# taz.de -- Ökonom über Corona-Folgen: „Für Kleinunternehmen hammerhart“ | |
> Trotz Corona müssen wir keine Wirtschaftskrise wie vor zwölf Jahren | |
> erwarten – sagt Ökonom Marcel Fratzscher. Eng werde es aber für kleine | |
> Betriebe. | |
Bild: Pause in der Wall Street, 9.3.2020 | |
taz: Herr Fratzscher, die Weltwirtschaftskrise 2008 wurde von einer | |
Situation verursacht, in der niemand mehr Risiken richtig einschätzen | |
konnte. Ist die Situationen mit heute vergleichbar? | |
Marcel Fratzscher: In vielerlei Hinsicht ist das nicht vergleichbar. Damals | |
gab es ein grundlegendes Problem im Finanzsystem mit einer systemischen | |
Bedeutung für die Volkswirtschaft. Heute geht es um einen Einbruch in der | |
Realwirtschaft, der aber nicht strukturell bedingt ist. Die Hoffnung ist, | |
dass [1][der Abschwung jetzt] deutlich milder, kürzer und weniger disruptiv | |
ist. Ich bin positiv, dass es nicht so schlimm kommen wird wie vor 12 | |
Jahren. | |
Durch die niedrigen Zinsen haben sich gewaltige Risiken aufgebaut. In den | |
USA etwa gibt es viele überschuldete Öl- und Gasförderer, die nur wegen | |
billiger Zinsen überleben konnten. Ist das nicht fatal? | |
Ja, natürlich. Klar ist, dass das, was jetzt passiert, Unternehmen in die | |
Insolvenz treiben wird. Da sind einige Branchen besonders exponiert: | |
Reiseunternehmen, Exportunternehmen, die Teile globaler Lieferketten sind, | |
Luxusgüter, bei denen die Nachfrage besonders einbricht. | |
Am Donnerstag muss die Europäischen Zentralbank Maßnahmen gegen die Krise | |
verkünden. Doch viele Ökonom*innen warnen seit Jahren, die EZB könne wegen | |
der Nullzinspolitik nicht mehr auf Krisen reagieren. | |
Man sollte die EZB nicht unterschätzen, sie kann noch eine Menge tun. Die | |
Kritik an der angeblich handlungsunfähigen Zentralbank höre ich seit zehn | |
Jahren. Ich erwarte, dass die EZB den Fokus auf kleine und mittlere | |
Unternehmen legen wird. Sie kann beispielsweise Geschäftsbanken sagen: Wenn | |
ihr Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergebt, dann bekommt ihr | |
von uns die dafür notwendige Liquidität deutlich günstiger als sonst. Dafür | |
gibt es bereits ein Programm, das die EZB ausweiten kann. Dass sie die | |
Zinsen nochmals senken wird oder zusätzliche Anleihen von großen, | |
börsennotierten Unternehmen kauft, das halte ich für nicht sehr | |
wahrscheinlich. | |
Hilft das Restaurants, Caterern, Handwerkern, Masseuren, denen jetzt die | |
Aufträge wegbrechen? | |
Den Kleinstunternehmen hilft das fast nichts. Die brauchen keine Kredite, | |
um ihre Rechnungen zu zahlen. Für sie ist die Situation natürlich | |
hammerhart. Denen kann man über Kurzarbeitergeld helfen, falls sie | |
Angestellte haben. Man könnte auch ihre Steuerlast auf die Zukunft | |
schieben. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, zu sagen: Diese Unternehmen | |
werden hart getroffen. Ihnen ist nur geholfen, wenn die Krise schnell | |
vorbei ist. Länger als zwei, drei Monate können viele Cafébesitzer oder | |
Handwerker eine solche Situation kaum überbrücken. | |
Die FDP sagt: Jetzt auch den Soli für die oberen Einkommen abschaffen. | |
Bringt das was? | |
Nein. Die Soli-Abschaffung für die unteren 90 Prozent der Einkommen wird ja | |
bereits auf 1. Juli vorgeschoben, das hilft auch ein wenig. Wenn man den | |
Soli auch noch für die Spitzenverdiener abschafft, dann kostet das neun | |
Milliarden und ist zur Bekämpfung der Krise komplett ineffizient. Kleinen | |
Handwerkern und Selbstständigen wird das kaum helfen. Auch der Konsum wird | |
nicht angekurbelt, weil Spitzenverdiener in der Regel das meiste sparen, | |
wenn sie entlastet werden. Sinnvoller wäre es, die unteren Einkommen zu | |
entlasten, die geben das für den Konsum aus. Wir haben vorgeschlagen, die | |
Mehrwertsteuer temporär zu senken. Das würde allen zugute kommen. | |
Muss man sich von der Schuldenbremse verabschieden, um auf die Krise | |
reagieren zu können? | |
Ja. Man macht Fiskalregeln, damit man in guten Zeiten gut haushaltet, um in | |
schlechten Zeiten der Wirtschaft und den Menschen helfen zu können. Und | |
wenn das jetzt keine Notsituation ist, was dann? Die Bundesregierung | |
verabschiedet jetzt ein wachsweiches Konjunkturprogramm mit drei Milliarden | |
mehr Investitionen im Jahr, das ist nicht wirklich ein Impuls. Gleichzeitig | |
will die Bundesregierung die schwarze Null halten. Das ist das völlig | |
falsche Signal in Zeiten, in denen die Wirtschaft eine deutliche und starke | |
Unterstützung des Staates braucht. | |
Viele denken gerade: Es ist doch gut, dass wir wirtschaftliche Einbußen in | |
Kauf nehmen, um Menschenleben zu retten. Stimmt diese Gleichung so? | |
Die Zahl der Infizierten radikal zu minimieren, würde Maßnahmen wie in | |
China bedeuten: Quarantäne und Ausgangsverbot für mehrere Wochen. Da würden | |
aber Bürgerinnen und Bürger sagen, dass das ihre Freiheitsrechte zu sehr | |
beschneidet. Eine zu starke Einschränkung des öffentlichen Lebens würde | |
auch andere Kranke und Bedürftige treffen oder die Lebensmittelversorgung | |
einschränken. Es gibt also eine Abwägung, die sicherlich nicht leicht ist. | |
10 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
Marcel Fratzscher | |
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