# taz.de -- Zuständigkeiten beim Coronavirus: In den Händen überforderter Ä… | |
> In der größten Gesundheitskrise nach dem Krieg hat nicht der | |
> Gesundheitsminister das letzte Wort, sondern unterversorgte | |
> Gesundheitsämter entscheiden. | |
Bild: Eine FFP3-Atemschutzmaske | |
BERLIN taz | Der italienische Ministerpräsident erklärt sein Land per | |
Dekret zur Sperrzone. Die polnische Regierung sagt alle | |
Massenveranstaltungen ab. Tschechien schließt sämtliche Schulen, Israel | |
schickt Einreisende pauschal für zwei Wochen in Heimquarantäne. | |
Die [1][Maßnahmen, die andere Länder inzwischen ergriffen haben] mit dem | |
Ziel, die Ausbreitung des Coronavirus zu entschleunigen und auf diese Weise | |
ihre nationalen Gesundheitssysteme zu entlasten und Menschen das Leben zu | |
retten, sie muten drastisch und dramatisch an – zumindest im Vergleich mit | |
dem weithin moderaten, um Verständnis werbenden Ton, der auch am Dienstag | |
hierzulande die Debatte bestimmte, [2][inwieweit das öffentliche Leben in | |
Deutschland eingeschränkt] werden soll und darf. | |
So „plädierte“ der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, | |
immerhin Deutschlands oberster Seuchenschützer, lediglich dafür, nicht | |
zwingend notwendige Veranstaltungen „abzusagen oder zu meiden“, und fügte | |
nahezu bittend hinzu: „Und aus meiner Sicht kann man eben auch verzichten, | |
[3][zu einem Fußballspiel zu gehen].“ Auch Bundesgesundheitsminister Jens | |
Spahn (CDU) beließ es bei seinem „Appell“, Veranstaltungen mit mehr als | |
1.000 Personen abzusagen; von flächendeckenden Schulschließungen halte er | |
dagegen nichts. | |
Das muss Spahn auch nicht. Eine entsprechende Anordnung fiele, so absurd es | |
in der wohl größten Gesundheitskrise der Nachkriegszeit anmuten mag, | |
ohnehin nicht in seinen Kompetenzbereich als Bundesminister. Selbst | |
Kanzlerin oder Bundespräsident sind einer Weisung, eine einheitliche | |
Regelung herbeizuführen, und sei es nur für den Umgang mit Fußballspielen, | |
allenfalls moralisch mächtig. | |
## Wie so oft: Ländersache | |
Denn anders als in vielen zentralistisch regierten Staaten – Frankreich | |
etwa – sind für den öffentlichen Gesundheitsdienst, in dessen | |
Aufgabenbereich nach dem Infektionsschutzgesetz auch unpopuläre | |
„Schutzmaßnahmen“ zur Bekämpfung von Seuchen fallen, in Deutschland die | |
Länder zuständig. | |
Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus der NS-Diktatur setzte und setzt | |
die Bundesrepublik auf ein möglichst dezentrales Gesundheitswesen. Laut | |
Gesetz können die Länder Rechtsverordnungen erlassen, die der Bekämpfung | |
übertragbarer Krankheiten dienen. In der Praxis aber überlassen sie es seit | |
jeher lieber den rund 380 weitgehend kommunalen Gesundheitsämtern in | |
Deutschland, nicht nur den Infektionsschutz zu überwachen und | |
durchzusetzen, sondern auch den [4][Impfschutz von Kindern | |
sicherzustellen], psychisch Kranke bei Bedarf unterzubringen, das | |
Trinkwasser zu überwachen oder Kinder vor der Einschulung zu untersuchen. | |
Aktuell müssen sie zusätzlich vom Coronavirus Infizierte und deren | |
Kontaktpersonen ermitteln, Verdachtsfälle abklären sowie Infektionsschutz- | |
und Quarantänemaßnahmen entwickeln. Und dazu zählt dann eben auch, sich | |
durch die Absage kultureller oder sportlicher Veranstaltungen unbeliebt zu | |
machen oder die Gefahr von Klassenfahrten in vermeintliche | |
Coronakrisengebiete zu beurteilen. Die Entscheidung erfolgt jeweils im | |
Einzelfall und im Ermessen der 380 Ämter – also im Zweifel 380-mal | |
unterschiedlich und entsprechend chaotisch. | |
„Der Föderalismus hat sehr viele Vorzüge. Aber hier ist das ein Nachteil“, | |
stellte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Dienstag im | |
„ZDF-Morgenmagazin“ fest. „Das Verlagern solcher Entscheidungen auf die | |
kommunale Ebene ist dem Bürger nicht zu erklären“, sagt auch die | |
Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen | |
Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, im Gespräch mit der taz. Nötig sei eine | |
zentrale Ansage, wie etwa mit Großveranstaltungen umzugehen sei. | |
Stattdessen lasse die Politik die Ämter vor Ort zu oft allein – Drohungen | |
verständnisloser Veranstalter, die auf Entschädigung pochen, und | |
Beschimpfung seitens aufgebrachter oder verunsicherter Bürger inklusive. | |
## Heillose Überforderung | |
Die Gesundheitsämter aber seien schon jetzt heillos überfordert, ihren | |
hoheitlichen Aufgaben nachzukommen, beklagt Teichert. Und das liege | |
keineswegs an mangelndem Willen, an Schnarchnasigkeit oder Unkenntnis, die | |
den Beschäftigten vor Ort mitunter zu Unrecht unterstellt werde. „In Folge | |
eines stetigen Personalabbaus und nicht besetzter Stellen ist die Zahl der | |
Ärztinnen und Ärzte in den Gesundheitsämtern in den vergangenen 20 Jahren | |
um etwa ein Drittel zurückgegangen“, sagt Teichert. „Der öffentliche | |
Gesundheitsdienst läuft Gefahr, seine bevölkerungsmedizinischen Aufgaben | |
nicht mehr zu bewältigen.“ | |
Mit ihrer Kritik steht Teichert keineswegs allein da. Die Stadt Lübeck etwa | |
sendete bereits vor zwei Jahren ein öffentliches SOS, weil für die | |
Schuleingangsuntersuchungen der Abc-Schützen schlichtweg keine Ärzte mehr | |
zur Verfügung standen. „Die personelle Ausstattung ist unter Corona | |
zunehmend schwierig“, sagte ein Sprecher der Stadt am Dienstag der taz. | |
Rund 2.500 Ärztinnen und Ärzte arbeiten Schätzungen des Bundesverbands der | |
Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes in den kommunalen | |
Gesundheitsämtern; wie viele Beschäftigte es insgesamt sind, ist unbekannt; | |
das Statistische Bundesamt erfasst diese Zahlen seit Ende der 1990er Jahre | |
nicht mehr. Doch erst vor wenigen Wochen, [5][zur Einführung der | |
Masernimpfpflicht an Kitas und Schulen], erinnerte der Deutsche Städtetag | |
an die personelle und finanzielle Unterversorgung der Gesundheitsämter. | |
„Wir haben die Gesundheitsämter jahrelang ausbluten lassen“, räumte Hilde | |
Mattheis, Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für den | |
öffentlichen Gesundheitsdienst, am Dienstag selbstkritisch ein. Nun gebe es | |
„dringenden Handlungsbedarf“. Der öffentliche Gesundheitsdienst müsse | |
„strukturell neu aufgestellt“, die Gesundheitsämter müssten auch mit | |
Bundesmitteln besser ausgestattet werden. Der Bundesinnenminister und der | |
Bundesgesundheitsminister, so Mattheis, seien „aufgefordert, dafür einen | |
Vorschlag zu machen“. Und tatsächlich läge dies wohl in ihrer Kompetenz. | |
10 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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