| # taz.de -- Die EU und Afghanistan: Schockstarre in Brüssel | |
| > Nach den Anschlägen am Flughafen von Kabul zeigen sich viele EU-Politiker | |
| > entsetzt. Doch das Afghanistan-Kapitel ist für die Union beschämend. | |
| Bild: Jeder evakuierte nur seine Leute: Französisches Militärflugzeug | |
| Brüssel taz | Viele EU-Länder hatten es befürchtet – und schon am | |
| Donnerstag ihre [1][Rettungsaktionen am Flughafen Kabul] abgebrochen. | |
| Belgien, Polen und Dänemark waren die ersten, die ihre Soldaten wegen der | |
| Terrorwarnungen aus der afghanischen Hauptstadt abzogen. Doch als dann die | |
| Meldungen von den Selbstmordanschlägen des „Islamischen Staats“ kamen, war | |
| der Schock groß, die EU-Spitzen reagierten entsetzt. | |
| „Die internationale Gemeinschaft muss eng zusammenarbeiten, um ein | |
| Wiederaufflammen des Terrorismus in Afghanistan und an anderen Orten zu | |
| verhindern“, forderte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. | |
| Ratspräsident Charles Michel kommentierte: „Wir müssen sicherstellen, dass | |
| die derzeitige Instabilität nicht zu einer Wiederholung des Terrorismus | |
| führt.“ | |
| Oberste Priorität hat plötzlich wieder die Sicherheit – vor allem die der | |
| eigenen Leute. Die 400 afghanischen Ortskräfte, die für die EU gearbeitet | |
| haben, seien sicher auf der Militärbasis Torrejon bei Madrid gelandet und | |
| würden nun auf die Mitgliedsländer umverteilt, erklärte ein Sprecher der | |
| EU-Kommission. Ein kleines Team harre noch am Flughafen aus, um den Abzug | |
| der EU abzuschließen. | |
| So geht ein unrühmliches Kapitel der europäischen Außenpolitik zu Ende – in | |
| Terror und Chaos. Dabei hatte es vielversprechend begonnen. „Gemeinsam | |
| rein, gemeinsam raus“, hatten sich die Alliierten der USA geschworen. | |
| Gemeinsam würde man den Terror bekämpfen – und dann geschlossen aus einem | |
| wieder sicheren Land abziehen. Die Anschläge des IS haben diesen Plan | |
| gründlich durchkreuzt. | |
| ## Jedes Land für sich | |
| Auch von Gemeinsamkeit war am Ende wenig zu sehen. Frankreich und die | |
| Niederlande haben ihre Truppen schon vor Jahren aus Afghanistan abgezogen. | |
| Die [2][Evakuierung aus Kabul] hat jedes Land für sich organisiert, die EU | |
| spielte kaum eine Rolle. Nur wenn es noch freie Plätze gab, durften | |
| EU-Bürger anderer Länder mit an Bord gehen. Eine gemeinsame europäische | |
| Rettungsaktion kam nicht zustande. | |
| „Wir verfügen nicht über eigene Flugzeuge, aber wir haben einige Hilfsflüge | |
| finanziert“, heißt es in der EU-Kommission. Generell sitze die EU jedoch | |
| nicht in der ersten Reihe. Gefordert seien vor allem die USA und die Nato. | |
| Behördenchefin Ursula von der Leyen nahm zwar am G7-Krisengipfel zu | |
| Afghanistan teil. Sie hielt es aber nicht für nötig, eine Sondersitzung in | |
| Brüssel einzuberufen. | |
| Das erledigte der slowenische EU-Vorsitz – zu spät, wie sich am Donnerstag | |
| zeigte. Die eilig zusammengetrommelten Botschafter wurden von den | |
| Ereignissen in Kabul überrascht; ihnen blieb kaum mehr, als die letzten | |
| Meldungen aus ihren Hauptstädten zu verlesen. Für eine EU-weite Abstimmung | |
| der Rettungsaktionen war es da schon zu spät, für die Vorbereitung der | |
| nächsten Schritte zu früh. | |
| „Unsere Priorität ist, die Evakuierung so schnell wie möglich zu beenden“, | |
| sagte der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. „Wir sind in der | |
| operativen Phase, das Nachdenken über die Folgen kommt später“, ergänzte | |
| von der Leyens Sprecher. Zunächst gehe es darum, die Rettungsaktion | |
| abzuschließen und die EU-Staaten bei der Aufnahme von Afghanen zu | |
| unterstützen. | |
| ## Streit um geflüchtete Afghanen | |
| Doch wer ist bereit, Flüchtlinge und Asylbewerber aufzunehmen? Ist es | |
| überhaupt die Aufgabe der EU-Kommission, dabei zu helfen? Darüber ist ein | |
| heftiger Streit entbrannt, der an die [3][Flüchtlingskrise von 2015] | |
| erinnert. Während von der Leyen großzügige Finanzhilfen für jene Länder | |
| ankündigt, die hilfsbedürftige Afghanen aufnehmen, hält der amtierende | |
| slowenische EU-Ratsvorsitz dagegen. | |
| „Die EU wird keine europäischen,humanitären' oder Migrationskorridore nach | |
| Afghanistan öffnen. Wir werden nicht zulassen, dass sich der strategische | |
| Fehler von 2015 wiederholt“, twitterte Regierungschef [4][Janez Jansa, der | |
| seit Juni die halbjährlich wechselnde Ratspräsidentschaft] innehat. Auch | |
| Österreich und Griechenland haben sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen | |
| ausgesprochen. | |
| Demgegenüber fordert das Europaparlament, die EU müsse Flagge zeigen und so | |
| viele Schutzbedürftige wie möglich aufnehmen. Doch was sind | |
| Schutzbedürftige? Sind es [5][nur die Ortskräfte] oder auch ihre Familien? | |
| Was wird aus Frauen und Kindern? Wie geht es nach dem Ende der Militärflüge | |
| aus Kabul weiter? Wird es neue, zivile Transporte geben? | |
| Erste Antworten soll ein Krisentreffen der Innenminister liefern, das Jansa | |
| am Dienstag einberufen hat. Es dürfte turbulent werden. Nach dem | |
| ungeordneten Abzug aus Kabul droht neuer Ärger in der Asyl- und | |
| Flüchtlingspolitik. | |
| 27 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
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