# taz.de -- Euro-Stabilitätspakt ausgesetzt: Freibrief für neue Schulden | |
> Die EU-Staaten dürfen vorerst so viele Kredite aufnehmen, wie sie in der | |
> Coronakrise brauchen. Kommen jetzt kollektive Schulden der Gemeinschaft? | |
Bild: Theo Waigel (CSU) 1998, der Mann, der den Stabilitätspakt mit geprägt h… | |
BRÜSSEL taz | Am Ende ging alles ganz schnell: Per Videoschaltkonferenz | |
haben die EU-Finanzminister den Stabilitätspakt für den Euro ausgesetzt. | |
Damit wollen sie auch hoch verschuldeten Ländern wie Italien oder | |
Griechenland ermöglichen, sich weiter zu verschulden, um die Folgen der | |
Coronakrise zu bekämpfen. | |
Die im „Stabipakt“ verankerte und seit Jahren umstrittene | |
Drei-Prozent-Grenze für das Budgetdefizit fällt nun ebenso weg wie das | |
Schuldenlimit von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Sogar | |
fiskalpolitische Hardliner wie Deutschland, Finnland oder die Niederlande | |
stimmten dem Vorschlag der EU-Kommission zu. | |
Die Brüsseler Behörde hatte die Aussetzung des Pakts mit der | |
wirtschaftlichen Notlage begründet, die durch die Maßnahmen gegen das | |
Coronavirus entstanden sind. Formal beruft sie sich auf die 2011 neu | |
eingeführte „Generalklausel“, die eine Pause ermöglicht. Es ist das erste | |
Mal, dass der 1997 eingeführte Pakt ausgesetzt wird. Maßgeblich hatte sich | |
Deutschland, allen voran der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel | |
(CSU), für scharfe Schuldenkriterien eingesetzt. | |
In Brüssel macht sich nun manch einer Sorgen, dass er niemals wieder | |
aktiviert werden könnte. Die Finanzminister betonen zwar, sie blieben „der | |
Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts uneingeschränkt | |
verpflichtet“. Doch nach der Krise dürften alle Euroländer die Obergrenzen | |
des Pakts bei Weitem überschreiten, auch Deutschland. | |
## Die verdammten Spreads | |
„Die Coronakrise darf nicht direkt in eine Schuldenkrise führen“, warnt der | |
CSU-Finanzexperte Markus Ferber. Die Schuldentragfähigkeit werde auch | |
künftig eine wichtige Rolle spielen. „Auch wenn neue Schulden nicht auf die | |
Defizitgrenze angerechnet werden, müssen sie später trotzdem mit Zins und | |
Zinseszins zurückgezahlt werden.“ | |
Dieses Problem treibt auch andere Experten um. Die EU müsse sich jetzt | |
schon überlegen, wie sie die kommende schwere Wirtschafts- und Finanzkrise | |
managen kann, sagt Janis Emmanouilidis vom Brüsseler Thinktank EPC. Die | |
Aussetzung des Stabilitätspakts reiche nicht aus, die EU brauche auch | |
gemeinsame Finanzinstrumente. | |
Italien, Griechenland und andere geschwächte Euroländer dürfen sich nun | |
zwar unbegrenzt neu verschulden. Doch sie zahlen an den Finanzmärkten | |
höhere Zinsen für ihre Kredite als Deutschland. Die Zinsdifferenz, Spread | |
genannt, könnte sich sogar noch erhöhen – wie in der Eurokrise, wo es | |
deswegen fast zum Crash kam. | |
Zuletzt sind die Spreads für Italien zwar zurückgegangen. Dies war jedoch | |
vor allem der Europäischen Zentralbank (EZB) zu verdanken, die für zunächst | |
750 Milliarden Euro Staatsschulden aufkauft und damit die Zinsen drückt. | |
Was passiert, wenn sich die Krise weiter verschärft und die Spreads wieder | |
in die Höhe gehen, weiß niemand. | |
Klar ist nur, dass die Feuerwehraktion der EZB und die eilige Aussetzung | |
des Stabipakts nicht ausreichen werden. In Brüssel werden daher bereits | |
zusätzliche Maßnahmen diskutiert, die die finanzielle Solidarität zwischen | |
den Euroländern sichern könnten, unabhängig von den Launen der Finanzmärkte | |
und der Spekulanten. | |
## Kommen Coronabonds? | |
So könnte der Euro-Rettungsfonds ESM [1][zusätzliche Kredite] in Höhe von | |
bis zu 410 Milliarden Euro anbieten. Dies hat ESM-Chef Klaus Regling | |
vorgeschlagen. Denkbar wäre auch, dass die Euroländer gemeinsame Anleihen | |
ausgeben, die sogenannten Coronabonds. So könnten sich alle Staaten zu | |
denselben günstigen Konditionen am Markt finanzieren. | |
Beides ist umstritten. Bei einer Sondersitzung der Euro-Finanzminister am | |
Dienstagabend wurde deshalb noch nicht mit einer Einigung gerechnet. Im | |
Streit über ESM und Coronabonds stehen wie gewohnt Finnland, die | |
Niederlande, Österreich und auch Deutschland auf der Bremse. Die Diskussion | |
über Coronabonds sei „eine Geisterdebatte“, sagte Bundeswirtschaftsminister | |
Peter Altmaier. Der CDU-Politiker wischte damit auch Vorschläge führender | |
deutsche Ökonomen vom Tisch. | |
Das letzte Wort dürfte Bundeskanzlerin Angela Merkel haben, die am | |
Donnerstag in einer Videoschalte mit den anderen Staats- und | |
Regierungschefs der EU diskutiert. In der Eurokrise lehnte Merkel die schon | |
damals geforderten Eurobonds strikt ab. Fast zehn Jahre später spricht | |
nichts dafür, dass die Kanzlerin ihre Meinung von damals geändert haben | |
könnte. | |
24 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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