# taz.de -- Lagarde ruft zum Handeln auf: Zeit für Staatswirtschaft | |
> Corona löst eine Wirtschaftskrise aus, der Dax fällt ins Bodenlose. | |
> Ökonomen aller Lager rufen nach Staatsintervention, die Zentralbank | |
> stimmt mit ein. | |
Bild: EZB-Präsidentin Christine Lagarde versuchte vergeblich, die Märkte zu b… | |
Berlin taz | Auch für die Europäische Zentralbank sind es ungewöhnliche | |
Zeiten: Auf ihrer Sitzung am Donnerstag waren einige Mitglieder des | |
EZB-Rates wegen des Coronavirus nur online zugeschaltet. Alles sei gut | |
gelaufen, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde danach. Sie hatte die | |
schwierige Aufgabe, auf die ökonomischen Schocks der Coronakrise zu | |
reagieren: Der DAX ist am Donnerstag um zwischenzeitlich surreale 12 | |
Prozent eingebrochen, der europäische Index EuroStoxx50 steuert auf den | |
größten Tagesverlust seiner Geschichte zu. Das liegt an Donald Trump, der | |
[1][von ihm verhängte US-Einreisestopp] für Europäer riecht nach | |
Panikreaktion und verunsichert noch mehr. Außerdem hatten viele | |
Analyst*innen von der EZB mehr Maßnahmen erwartet. | |
Lagarde schob im Prinzip Verantwortung ab und rief primär die europäischen | |
Staaten zum Handeln auf. Die Zentralbank gibt also offen zu, wie wenig sie | |
gerade tun kann. „Keine Zentralbank steht in der ersten Reihe bei den | |
nötigen Antworten. Die müssen als Erstes und zuvorderst fiskalpolitisch | |
sein. Wir erwarten, dass es diese Reaktion gibt“, sagte Lagarde in Richtung | |
EU-Staaten. | |
Die EZB spielt den Ball an die Politik, weil sie begrenzte Möglichkeiten | |
hat. Die US-Notenbank und die britische Notenbank hatten zuvor die | |
Leitzinsen gesenkt, aber die der EZB liegen bereits bei null. Lagarde | |
handelt in guter Tradition, auch ihr Vorgänger Mario Draghi hatte die | |
EU-Staaten immer wieder zu mehr Ausgaben animiert, um die Wirtschaft | |
anzukurbeln. | |
Die Maßnahmen der EZB selbst blieben hinter den Erwartungen der | |
Finanzmärkte zurück. Viele Kommentatoren hatten spekuliert, sie werde den | |
Einlagezins von derzeit minus 0,5 Prozent weiter absenken: Parken | |
Geschäftsbanken Geld bei der EZB, zahlen sie derzeit einen Strafzins, damit | |
sie das Geld besser an Unternehmen verleihen. Doch der Strafzins blieb | |
unverändert. | |
Die EZB agiert in dieser Weise, weil die Krise heute anders ist als 2008. | |
Damals platze eine Immobilienblase in den USA. Die wertlosen Häuserkredite | |
schlummerten als gebündelte Wertpapiere in den Bilanzen von Banken | |
weltweit. Weil niemand wusste, wer deshalb als Nächstes pleitegeht, liehen | |
sich die Banken untereinander kein Geld mehr. Wenn der Geldfluss stockt, | |
kollabiere das Wirtschaftssystem, selbst wenn es Unternehmen prächtig geht | |
und Konsument*innen ihnen die Produkte abkaufen. | |
## Sozialer Konsum bricht ein | |
Die Krise jetzt ist, so beschrieben es gestern [2][sieben führende | |
Ökonom*innen], für die Wirtschaft gleichzeitig ein Angebots- und | |
Nachfrageschock: Wenn hoch spezialisierte Zulieferer in China oder Italien | |
ausfallen, stehen in Deutschland die Fabriken still. China ist sechs Wochen | |
Seeweg entfernt, die Produktionsausfälle kommen also erst noch. Hinzu | |
kommt, dass viele produzierende Betriebe ihre Mitarbeitenden nicht von zu | |
Hause aus arbeiten lassen können. | |
Auf der Nachfrageseite steht das Problem, dass die Menschen in vom | |
Coronavirus betroffenen Ländern gerade andere Sorgen haben, als sich einen | |
neuen VW, BMW oder Daimler zu kaufen. Vielleicht holen das die Menschen | |
nach, wenn die Krise vorbei ist. Doch der sogenannte „soziale Konsum“ ist | |
unwiderruflich weg, also Reisen, Restaurant- oder Messebesuche. | |
Die initialen Schocks für die Wirtschaft kommen von außerhalb der | |
Finanzwelt. Sascha Steffen ist Professor für Finance an der Frankfurt | |
School of Finance & Management und beobachtet gerade nicht nur die | |
Aktienmärkte mit Sorge. Das Auf und Ab dort ist aber für die Realwirtschaft | |
kurzfristig irrelevant. Steffen fürchtet vielmehr, dass der Kreditmarkt | |
austrocknet. Die Banken gäben dann kaum noch Geld an Unternehmen, was | |
schnell Pleiten, Arbeitsplatzverluste, also eine direkt spürbare Folge für | |
alle, bedeutet. | |
## Abwärtsspirale bei Banken | |
Unternehmen in Schieflage heißt wiederum, dass sie laufende Kredite an die | |
Banken womöglich nicht zurückzahlen können. Weshalb die Banken für diese | |
Risiken mehr Sicherheiten bilden müssen und wieder weniger für die | |
Kreditvergabe haben – eine Abwärtsspirale. Aus Steffens Sicht sei es | |
unbedingt notwendig, dass die Banken für den ökonomischen Wiederaufbau nach | |
der Krise stabil sind. Da viele Banken, auch in Deutschland, aber schlecht | |
kapitalisiert seien, fordert er eine radikale Maßnahme: „Wir müssen wie in | |
der Krise 2008 darüber nachdenken, Banken mit Staatshilfe zu | |
rekapitalisieren“, sagt er. | |
Die Maßnahmen der EZB zielen zumindest auf das gleiche Problem ab, der | |
Kreditvergabe: Sie gibt Geschäftsbanken günstiges Geld, aber nur dann, wenn | |
sie wiederum Kredite an besonders gefährdete kleine oder mittelständische | |
Unternehmen vergeben. Direkt helfen könnte die EZB diesen Unternehmen | |
nicht. Helfen kann sie nur großen Unternehmen und das indirekt, indem sie | |
deren Anleihen am Kapitalmarkt aufkauft. Hier versprach sie, weitere | |
solcher Unternehmenskredite im Wert von 120 Milliarden Euro bis Ende des | |
Jahres aufzukaufen, zusätzlich zu den bereits aufgetürmten 2,7 Billionen | |
Euro. | |
Auch die sieben deutschen Ökonom*innen schreiben, dass der Beitrag der EZB | |
in der Krise sehr begrenzt sei, und rufen nach fiskalpolitischen Maßnahmen: | |
Steuerlasten von Unternehmen stunden, direkte Hilfen etwa über die | |
Kreditanstalt für Wiederaufbau. Der Thinktank Bruegel in Brüssel empfiehlt, | |
nach Vorbild Italiens Selbstständigen und Kleinstunternehmen mit | |
staatlichen Direktzahlungen zu helfen. Lagarde selbst fasst das, was die | |
EU-Staaten nun bräuchten, in einem Wort zusammen: „Ich nenne es | |
Entschlossenheit“, sagte sie. | |
12 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Coronavirus-breitet-sich-weiter-aus/!5671394 | |
[2] https://www.iwkoeln.de/studien/iw-policy-papers/beitrag/michael-huether-wir… | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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