# taz.de -- Blick der EU auf Bundestagswahl: Worst Case Finanzminister Lindner | |
> Rechtsstaatsklausel, Klimakrise, Afghanistan – die EU hat nach Merkels | |
> Abgang viele Herausforderungen. Wie blickt Brüssel auf die deutsche Wahl? | |
Bild: Am 1. januar 2022 übernimmt Frankreich den EU-Vorsitz | |
BRÜSSEL taz | In der Europäischen Union reden alle über Deutschland – doch | |
in Deutschland spricht keiner über die EU. So hat der Satiriker und | |
Europaabgeordnete Martin Sonneborn die Lage vor der Bundestagswahl | |
zusammengefasst. Diesmal ist es kein Witz. | |
Während Brüssel nur widerwillig von Kanzlerin [1][Angela Merkel] Abschied | |
nimmt – viele EU-Politiker sehen sie immer noch als ungekrönte Königin von | |
Europa –, kümmert man sich in Berlin kaum um ihr europapolitisches Erbe. | |
Dabei hat Merkel gleich mehrere Großbaustellen hinterlassen. Der | |
[2][Corona-Aufbaufonds] wurde mit 750 Milliarden Euro neuer EU-Schulden | |
finanziert, die zurückgezahlt werden müssen. Doch wann und wie, ist | |
umstritten. Der [3][Stabilitätspakt] für den Euro wurde ausgesetzt, sein | |
Schicksal ist ungewiss. Merkel brachte auch eine [4][Rechtsstaatsklausel] | |
auf den Weg, die das EU-Budget schützen soll. Doch ob sie in Polen oder | |
Ungarn wirkt, muss sich erst noch zeigen. Im Herbst droht ein Eklat. | |
Und dann wären da noch die Klimakrise, [5][Afghanistan], der Streit mit den | |
USA über China und die [6][U-Boote] – jede Menge lose Enden und unerledigte | |
Geschäfte, bei denen es auf Deutschland ankommt. Doch die Kanzlerkandidaten | |
schweigen. | |
## Man kennt sich, man schätzt sich | |
Je nach Temperament wird dies von den EU-Politikern und Institutionen ganz | |
unterschiedlich aufgenommen. Kein Problem, wir haben alles im Griff, heißt | |
es im Ministerrat, der Vertretung der 27 Mitgliedstaaten. | |
Schließlich haben Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine | |
ordentliche Übergabe vereinbart. Am 1. Januar 2022 übernimmt Frankreich den | |
EU-Vorsitz – die Agenda haben Merkel und Macron schon festgezurrt. | |
Wir können mit jedem Wahlsieger, heißt es in der EU-Kommission. | |
Behördenchefin Ursula von der Leyen verweist darauf, dass sie mit | |
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet das Parteibuch teile – und mit | |
SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz schon gemeinsam in einer Regierung gesessen | |
habe. | |
Man kennt sich, man schätzt sich, und beide sind „überzeugte Europäer“ �… | |
genau wie die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock. Anders als Laschet, der | |
von 1999 bis 2005 Europaabgeordneter war, kennt Baerbock Brüssel zwar nur | |
von einer Assistentenstelle im Europaparlament, die kaum Spuren | |
hinterlassen hat. Doch auch sie bekennt sich zur EU. | |
## Angst vor einem Jamaika-Bündnis | |
Und was ist mit der Linkspartei, die mit Scholz an die Macht kommen könnte? | |
In Brüssel ist sie kein großes Thema. Eine rot-grün-rote Koalition wird in | |
der Schaltzentrale der EU für wenig wahrscheinlich gehalten. | |
Mehr Sorgen macht man sich schon um die FDP – und einen möglichen | |
Finanzminister [7][Christian Lindner]. Er könnte die EU-Finanzierung über | |
Schulden infrage stellen und mit eiserner Budgetdisziplin für Turbulenzen | |
sorgen. Vor allem für Südeuropa wäre das ein Problem. In Griechenland, | |
Italien und Frankreich haben die Schulden schwindelerregende Höchststände | |
erreicht, selbst Deutschland hält den Stabilitätspakt nicht mehr ein. Ein | |
Jamaika-Bündnis aus CDU, FDP und Grünen wäre für viele das | |
Worst-Case-Szenario. | |
Im Europaparlament tobt schon der Streit über den künftigen deutschen Kurs. | |
Nicola Beer von der FDP wehrt sich: „Gerade auf europäischer Ebene zeigen | |
wir, dass eine Koalition zwischen der Partei Macrons und den Freien | |
Demokraten möglich ist“, sagt die Vizepräsidentin der Straßburger Kammer. | |
Auf die Liberalen sei Verlass. | |
Auch Udo Bullmann von der SPD wiegelt ab. „Das größte Thema für die | |
Europäer ist, wer diese Wahl gewinnt. Ob die FDP dabei mitmacht, ob die | |
Linke beteiligt sein wird, ist von vergleichsweise geringerem Interesse.“ | |
Der Co-Fraktionschef der Linken, Martin Schirdewan, verspürt sogar | |
Rückenwind: „Vor allem in Südeuropa gibt es große Hoffnung auf eine andere | |
deutsche Europapolitik.“ | |
Auch die Grünen im Europaparlament setzen auf einen Neustart. „Mit dem | |
bevorstehenden Wechsel an der Spitze der deutschen Bundesregierung muss | |
endlich ein neuer Impuls – eine neue Vision für Europa einhergehen“, sagt | |
der Finanzexperte Sven Giegold. 17 Jahre nach der Osterweiterung dürfe man | |
in der EU nicht mehr nur den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen – wie so | |
oft unter Merkel. | |
25 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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