbeiterpartei! Kommt zu uns, wir werden das Pariser Klimaabkommen
gemeinsam am schnellsten erreichen!“? Könnten die Grünen diesem
Sirenengesang widerstehen? Die Sozialdemokraten haben in einer solchen
Situation einen strategischen Nachteil. Sie sind nicht so biegsam und
dehnbar wie die Schwarzen, sie sind einer skrupelloseren Machtpartei im
Lockvogelwettkampf unterlegen.
Sie wollen das Ziel der sozialen Gerechtigkeit nicht um jeden Preis der
Ökologie unterwerfen. Und zudem haben sie ihre wichtigste Trumpfkarte
verloren: Rot-Grün-Rot steht als mögliche Koalition ohne die FDP nicht mehr
als Nötigungs- und Drohpotential zur Verfügung. Die unbedingte Gier der
Liberalen mit am Regierungstisch zu sitzen und sie daher mit R2G erpressen
zu können, ist nicht mehr instrumentalisierbar.
Was bleibt der SPD in einer solchen Situation übrig? Will sie den
moralischen Zeigefinger heben? „Habt ihr, liebe Grüne, nicht im Wahlkampf
beteuert, dass ihr ein progressives Bündnis mit uns bevorzugt?“, „Schafft
ihr es wirklich, uns zugunsten eines Wahlverlierers einen Korb zu geben?“,
„Liebe Basis der Grünen, macht bitte unbedingt Druck, dass eure Führung
dieses Versprechen nicht bricht und in ein neoliberales Ehebett steigt!“.
Ein solches Vorgehen würde keineswegs funktionieren:
Das weinerliche Verhalten hat in solchen Situationen, wo harte, an
Mafiamethoden grenzende Lobbydruckwellen wirksam werden, keine Aussicht auf
Erfolg. Es bleibt den Sozialdemokraten gegenwärtig kaum etwas anderes
übrig, als im Bieterverfahren mit einzusteigen und den Grünen
Klimaschutzangebote vorzulegen, die mit den zu erwartenden Angeboten der
Schwarz-Gelben mithalten. Und obendrauf werden dann weitere für die
Ökopartei mit sozialem Herzen verführerische Zusagen gemacht:
Die Einführung des [6][12-Euro-Mindestlohns], die Bürgerversicherung,
Maßnahmen gegen Kinder- und Altersarmut usw. Dass die FDP da Sperrfeuer
geben wird, ist ebenfalls klar. Des Weiteren kann die SPD die Basis der
Grünen motivieren, massiv Druck auszuüben, in der Annahme, dass dort eine
deutliche Präferenz für die Ampel besteht. Allzu viel mehr ist gegenwärtig
für die SPDler kaum möglich.
Wer sich dabei letztlich durchsetzt, ist ein offener Prozess, der zum
jetzigen Zeitpunkt kaum vorhersagbar ist. Die Chancen für Jamaika sind –
gerade eines wankenden Laschets wegen – nur deshalb für die
offensichtlichen Wahlverlierer überhaupt noch vorhanden, weil die Union zum
Zwecke des Machterhalts bereit zu sein scheint, jegliche ökologische Kröte
zu schlucken, und für einen robusten Bulldoggenstil bekannter ist als die
Sozialdemokraten.
Ob sich [7][die Grünen und die FDP] jedoch handelseinig werden – und das
scheint der Schlüssel für die Zeit bis zur Regierungsbildung zu sein – oder
ob beide wechselweise die Koalitionsverhandlungen für Jamaika und Ampel
blockieren und doch die ungeliebte Große Koalition wieder ins Spiel kommt,
ist genauso unsicher wie die Frage, ob wir wohl zum ersten Mal in der
bundesdeutschen Geschichte, weil es zu keinen Regierungsmehrheiten gereicht
hat, Neuwahlen bekommen werden.
Käme es zu Jamaika oder zur Ampel, hätte das wenigstens den Vorteil, dass
Klimaschutz und Ökologie in den nächsten vier Jahren einen sehr hohen
Stellenwert bekommen werden.
29 Sep 2021
## LINKS
[1] /Koalitionsoptionen-der-Gruenen/!5800272
[2] /Ampel-Koalition/!t5455621
[3] /Vorlaeufiges-Endergebnis/!5803730
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestagswahl-michael-kretschme…
[5] /Artenschutz-und-Klimakrise/!5750314
[6] /Auswirkungen-von-12-Euro-Mindestlohn/!5802548
[7] /Olaf-Scholz/!t5013249
## AUTOREN
Helmut Däuble
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