| # taz.de -- Paket für Wirtschaft in Corona-Krise: Hilfe nur im eigenen Land | |
| > Die Regierung hat Milliardenhilfen für Unternehmen beschlossen. | |
| > Kleinbetriebe bekommen Zuschüsse. Zu Eurobonds sagt sie nichts. | |
| Bild: Ups! Wirtschaftsminister Peter Altmaier will Finanzminister Olaf Scholz d… | |
| Berlin taz | Das Tempo erinnert an die [1][Finanzkrise im Jahr 2008]: Am | |
| Montag hat das Bundeskabinett ein Hilfspaket zur Abmilderung der | |
| wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie beschlossen. Noch in dieser | |
| Woche soll es durch den Bundestag gehen, sodass schon in der nächsten Woche | |
| das erste Geld fließen kann. „Es kommt jetzt darauf an, dass wir schnell | |
| helfen“, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), als er das | |
| Programm am Montag zusammen mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) | |
| präsentierte. | |
| Auch bei der praktischen Umsetzung dient die Finanzkrise als Vorbild: Der | |
| Finanzmarktstabilisierungsfonds, mit dem von 2008 bis 2015 notleidende | |
| Banken unterstützt worden sind, wird als „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ | |
| reaktiviert, um Unternehmen zu retten: Er soll Kredite im Umfang von bis zu | |
| 400 Milliarden Euro garantieren. Weitere 100 Milliarden Euro stehen bereit, | |
| um sich direkt an Unternehmen zu beteiligen, etwa indem Anleihen oder | |
| Aktien übernommen werden, um Pleiten oder einen Ausverkauf zu verhindern. | |
| Trotz der großen Eile gibt es in der Wirtschaft Sorge, dass das Geld zu | |
| spät kommen könnte. „Für viele Betriebe läuft die Liquiditätsuhr schnell… | |
| runter, als politische Entscheidungen und der Aufbau von Strukturen für die | |
| Hilfen hinterherkommen“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und | |
| Handelskammertags, Eric Schweitzer, am Montag. Er forderte zudem, dass der | |
| Staat bei den bereits beschlossenen Hilfskrediten durch die KfW das | |
| Kreditrisiko nicht nur zu 90 Prozent, sondern zu 100 Prozent übernehmen | |
| sollte; angesichts der unsicheren Wirtschaftslage hätten sonst vor allem | |
| Mittelständler wegen fehlender Kreditwürdigkeit Probleme, die Hilfen zu | |
| nutzen. Die KfW teilte unterdessen mit, dass die ersten dieser Kredite am | |
| Montag bereits bewilligt wurden. | |
| Während sich der neue Rettungsfonds und die KfW-Kredite eher an größere | |
| Unternehmen richten, gibt es für kleine Firmen und Selbstständige | |
| gesonderte Unterstützung: Zur Zahlung von Mieten oder anderen laufenden | |
| Kosten können sie einen direkten einmaligen Zuschuss erhalten. Dieser | |
| beträgt für Unternehmen bis 5 Beschäftigte 9.000 Euro, für Unternehmen bis | |
| 10 Beschäftigte 15.000 Euro. | |
| Zur Weiterbezahlung der Löhne wurde bereits in der vergangenen Woche zudem | |
| der Zugang zum Kurzarbeitergeld erleichtert. Dies deckt allerdings nur 60 | |
| Prozent des regulären Gehalts ab. Scholz äußerte die Erwartung, dass dies | |
| von den Unternehmen selbst aufgestockt wird; eine Verpflichtung dazu gibt | |
| es aber nicht. Auch sogenannten Solo-Selbstständigen, also Menschen, die | |
| selbstständig sind und keine Angestellten haben, soll geholfen werden. Sie | |
| sollen deutlich einfacher Leistungen aus der staatlichen Grundsicherung | |
| erhalten. | |
| Finanziert werden sollen diese und weitere Maßnahmen über einen | |
| Nachtragshaushalt im Umfang von 156 Milliarden Euro, den der Bundestag in | |
| dieser Woche verabschieden soll. Dafür wird die Schuldenbremse außer Kraft | |
| gesetzt, sodass neue Schulden aufgenommen werden können. Zinsen fallen | |
| dafür nicht an; im Gegenteil hat der Bund für seine Schuldscheine zuletzt | |
| sogar Negativzinsen kassiert. | |
| Ganz anders ist die Lage in den europäischen Nachbarländern, die von der | |
| Krise besonders stark betroffen sind, etwa Italien. Wegen des höheren | |
| Risikos, das Anleger dort sehen, sind die Zinsen dort deutlich höher. Viele | |
| Ökonomen sehen darum jetzt die Zeit für Eurobonds gekommen, also | |
| gemeinschaftlich garantierte Schuldscheine der EU, die die Zinsen für die | |
| betroffenen Länder senken würden. In der Vergangenheit hatte Deutschland | |
| das entschieden abgelehnt – und daran scheint sich nichts geändert zu | |
| haben. Auf der Kabinettssitzung waren Eurobonds kein Thema; das | |
| Finanzministerium teilte mit, es gebe dabei „keinen neuen Stand“. | |
| Doch die Corona-Krise fegt alte Gewissheiten im Wochentakt weg. Das | |
| Münchner ifo-Institut hat am Montag Zahlen veröffentlicht, was die | |
| Corona-Krise [2][kosten könnte,] und spricht von „astronomischen Summen“. | |
| „Je nach Szenario schrumpft die Wirtschaft um 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte. | |
| Das entspricht Kosten von 255 bis 729 Milliarden Euro“, schreibt | |
| ifo-Präsident Clemens Fuest. | |
| Die Zahlen schwanken, je nachdem, wie restriktiv der Shutdown ist und wie | |
| lange er dauert, betrachtet sind hier zwei bis drei Monate. Bis zu 1,3 | |
| Millionen Vollzeitjobs könnten wegfallen, zusätzlich droht bis zu 6 | |
| Millionen Menschen Kurzarbeit. Während der Finanzkrise 2008/2009 waren es | |
| lediglich 1,5 Millionen Kurzarbeiter. Den öffentlichen Haushalten könnten | |
| bis zu 200 Milliarden Euro Einnahmen fehlen, da sind die Ausgaben für die | |
| Krise noch nicht drin. | |
| Was die Krise für andere EU-Staaten bedeutet, dazu rechnet das ifo noch. | |
| Aber die [3][Financial Times] etwa schätzt, die Schulden Italiens könnten | |
| mittelfristig um 20 bis 50 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Eine | |
| Gruppe von Ökonom*innen, darunter auch Fuest, hat deshalb am Sonntag | |
| gefordert, eine europäische „Covid-Kreditlinie“ [4][zu schaffen]. Dabei | |
| handelt es sich explizit nicht um eigene Schuldentitel der EU oder der | |
| Eurozone, also Eurobonds, obwohl sie den gleichen Effekt haben, nämlich | |
| gemeinsame Schulden. Eurobonds zu schaffen sei kompliziert, entsprechende | |
| Beschlüsse sind noch nicht gefasst. | |
| ## Über langfristige Effekte nachdenken | |
| Allerdings kann der für Notzeiten gegründete Europäische | |
| Stabilitätsmechanismus explizit neue Finanzprodukte kreieren, die kurz ESM | |
| genannte Institution könnte so Kredite aufnehmen und an die Länder | |
| weitergeben, die besonders hart von der Krise getroffen sind. Die Kredite | |
| sollen explizit eine extrem lange Laufzeit haben, sodass die Staaten nach | |
| der Krise weiter finanziellen Spielraum haben – und sie sollen nicht mit | |
| Sparauflagen verbunden sein. Die haben nach der letzten Finanzkrise die | |
| Wirtschaft in den Krisenländern noch weiter einbrechen lassen – einfach | |
| weil der Staat wenig Geld ausgegeben hat. Das ESM verfügt derzeit über 410 | |
| Milliarden Euro. | |
| „Nicht zu kooperieren, wäre ein sehr negatives Signal, möglicherweise fatal | |
| für Europa“, schreiben die Ökonom*innen. ifo-Ökonom Fuest sagt, eine | |
| Vergemeinschaftung der Risiken liege auch im ökonomischen Interesse | |
| Deutschlands: „Nicht die Größe der Schäden spricht für eine | |
| Vergemeinschaftung von Kosten der Epidemieeindämmung, sondern die Tatsache, | |
| dass der Nutzen aus dieser Eindämmung grenzüberschreitend ist“, schreibt er | |
| der taz. | |
| Auf ein anderes Thema haben unterdessen Greenpeace und der Thinktank „Forum | |
| Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft“ hingewiesen: Wenn Staaten so gewaltige | |
| Summen wie derzeit in die Hand nehmen, dann sei es wichtig, auch über die | |
| langfristigen Effekte nachzudenken. Sie mahnen eine Debatte darüber an, wie | |
| zumindest ein Teil der Maßnahmen der ökologischen Transformation der | |
| Gesellschaft dienen kann. Vor allem sollten umweltpolitisch unsinnige | |
| Maßnahmen wie die Abwrackprämie in dieser Krise ausbleiben. | |
| 23 Mar 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Oekonom-ueber-zehn-Jahre-Finanzkrise/!5533578 | |
| [2] https://www.ifo.de/node/53961 | |
| [3] https://www.ft.com/content/7517ec6c-6ac3-11ea-a3c9-1fe6fedcca75 | |
| [4] https://voxeu.org/article/proposal-covid-credit-line | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
| Ingo Arzt | |
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