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# taz.de -- Sondierungen zur Regierungsbildung: Kill your darlings
> Alle beteiligten Parteien versprechen bei den Sondierungen den großen
> Wurf. Doch der Weg zur Regierung wird steinig – und der Zwang zum
> Minimalkonsens groß sein.
Bild: Lassen vieles noch im Dunkeln: Klingbeil, Baerbock und Habeck nach den So…
Jetzt haben sich alle Parteien, außer Union und Grüne, mal getroffen. Sind
wir jetzt schlauer? [1][Die Erklärungen] von Paul Ziemiak und Volker
Wissing, Robert Habeck und Lars Klingbeil nach den Treffen sind nur
begrenzt interessant. Man sagt, dass man nichts sagt.
Jede Andeutung könnte ja Erwartungshaltungen beeinflussen, womöglich
zuungunsten eigener Möglichkeiten. Deshalb klingen alle wie
Sprechautomaten. Wenn Annalena Baerbock abends im Licht der Kameralampen
berichtet, dass sie leider nicht verraten kann, was es beim Treffen mit der
SPD zu essen gab, weil man Vertraulichkeit vereinbart hat, ist die Grenze
zum Lächerlichen markiert.
Spieltheoretisch ist die Lage aber hoch interessant. Wir beobachten, wie
für ein neues Spiel, für das es kaum Routinen gibt, Regeln entwickelt
werden, und zwar während das Spiel läuft. Früher war klar: Bei Rot-Grün und
Schwarz-Gelb hatten die Volksparteien das Sagen – Grüne und FDP mussten
ihre Rollen in Bezug auf die Großen finden.
Bei den Großen Koalitionen konnte die SPD als Juniorpartner in
Koalitionsverhandlungen viel durchsetzen. Sie machte im Maschinenraum die
Politik, die Union bremste und gewann die nächste Wahl. All das gilt jetzt
nicht mehr.
Es geht jetzt offenkundig erst mal um Inszenierungen. Die Selfies von FDP
und Grünen waren eine Botschaft an die SPD: Die Zeiten, als sich
Volksparteien eine Milieupartei zwecks Mehrheitsbeschaffung organisierten,
sind vorbei. Jetzt herrschen neue Regeln. Aber welche?
Viel spricht für die Ampel. Das beste Argument dafür ist die CSU, die schon
seit Monaten klamaukhaft zwischen Treueschwüren für Laschet und offenem
Aufstand schwankt. CSU-Generalsekretär Markus Blume bekundete nach dem
Treffen mit der FDP vor staatstragend seriösem, grauen Hintergrund, er habe
„Lust auf mehr“. Es ist bei der CSU nicht leicht zu erkennen, wo aktuell
die Grenze zur Ironie verläuft.
## Die SPD macht Tempo
FDP-Mann Wissing sah nach dem Treffen mit der SPD große Klippen, [2][bei
der Union hingegen keine.] Aber die FDP muss ja Distanz zur Ampel halten,
mindestens solange die zusehends desolate Union noch im Spiel ist. Die SPD
macht nun Tempo und bereitet optimistisch das erste Gespräche zu dritt mit
Grünen und FDP vor.
Klar ist: Der Weg zu jeder Regierung wird für die Parteien steinig. Schon
das gewöhnungsbedürftige Wort Vorsondierungen kündigt an: Es wird
kompliziert.
Denn die Geschäftsbedingungen für Koalitionen sind in der
Post-Volkspartei-Ära komplexer geworden. Kompromisse zwischen drei Parteien
sind schwergängiger als zwischen zweien. Lindners Ausstieg aus den
Jamaika-Verhandlungen 2017 war da ein Vorgeschmack. Und: In der Ära der
Volksparteien fand die Kompromissbildung in den Parteien selbst statt. Das
wurde auf dem Wählermarkt zusehends zum Malus: Es fehlt ja das
Alleinstellungsmerkmal.
## Der Zwang zur Einigung
So verschieben sich in der Post-Volkspartei-Ära die Kompromissbildungen in
die Koalitionsverhandlungen. Damit wächst die Kluft zwischen vollmundigen
Wahlversprechen, für mehr Gerechtigkeit oder Steuersenkungen zu sorgen, und
dem Zwang zur Einigung nach der Wahl. Von der CDU bis zu den Grünen
beteuern nun alle, es bei der Regierungsbildung keinesfalls beim kleinsten
gemeinsamen Nenner zu belassen. Aber dafür spricht wenig.
Ein Beispiel: Es wird in der Ampel schwierig, im Kernbereich Finanzen einen
Kompromiss zwischen SPD und FDP zu finden. Die wundersame
Wiederauferstehung der SPD verdankt sich auch dem Vertrauen, dass sie
wieder für soziale Gerechtigkeit sorgt. Das passt schlecht zu dem
Lobbyismus für Reiche, der für die FDP ein Identitätsmarker ist. Die Logik
der Deals könnte heißen: Kill your darlings. Oder auch: Lassen wir es, wie
es ist.
## Zu viel Aufbruchsprosa
Man sollte die vibrierende Reform- und Aufbruchsprosa, die derzeit bei den
Vorsondierungen Konjunktur hat, mit Vorsicht genießen. Auch Paul Ziemiak
fordert energisch, dass jetzt endlich Neues passieren muss. Er ist
Generalsekretär einer Partei, die seit 16 Jahren regiert.
Der kleinste gemeinsame Nenner scheint derzeit zu sein, dass sich von CSU
bis SPD alle einig sind, [3][dass der kleinste gemeinsame Nenner wirklich
nicht reicht.] Man kündigt Neues, Reformen, kühne Würfe an. Das ist ein
Nebelwerfer. Er soll verhüllen, wie groß der Zwang zum Minimalkonsens sein
wird.
4 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.tagesschau.de/inland/btw21/sondierungsgespraeche-spd-cdu-103.ht…
[2] https://www.tagesschau.de/inland/btw21/sondierungsgespraeche-spd-cdu-107.ht…
[3] https://www.br.de/nachrichten/bayern/anton-hofreiter-nicht-kleinsten-gemein…
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Sondierung
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