| # taz.de -- Gespräche nach Bundestagswahl: Warten auf ein Umspringen der Ampel | |
| > Grüne und FDP nehmen ihre Rolle als Königsmacherinnen ernst – und | |
| > wechseln vom Wahlkampf- in den Verhandlungsmodus. | |
| Bild: Beide sprechen von Wandel – aber von welchem? Wahlplakate der Grünen u… | |
| BERLIN taz Auf den ersten Blick klingt der Plan völlig einleuchtend: Die | |
| beiden Kleineren schließen sich zusammen, um den Größeren unter Druck zu | |
| setzen. Genau das haben FDP und Grüne vor. Christian Lindner kündigte noch | |
| am Sonntagabend an, zu erst mit den Grünen zu reden. Deren | |
| Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock signalisierte, dass sie das für eine | |
| gute Idee hält. | |
| Klappt das? Es wäre jedenfalls ein Novum. Üblicherweise werden in | |
| Deutschland Koalitionen so verhandelt, dass die stärkste Partei zu | |
| Sondierungen einlädt – und dann abwägt, welche PartnerInnen am geeignetsten | |
| sind. FDP und Grüne wollen den Spieß nun herumdrehen – und vielleicht sogar | |
| Olaf Scholz und Armin Laschet gegeneinander ausspielen. | |
| Wird es die Ampel unter Wahlsieger Scholz? Oder gibt es doch ein | |
| Jamaikabündnis, das der geschwächte Laschet nach seiner historischen | |
| Niederlage zu schmieden versucht? Nicht die Großen würden über die | |
| Koalition entscheiden, sondern die Kleinen. Aber der Plan birgt | |
| Widersprüche. Sie ergeben sich aus der Komplexität der Situation, aus der | |
| Unterschiedlichkeit der PartnerInnen in spe und auch aus der | |
| [1][Spielernatur von Christian Lindner]. | |
| Als [2][Annalena Baerbock und Robert Habeck] am Montagnachmittag in der | |
| Berliner Bundespressekonferenz Platz nehmen, sehen beide müde aus. Sie | |
| haben nach der Wahlparty in der Kreuzberger Columbiahalle nachts im engsten | |
| Kreis ihre Strategie abgestimmt. Was müsste eine Vorabsondierung mit der | |
| FDP ergeben? Es dürften jedenfalls nicht kleine Spiegelstrich-Listen | |
| entstehen, sagt Baerbock. Stattdessen brauche es „eine gemeinsame | |
| Erzählung, wie man Deutschland modernisieren kann“. | |
| Auch Habeck wiederholt das, was er auch schon in Interviews sagte. Eine | |
| Ampel sei nicht Rot-Grün mit ein bisschen gelbem Kitt, sondern ein solches | |
| Bündnis hätte „eine komplett eigene Logik“. Damit nimmt er Lindners | |
| Argument von 2017 auf. Der FDP-Chef hatte sich nach den geplatzten | |
| Jamaikasondierungen mit Union und Grünen darüber beschwert, Erstere hätte | |
| nur mit Zweiteren verhandelt – und geglaubt, die FDP schon im Sack zu | |
| haben. Habeck deutet an, dass er eher an die Ampel glaubt als an Jamaika. | |
| Mit Blick auf die Union und Laschet sagt er: Führende Akteure müssten sich | |
| in Verhandlungen darauf verlassen können, dass sie Prokura im eigenen Laden | |
| hätten. Danach sieht es bei Laschet immer weniger aus. | |
| Außerdem weist Habeck bereits auf Schnittmengen mit der FDP hin. Beide | |
| Parteien wollten etwa einen Bürgerfonds, um die gesetzliche Rente zu | |
| ergänzen, sagt er – auch wenn den Grünen eine ganz andere Finanzierung | |
| vorschwebe als der FDP. | |
| Christian Lindner, etwas verspätet, stützt sich am Montagmittag auf das | |
| Redepult im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin-Mitte. Vor ihm: die | |
| versammelte Hauptstadtpresse. Bis gerade hat sich der FDP-Bundesvorstand | |
| beraten. Rechts neben Lindner steht Generalsekretär Volker Wissing, und | |
| vielleicht ist seine Präsenz schon ein stillschweigendes Symbol an sich. | |
| Schließlich hat Wissing in Rheinland-Pfalz schon als Wirtschaftsminister in | |
| einer Ampelkoalition regiert. | |
| ## Knackpunkt Finanzministerium | |
| Lindner und Wissing sind nun die beiden starken Figuren der FDP, die die | |
| Vorsondierungen mit den Grünen aufnehmen wollen. Danach seien sie offen, | |
| für Einladungen von Union und SPD. „Zwischen Grünen und FDP gibt es die | |
| größten inhaltlichen Unterschiede bei den Parteien des demokratischen | |
| Zentrums“, sagt der FDP-Chef. Aber ganz so pessimistisch soll es dann doch | |
| nicht klingen. | |
| FDP und Grüne hätten gemeinsam, dass sie sich „gegen den Status quo der | |
| Großen Koalition“ gestellt hätten. [3][Weder Union] noch SPD stünden „f�… | |
| Aufbruch“. Aber auf Details will Christian Lindner zu diesem Zeitpunkt | |
| nicht eingehen. Auch nicht darauf, ob dann Habeck oder Lindner das | |
| Finanzministerium beanspruchen würden oder besser keiner von beiden. Das | |
| könnte aber ein Knackpunkt werden: Sowohl Lindner als auch Habeck halten | |
| dieses Ministerium für zentral – und würden den Job gerne machen. | |
| „Zeitnah“ sollten die Gespräche stattfinden, um zu prüfen, ob beide „ein | |
| fortschrittliches Zentrum einer neuen Koalition“ werden könnten, betont | |
| Lindner. Und Volker Wissing gibt den Rat, „sich auf inhaltliche | |
| Schwerpunkte zu konzentrieren, in welcher Konstellation auch immer.“ | |
| Auch von Habeck und Baerbock erfährt man kein Wort darüber, wann und wie | |
| genau die Gespräche stattfinden sollen. Das ist eine Konsequenz aus den | |
| Jamaikasondierungen 2017. Damals wurde fast alles in Echtzeit öffentlich. | |
| Dieses Mal werde strikt auf Vertraulichkeit geachtet, heißt es bei den | |
| Grünen. | |
| Doch trotz der Blumensträuße, die am Tag nach der Wahl über die Tische | |
| gereicht wurden: Die Schwierigkeiten in der strategischen Romanze zwischen | |
| FDP und Grünen sind unübersehbar, nicht nur bei der Ministerfrage. | |
| ## Die Bruchstellen | |
| Da wären einmal die Inhalte. In der Finanzpolitik liegen Welten zwischen | |
| den beiden Parteien. Die Grünen wollen Gutverdiener:innen höher | |
| besteuern und eine Vermögensteuer, die FDP das Gegenteil: Steuersenkung für | |
| Reiche und Unternehmen, Soli abschaffen, Schuldenbremse. Und in der | |
| Sozialpolitik sieht es nicht anders aus: Die Grünen wollen weg von Hartz IV | |
| und Sanktionen, die FDP möchte ein liberales Bürgergeld, bei dem niemand so | |
| recht weiß, ob es am Ende nicht noch bitterer sein könnte als der Status | |
| quo. Immerhin bei den Zuverdienstregeln scheinen Kompromisse möglich. | |
| Interessant wird es in der Klimapolitik. Während die FDP eigentlich nur mit | |
| dem Markt und Erfindergeist die Klimakrise bekämpfen will, setzen die | |
| Grünen auf viele konkrete Maßnahmen: Schneller, bis 2030, aus der Kohle | |
| raus, bis 2035 soll das gesamte Energiesystem auf Erneuerbare umgestellt | |
| sein, Subventionen für E-Autos oder Lastenräder sollen die Verkehrswende | |
| voranbringen – für die FDP sind Verbote, zu viele Vorgaben und | |
| Subventionen ein Graus. Es gibt also viele Hürden zu überwinden. | |
| Dann sind da die unterschiedlichen Präferenzen, die wie ein Spaltpilz | |
| wirken können. Lindners Präferenz für ein Jamaikabündnis ist klar. Oft hat | |
| er im Wahlkampf betont, dass er mit der Union die größeren „Schnittmengen“ | |
| habe und ihm die Fantasie fehle für ein Ampelbündnis. Das wiederholt er | |
| nach der Wahl genau so. Aber er ist eben klug genug, um ein Ampelbündnis | |
| nicht auszuschließen – obwohl es in der FDP-Wählerschaft äußerst unbeliebt | |
| ist. | |
| Bei den Grünen ist die Gefühlslage ambivalenter. Viele Funktionäre | |
| tendieren zur Ampel – und viel spricht dafür, dass es großen Teilen der | |
| Basis ähnlich geht. Mit der SPD ist man sich in vielem näher, vor allem in | |
| der Sozial- und Steuerpolitik. Sowohl Baerbock als auch Habeck hatten vor | |
| der Wahl betont, am liebsten mit den SozialdemokratInnen regieren zu | |
| wollen. Aber Jamaika ginge im Zweifel wohl auch. | |
| Linke Grüne schlucken zwar angesichts der Aussicht, mit den Freidemokraten | |
| regieren zu müssen. Und Lindner gilt vielen Grünen als unsicherer | |
| Kantonist, von dem sie nicht recht wissen, was sie von ihm halten sollen. | |
| Das Jamaika-Aus 2017 wirkt bis heute nach. Aber solche Bedenken sind | |
| Nebensache angesichts der Aussicht, endlich gestalten zu können. | |
| Es ist ja auch nicht so, als hätte sich in den vergangenen vier Jahren | |
| nichts getan zwischen Grünen und FDP. Das Verhältnis ist viel besser, als | |
| es die Wahlkampfpolemik erscheinen ließ. In der Opposition arbeiteten beide | |
| Fraktionen gut zusammen. Sie formulierten etwa – mit der Linke-Fraktion – | |
| einen Vorschlag für eine Wahlrechtsreform aus, um die zögernde Groko zu | |
| kontern. In der Sache zogen sie dann sogar vor das Verfassungsgericht. | |
| Auch in der Innenpolitik verbündeten sich Grüne und FDP, etwa im | |
| Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz. Entsprechend | |
| gut versteht sich Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt mit | |
| Christian Lindner oder Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann mit | |
| ihrem FDP-Kollegen Marco Buschmann. | |
| Nach dem Scheitern von Jamaika 2017 organisierten die Innenpolitiker | |
| Konstantin von Notz (Grüne) und Stephan Thomae (FDP) eine gelb-grüne | |
| Gesprächsrunde. Alle paar Monate traf man sich in der Berliner Bar | |
| „Lebensstern“. Dabei waren zum Beispiel Europapolitiker*innen aus | |
| beiden Parteien. | |
| Die Runde wird von den Initiatoren als sehr produktiv beschrieben. „Es gibt | |
| viele Unterschiede und auch ein paar harte Differenzen“, sagt Konstantin | |
| von Notz. „In der Innen-, Rechts- und Digitalpolitik liegen aber auch | |
| Gemeinsamkeiten.“ Es gebe seit Jahren einen kollegialen und | |
| vertrauensvollen Austausch. „Die Gesprächsatmosphäre zwischen FDP und | |
| Grünen dürfte im Jahr 2021 erwachsener und professioneller sein als im Jahr | |
| 2017“, sagt auch FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle. | |
| 27 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
| Ulrich Schulte | |
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